Sein erstes Geld verdiente Professor Dr. Andreas Heinecke mit Kochrezepten. Inzwischen ist er als Gründer und Geschäftsführer der Ausstellung Dialog im Dunkeln erfolgreich. Zusammen mit Nils-Kim Porru kochte er eins seiner Lieblingsgerichte: Mafé.

Beinahe wäre alles ganz anders gekommen. Dann wären sich BCH Küchenchef Nils-Kim Porru und Professor Dr. Andreas Heinecke auf einer ganz anderen Ebene begegnet – nämlich in der Gastronomie. Und nicht in der Speicherstadt, wo in einem alten Lagerhaus aus Backsteinen der „Dialog im Dunkeln“ stattfindet. Dort erleben Sehende, wie es ist, wenn rundherum alles in Schwärze versinkt, man sich nur auf die restlichen Sinne verlassen kann und auf den Guide, einen Blinden, der einem zeigt, wie man sich dennoch zurechtfindet. Heinecke hat den „Dialog“ erfunden, gegründet und betreibt ihn international.
Doch vor einigen Jahren gab es eine schlechte Gesundheitsprognose. „Ich verkaufe“, beschloss Heinecke. Aber was dann? Schließlich kann sich ein umtriebiger Unternehmer, weitgereist und weltweit vernetzt, nicht einfach hinsetzen und nichts tun. Wie gut, wenn man ein paar Leidenschaften besitzt. Neben dem Sammeln von altem Klinikmobiliar und tönernen Vasen gehört dazu das Kochen. „Ich eröffne ein Restaurant“, wurde beschlossen.
Er hatte auch schon einen Namen: „Baobab“ sollte es heißen. Der Affenbrotbaum, den er von Reisen ins geliebte Afrika kannte, steht dort oft für den dörflichen Treffpunkt wie die Linde oder Eiche in Deutschland. Wie passend für ein Gasthaus. Dabei war das gar nicht der Hintergrund. Baobab war auch der Name einer der bekanntesten Bands Westafrikas, die er liebte. Doch alles ging gut. Heinecke wurde gesund, verkaufte nicht, auch zur Erleichterung seiner Frau, die schon ihren Mann in der Küche und sich an der Kasse gesehen hatte.
Große Freude nun für den Hobbykoch Heinecke, mit dem Profi Porru zu fachsimpeln. Als der vom Thema Afrika hörte, „habe ich erst einmal Dr. Google befragt“, sagt Porru und grinst. Schnell fand er, was er suchte: Mafé, ein klassisches Gericht, ein schmackhafter Eintopf in – das ist wichtig – Erdnusssoße. Er ließ sich alles gründlich durch den Kopf gehen, schließlich kommt er selbst aus der französisch-mediterranen Küche. Der Küchenchef entschied sich am Ende für Lamm, ein in afrikanischen Ländern gern verwendetes Fleisch. Die Knochen löste er heraus, entfernte Sehnen und Häutchen und schnitt es in etwa drei Zentimeter große Stücke. Die wurden über Nacht in eine Marinade aus Sherry-Essig und Olivenöl gelegt, wozu sich Knoblauch, Lorbeer und Pfeffer gesellten.

Auch eine ganze Reihe von Gemüsen wurden von ihm in Würfel geschnibbelt: Karotten, Zwiebeln, Steckrüben, Kartoffeln, Butternut- Kürbis und Maniok. Diese stärkehaltige Wurzel stammt ursprünglich aus Südamerika, wurde aber von den Portugiesen nach Afrika gebracht, wo die Pflanzen ähnliche Wachstumsbedingungen fanden. Das marinierte Fleisch hat Porru angebraten, daneben Zwiebeln, Knoblauch und Tomatenmark angeschwitzt und mit Geflügelfond abgelöscht. Dann muss das Ganze zwei Stunden lang bei geschlossenem Deckel vor sich hin köcheln. Unterwegs kommen weitere Gemüsewürfel hinzu, teilweise roh, teilweise kurz frittiert. Dünne Scheiben von Maniok und Süßkartoffel werden ebenfalls frittiert und entwickeln, gesalzen, als Beilage eine nicht zu unterschätzende Suchtgefahr.
Begeistert ist Heinecke über Chili und Cayennepfeffer mit Erdnussbutter in einem Teil des Fonds aufgeschlagen und, pikant abgeschmeckt, wieder der Soße beigemischt. Es imponiert ihm, wie sich Porru dieser westafrikanischen Spezialität genähert hat. Er improvisiert auch gern. Warum Pesto nur aus Basilikum und Pinienkernen herstellen? Petersilie und Mandeln eignen sich hervorragend. Und dann rückt er damit heraus: Als Student hat er mit Kochrezepten Geld verdient, eine kleine Kulturgeschichte des Kochens geschrieben: Kaiser Nero und seine Liebe zum Lauch gehörten dazu.
Als Kind recht kränklich, entwickelte Heinecke jedoch eine enorme Energie, um das Abi zu schaffen, als Erster der Familie. Er studierte Geisteswissenschaften, promovierte über das Ostjudentum. Zum Thema kam er über die eigene Geschichte. Der Großvater war Jude und wurde wie der Großteil der Familie umgebracht. Die Mutter war im Nazi-Jargon eine „Halbjüdin“ aus Polen. Der Vater brachte in der Nachkriegszeit die Familie mit den verschiedensten Berufen durch. Unter anderem war er Barkeeper im Casino des französischen Militärs, das im Südwesten Deutschlands lag. So kam Heinecke 1955 in Baden-Baden zur Welt, eine Tatsache, der er die liebenswürdige badische Klangfärbung seiner Sprache verdankt.
Nach dem Studium versuchte auch er Verschiedenes, arbeitete als Lagerist, Dokumentar und Journalist beim Südwestfunk. Dort sollte er einen blinden jungen Mann anlernen – und fand seine Bestimmung. Die positive Einstellung, der Lebensmut, den der 28-Jährige ausstrahlte, beeindruckten Andreas Heinecke tief. Hier machte ihm jemand vor, dass man nicht nur hinnehmen muss, sondern auch zu geben hat. Und dass Blinde nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe behandelt werden möchten.
Nach einer Tätigkeit in der Blindenanstalt in Frankfurt reifte der Gedanke für das, was Heinecke heute noch mit Engagement betreibt, den „Dialog im Dunkeln“. Dort sind die Behinderten die Führer, ihnen muss man sich als Nicht-Behinderter anvertrauen, wenn man durch die Schwärze kommen will, über mal schwankenden, mal schwammigen Untergrund, von Geräuschen und Stimmen irritiert, die mal zu laut, mal zu leise klingen. Inzwischen ist das Angebot ausgeweitet auf den „Dialog mit der Stille“ und, neuerdings, in Form einer Ausstellung, auf den „Dialog mit der Zeit“. Dabei geht es um Gehörlosigkeit und Alterseinschränkungen.
Inzwischen gibt es das Konzept an 32 Standorten weltweit von Indien über Russland, Taiwan bis Argentinien, USA und Israel, vergeben im Franchise-Verfahren. Über 100 Mitarbeiter sind beschäftigt. Es gab Auszeichnungen in Hülle und Fülle, unter anderem als Ashoka-Fellow. Die amerikanische Non-Profit-Organisation, benannt nach einem indischen Kriegsfürsten, der sich später für Toleranz, Versöhnung und Freiheit bei wirtschaftlichem Wohlstand einsetzte, fördert in rund 70 Ländern „Fellows“, soziale Unternehmer, die mit guten Taten Geld verdienen. Als Heinecke vor 20 Jahren in der Speicherstadt eröffnete, stellten Integrations- und Arbeitsamt die Förderung für den Aufbau und den Betrieb in den ersten Jahren zur Verfügung. Seit 15 Jahren sind sie selbstfinanziert. Auch Porru war schon früh Besucher. „Als junger Mann“, wie er sagt. „Ich war tief beeindruckt, habe gelernt, dass man Blinde fragt, ob sie Hilfe möchten und wartet, bis sie sich bei einem einhaken.“
Doch der Sozialunternehmer Heinecke hat noch mehr Zukunftspläne. Er möchte das Dialoghaus nach 20 Jahren für die nächsten 20 Jahre sichern. Dafür braucht er Unterstützung. 20 Persönlichkeiten werden gesucht, die 20 000 Euro spenden, um das weltweit erste Social Science Center zu begründen. Für diesen Kreis kocht Heinecke dann ein ganz spezielles Menü.
Im Hier und Jetzt ist Heinecke zufrieden und kostet begeistert Porrus Mafé-Variation, die er auf Reis in einem Schälchen aus Olivenholz reicht. Und schon sind die beiden beim nächsten Klassiker des Senegal: Yassa. Huhn (oder Fisch) wird mit Zwiebeln in Zitronensaft mariniert und geschmort. Die Herren werden sich wohl einmal wiedersehen.

 

Andreas Heinecke,
studierte Literatur und Geschichte und promovierte im Fach Philosophie. Er arbeitete als Journalist, Archivar, Wissenschaftler und entwickelte das Konzept von „Dialog im Dunkeln“ und „Dialog im Stillen“. Heinecke erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen, ist erster Ashoka-Fellow in Westeuropa sowie Mitglied des Global Agenda Council zu Social Entrepreneurship.

 

Text: Gisela Reiners Fotos: Martina van Kann