Literaturhaus-Chef Rainer Moritz wünscht „Guten Appetit“ auf Japanisch. Gemeinsam mit Nils-Kim Porru kochte er eine köstliche Ramensuppe. Wo sonst Publikum auf Künstler trifft, tauschten sich die beiden über die Vorzüge internationaler Küche aus.

Ganz schön mutig für einen Halbitaliener, mal mit einer japanischen Ramensuppe zum Treffen mit Rainer Moritz, dem Chef des Hamburger Literaturhauses, zu erscheinen. Aber Nils-Kim Porru wäre nicht Chefkoch im Business Club, wenn er nicht Neuerungen nachspüren würde. Diesmal also Nudeln in Flüssigkeit, aber was für eine Kreation! Sie umspült voller Wärme und Geschmack die exotische Teigware, umarmt Schweinebauch und Hälften cremig gekochter Eier und peppt sich auf mit gewürzten Ölen, Sesam, Seetangblättern in Streifen und frischem Koriander. Der Chef des Hauses an der Außenalster, seit 2005 in Diensten der Welt der Bücher, ihrer Autoren und Leser, ist sichtbar beeindruckt und fühlt sich erinnert.
„Die erste Dienstreise meines Berufslebens führte mich zum Germanistenkongress nach Tokio“, sagt Rainer Moritz schmunzelnd und tupft sich genussvoll die letzten Tropfen der köstlichen Suppe von den Lippen. Damals arbeitete der gebürtige Heilbronner nach Studium und Promotion in einem Tübinger Verlag. Doch trotz des prägenden Aufenthalts in Japan kocht Moritz lieber nach französischen und italienischen Rezepten, „aber selbstverständlich nach den schwäbischen meiner Heimat“.
Porru, ausgestattet mit feinen Antennen für den Zeitgeist auch in der Küche, konnte am Street Food, das es in Fernost sogar schon zum Michelin-Stern geschafft hat, nicht vorbeigehen. „Ich habe gespürt, dass die Burger-Welle allmählich abflaut und hier und da Ramen-Läden auftauchten.“ In Japan sagt man wohl tatsächlich Ramen-Läden zu den Imbissen, in denen man die gehaltvolle Nudelsuppe in einer großen, tiefen Schale bekommt.
Ein Freund eröffnete dann in der Margaretenstraße in Eimsbüttel das Momo Ramen, Kochprofi Porru kostete sich durchs Angebot und war begeistert. „Das war mir eine Inspiration! Sieht einfach aus, ist aber nur sehr aufwändig herzustellen, zumal man nicht alle Komponenten einfach hier kaufen kann. Von Japanern kommt wenig Hilfe, denn traditionell hat jeder so sein geheimes Rezept. Also habe ich Fonds und Dashi, den Fischsud, gekocht und probiert, habe Händler für die Gewürze gesucht und am Ende einen Lieferanten gefunden.“
Dampfend steht die Suppenschale auf dem Tisch. Es duftet gut und sieht auch noch hübsch aus. Besonders die halben Eier geben Farbe. Sie sind das Ergebnis eines besonderen Garprozesses. „Genau nach sechseinhalb Minuten müssen sie gut abgeschreckt und gepellt werden. Dann legt man sie 24 Stunden lang ein in einen Fond aus Mirin, einem süßen Reiswein, braunem Zucker und Sojasoße. Das gibt einen süßlich-aromatischen Geschmack, eine leicht bräunliche Farbe und eine schöne Cremigkeit.“ In der Tat, ein normal gekochtes Ei schmeckt dagegen langweilig.
Langeweile könnte Porru sich bei seinem Gast Rainer Moritz auch nicht erlauben – denn der sprudelt nur so über vor Energie und Temperament, Anekdoten und Erinnerungen. Er bewundert die Vielzahl der Zutaten wie Shiitake-Pilze, Streifen von Nori-Blättern, wie die Algen heißen, Sesamkörnern in verschiedenen Farben, Lauchzwiebeln, sehr fein gebröseltem Hühnerhack und einer schönen Scheibe Schweinebauch. Die ist zart und köstlich, wurde ja auch 72 Stunden im Vakuumbeutel gegart, begleitet von einer Marinade aus Sake, Sojasoße, Knoblauch und anderen Gewürzen. „Und am Ende kurz abgeflämmt.“
Rainer Moritz bekommt glänzende Augen, wenn Küchenchef Porru nicht weniger enthusiastisch vom Kochen spricht. Mit sechs Jahren wollte er selbst Koch werden, stand vorm Herd auf einem Hocker und half mit. Der Berufswunsch wurde abgelöst von Sportjournalist, später von Lehrer. Das Bedauern scheint sich in Grenzen zu halten. In der literarischen Welt fühlt sich Moritz wohlig und zu Hause. Er reist, spricht mit Schriftstellern, auch, um sie nach Hamburg zu locken, und isst natürlich auch mit ihnen. An den verpassten Sportjournalisten erinnert seine Leidenschaft für Fußball, und seine potenziellen Schüler können traurig sein, ihn nie am Pult gesehen zu haben. Moritz versteht es ausgesprochen gut, Lehrreiches und Interessantes im leichten Plauderton rüberzubringen.
Am Wochenende wird daheim gekocht, von ihm, und auch eingekauft. „Ich weiß vielleicht eher, was ein Pfund Butter kostet, als meine Frau.“ Will sagen, er kauft mit Bedacht wie die berühmte schwäbische Hausfrau. Käsespätzle sind seine Spezialität. „Ich mache auch den Teig selbst, nehme sechs Eier auf ein Pfund Mehl – meine Mutter würde niemals so viele Eier nehmen! – schichte die Knöpfle mit einer Mischung aus Greyerzer und Emmentaler in ein Gefäß, schütte noch einen Löffel Nudelwasser dazu und gebe zehn Minuten vor dem Ende des Backens gebräunte Zwiebeln obendrauf. Mein 14-jähriger Sohn mag gern Speckwürfel dazu. Das ist zwar nicht typisch, aber er liebt das so …“
Früher wurde auch noch die Gans zu Weihnachten selbst gebraten, Knödel dazu und Rotkraut – „aber das ist wirklich harte Arbeit, und der Geruch hängt lange in der Luft. Wir lassen jetzt liefern. Das ist entspannter.“ Er mag es gern bodenständig. „Ist nicht in Mode, aber ich esse gern Innereien. Mein schönstes ist Kalbsbries, paniert. In Paris liebe ich Choucroute garni, Sauerkraut mit verschiedenen Würsten und Fleisch. Gibt‘s auch mit Fischen. Sehr lecker!“ Wer so schön über Essen reden kann – was hält er von veganen Gerichten? „Das interessiert mich nicht.“ Gott sei Dank, mal ein Gebiet, auf dem er nicht Meister ist.
Moritz übersetzt und schreibt Bücher und Kolumnen, moderiert Veranstaltungen, denkt sich Themen aus, versucht, junge Menschen ans Lesen zu bekommen, macht Veranstaltungen sogar für Kinder, die mit den Eltern kommen, reist hin und her, „bettelt“ um Geld zur Erhaltung des Hauses an der Alster. 2018 bekam er seinen Lift und eine neue Lüftung. Und doch ist er konzentriert und gelassen beim Gespräch und hat fast immer so ein Zwinkern in den Augenwinkeln, das sagt, dass man nicht alles so furchtbar ernst nehmen soll. Rainer Moritz liebt, was er tut, und wird dafür geliebt. Wohl auch, weil der Spaß nicht auf der Strecke bleibt.
Den findet er vor allem in schlechten deutschen Schlagern. Lieblingssong? „‚Es fährt ein Zug nach nirgendwo‘, ‚Cindy oh Cindy‘ …“ Aua, das schmerzt. Aber es kommt noch besser: „Kennen Sie Margot Eskens? Sie singt tatsächlich ‚Nur eine Mutter weiß, wo Honolulu liegt‘. Finden Sie bei Youtube.“ Gefunden. Nochmals Aua.
Nils-Kim Porru hat inzwischen seine Zauberkiste gepackt und ist verschwunden. Er ist wahrscheinlich schon beim nächsten Zeitgeist- Gericht: Weiche Hefe-Brötchen aus dem Dampfgarer mit verschiedenen Füllungen wie Pulled Pork, Hack oder auch nur Salat oder Gemüse. Porru träumt schon von Buns, Hamburgerbrötchen.

Rainer Moritz,
Literaturwissenschaftler und Buchautor, leitet seit 15 Jahren das Literaturhaus in Hamburg. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland sowie der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur. Der gebürtige Heilbronner studierte an der Universität Tübingen Germanistik, Philosophie und Romanistik. 1988 promovierte er über Hermann Lenz. Danach arbeitete er in unterschiedlichen Funktionen für Verlage, zuletzt als Programmgeschäftsführer bei Hoffmann und Campe. Anlässlich der Verleihung des Ehrentitels „Professor“ durch den Senat 2015 lobte die inzwischen verstorbene Kultursenatorin Barbara Kissler: „Hamburg wird als Literaturstadt immer bekannter, das haben wir nicht zuletzt auch Rainer Moritz zu verdanken.“

 

Text: Gisela Reiners Fotos: Martina van Kann