Normalerweise seziert er Tote, für Nils-Kim Porru schneidet RECHTSMEDIZINER KLAUS PÜSCHEL gebackenen Sauerteig. Und Steak braten kann der Professor auch.

Ins Schwarze getroffen. Zum Termin mit Professor Klaus Püschel, erst seit ein paar Stunden Pensionär und nicht mehr Chef des Instituts für Rechtsmedizin am Uniklinikum Eppendorf, bringt Küchenchef Nils-Kim Porru alles für ein Bauernsandwich mit, wie er das nennt: Auf einer großen Scheibe Sauerteigbrot sollen sich ein Ribeye-Steak, Avocado, Tomate, Römersalat, Bacon, ein Spiegelei und geraspelter Cheddar stapeln, bedeckelt von einer zweiten Brotscheibe und mittig durchgeschnitten. Und was ist des Professors Lieblingsspeise? Steak. Das passt doch.
Porru legt fürs Foto das Fleisch in die Pfanne neben einen Zweig frischen Thymian, drückt dem Mediziner Pfannenstiel und Zange in die Hand und gibt Anweisung: „Auf jeder Seite zwei Minuten anbraten.“ Püschel, der es zwar gewohnt ist, in jeder Lebenslage fotografiert zu werden, aber nicht gleichzeitig ein Ribeye-Steak zu braten, wendet etwas ratlos den Thymianzweig hin und her. Er schafft es aber, professionell und freundlich in die Kamera zu blicken, während der Küchenchef das in Öl mit allerlei Gewürzen marinierte Fleisch scharf im Blick hat, damit es nicht zäh wird. Ihn irritiert die Kamera mittlerweile nicht mehr, er kocht, sautiert, schmort und richtet ungerührt an, während er in die Linse lächelt.
Getroffen hat man sich an diesem ersten Tag von Püschels Ruhestand im „Ausspann“, einem Restaurant mit Hotel an der Holsteiner Chaussee in Schnelsen. Nach mehr als 40 Jahren als Gerichtsmediziner und rund 30 als Institutsleiter ist Püschel mit 68 Jahren aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Der Ruhestand begann morgens am 1. Oktober mit einer Aussage als Sachverständiger vor dem Landgericht in Bremen, woher er jetzt mit dem Auto angefahren kommt. In der Regel nimmt der Professor das Rennrad. Der Hobbyathlet (Tischtennis) wollte einmal Sportmediziner werden, sein Traumberuf, ließ sich dann aber während des Studiums in Hannover von der Begeisterung eines charismatischen Professors für die Rechtsmedizin anstecken. Er wechselte das Fach und versprüht nun seinerseits diese Begeisterung. Als er fürs Foto Brot schneiden soll, deutet er an, wie er mit der linken Hand ein Herz hält und es mit der rechten sauber horizontal durchschneidet. Während neben ihm die Minen versteinern, sagt er voller Inbrunst: „Bei mir ist immer Rätselecke.“
Das sei das Spannende an seinem Beruf: Man wisse nie, was man zu sehen bekommt. „Chirurgen wissen genau, was sie erwartet, ein Blinddarm, eine Niere, ein Herz. Rechtsmediziner wissen es nicht. Ich habe einen Mann obduziert, zehn Jahre jünger als ich, gut aussehend, sportliche Figur, glatte, gebräunte Haut, aber innen ein Schotterhaufen, total verkalkt.“ Wir lernen, der Mann kennt schöne Vergleiche. Und das Lösen von Rätseln ist seine Passion.
Er konnte sie bei spektakulären Todesfällen ausleben. Püschel war beteiligt an der Untersuchung der Toten im Fall des St. Pauli-Killers Werner Pinzner, der bei einer Vernehmung im Polizeipräsidium mehrere Menschen erschoss, am Ende sich selbst. Er holte tote Frauen aus Fässern voller Säure, obduzierte mit einem Kollegen auf Wunsch der Familie den früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel („Ein Selbstmord nach Plan“). Er konnte klären, dass die seit fast drei Jahrzehnten verschwundene Schwester des inzwischen pensionierten LKA-Chefs Wolfgang Sielaff, von dem Mörder umgebracht wurde, der auch die sogenannten Göhrde-Morde beging. Auch der Leichnam des Reemtsma-Entführers Wolfgang Koszics wurde von Püschel untersucht, ebenso wie Opfer eines Voodoo-Mordes in Benin. Aber auch an archäologischen Funden wie verschiedenen Moorleichen arbeitete der Professor, ebenso am sogenannten Störtebeker-Schädel. Den Ruf des Hamburger Instituts hat er entscheidend geprägt.
Was hält nun ein Wissenschaftler wie er von den Gerichtsmedizinern, die im Fernsehen auftauchen? Von „Dr. Joseph Roth“ zum Beispiel, dem Arzt im Kölner „Tatort“, der von Joe Bausch gespielt wird, einem echten Mediziner? Püschel grinst: „Der hat ja nun gar keine Ahnung. Der war Gefängnisarzt.“ In die gleiche Ecke stellt er die Kollegen vom Robert-Koch-Institut. Die hätten doch tatsächlich abgeraten, Corona-Tote zu obduzieren, weil man sich anstecken könne. Püschel, der schon Ebola-Tote untersucht hat, lacht, schiebt aber schnell hinterher: „Die haben eben von etwas anderem wirklich Ahnung.“
Wenn aber der Gerichtsmediziner in Film und Fernsehen am Tatort auftaucht, dann ist das der Wirklichkeit abgeschaut. „Wir sehen uns den Tatort genau an, die Lage des Toten, seine Verletzungen, die Blutspuren und die Umgebung. Wenn später der Angeklagte zum Beispiel sagt, er habe sich dem Opfer von hinten genähert und das sei gestolpert und gestürzt, der Tote liegt aber auf dem Rücken, dann weiß man, dass er lügt.“
Wäre dann nicht vielleicht doch eine TV-Rolle als Gerichtsmediziner etwas für ihn? Püschel sagt nicht nein. Überzeugend käme er auf alle Fälle rüber. Sein Fachgebiet lässt ihn auch im Ruhestand nicht los. Gerade hat er den Verlag gewechselt. Fachbücher hat er schon an die 60 Stück geschrieben, aber auch schon welche, die mehr als Krimis zu lesen sind. Das Feld will er weiter beackern.
Energie scheint der Mann ohne Ende zu besitzen. Ein Ausdauersportler. Und ein Familienmensch. Neben dem Institut, den Büchern, den Arbeiten als Sachverständiger samt Auftritten vor Gericht, kümmert er sich noch um seine Bienen und eine Handvoll Islandponies, die auf einer Weide am Rand von Schnelsen stehen, wo er schon wohnt, seit er nach dem Studium nach Hamburg kam. „Das ist ein großer Spaß für die Enkelkinder“, sagt er und lächelt versonnen. Sieben hat er von drei Kindern. Seine Frau ist auch Ärztin. Als die Kinder noch klein waren, hat er die Mutter manchmal in der Küche vertreten.
Wenn Püschels auswärts essen, gehen sie ins „Ausspann“, wo Thorsten Thrum eine frische, herzhafte Landküche serviert, mit viel Wild und Pilzen jetzt im Herbst. Der Koch hat auf Helgoland gelernt, hat sich in der Sterne-Gastronomie getummelt, bis er der Familie wegen vor 16 Jahren im „Ausspann“ anheuerte, um zu bleiben. Er bekocht Tagungs- und Hotelgäste und à la carte Gäste wie den Professor, der sein Schnelsen „so angenehm normal“ findet.
Die Palette der Rezepte dort ist überschaubar: Zu Nudeln gesellt sich aber Exotisches wie Toast Hawaii – ein Gericht, dessen Erfindung dem ersten deutschen Fernsehkoch Clemens Wilmenrod zugeschrieben wird: Auf eine geröstete Schnitte Toastbrot kommt gekochter Schinken, eine Scheibe Ananas (aus der Dose), eine Scheibe Käse und vielleicht noch eine Kirsche oder ein paar Preiselbeeren in das Loch der Ananas, wenn der Käse beim Überbacken im Ofen geschmolzen ist. Püschel erinnert es an sein Studium. „Damals habe ich das oft gemacht“, erzählt er. „Auf ein Blech passten sechs bis acht Scheiben. Ich habe alle geschafft, inzwischen höchstens die Hälfte. Und die Kinder mochten es auch.“ Heute geht er lieber ins „Ausspann“.

 

Klaus Püschel, 68, aus Grammendorf (Mecklenburg-Vorpommern), studierte von 1970 bis 1976 an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er promovierte 1977, 1983 habilitierte er, 1985 wurde er zum Professor für Rechtsmedizin ernannt. Von 1989 bis 1991 war er Professor für Rechtsmedizin an der Universität Essen. Von 1991 bis September 2020 war er Direktor das Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf. Parallel war er stellvertretender Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg. Bekannt wurde er durch die Untersuchung prominenter Todesfälle wie des Politikers Uwe Barschel. International half er bei der Aufklärung des Völkermordes in Ruanda. Er obduzierte als erster Mediziner Tote, die an Covid-19 verstorben sind.

 

Text: Gisela Reiners Fotos: Martina van Kann