Der eine ist Chefkoch, der andere Chef-Astrologe. NILS-KIM PORRU UND DR. THOMAS KRAUPE trafen sich im Kuppelsaal des Planetariums, um über Elemente und elementares Essen zu philosophieren.

Wenn sich hinter der Schwärze des kleinen Vorraums die Tür öffnet und den Blick freigibt ins Universum – dann wartet man unwillkürlich auf Musik und das Raumschiff „Enterprise“, das in die Unendlichkeit der Galaxien gleitet. Aber es passiert nichts. Höchstens stolpert man beim Betreten des Sternensaals im Hamburger Planetarium, weil man den Blick nicht wieder auf den Boden bekommt, so faszinierend leuchten die Sterne am künstlichen Firmament. Doch Direktor Thomas Kraupe will heute keinen Vortrag halten über Astronomie, sondern mit Chefkoch Nils-Kim Porru eine sternewürdige Vorspeise anrichten.
Am liebsten würde man sich jetzt in einen der roten Polstersessel fallen lassen, deren Rückenlehnen so schön nach hinten gleiten, damit man die an die Decke projizierte Himmelskuppel entspannt betrachten kann, ohne sich den Hals zu verrenken. Kraupe ist hier seit dem Jahr 2000 Chef und hat ganz kräftig den Staub aus dem Planetarium im Stadtpark gepustet, hat erneuert, umgebaut, modernisiert.
Der eine trägt die übliche schwarze Nadelstreifenschürze mit eingesticktem Namen über der weißen Kochjacke zu solidem Schuhwerk, der andere Chinos und blaues Polo zu legeren Sneakers. Beide verstehen vom Business des anderen so gut wie nichts. Der Astronom Kraupe leitet ein hochmodernes Schau-Planetarium, wie es auf der Welt kaum ein zweites gibt, mit einem Wahnsinnsprojektor, der Sonne, Mond und Sterne sowie die Weite des Weltraums an die Kuppel malt. Der andere kommt mit seiner Küche den Sternen zwar nah, aber nach dieser Auszeichnung des Gourmetführers Michelin greifen will er nicht. Zufriedene Gäste sind ihm erstrebenswert genug.
Nein, selber kochen tut er nicht, bekennt Kraupe fast ein wenig zerknirscht, aber er esse gern. Zu Hause kocht die Lebensgefährtin, er interessiert sich mehr fürs Einkaufen, legt dabei Wert auf beste Qualität. Seine Favoriten sind herzhafte Gerichte, wie sie seine Mutter, eine Sudetendeutsche, die mit der Familie nach Bayern kam, auf den Tisch brachte. „Ihre böhmischen Rezepte vermischten sich mit den bayerischen und schwäbischen. Also Knödel, Zwiebelrost- und Rehbraten, Maultaschen, Käsespätzle, Brathähnchen und natürlich Mehlspeisen, wie Apfelstrudel, und die Orangentorte, die es immer zum Geburtstag gab, esse ich sehr gern. Das weckt Heimatgefühle“, sagt Kraupe. Ist er in München, muss er dringend ins „Franziskaner“, auf Weißwürste und Bier. „Da geht nichts drüber.“
Er versucht am Computer eine Himmelsprojektion so an die Decke zu strahlen, dass sie hell genug ist für den Fotohintergrund, aber nicht blendet, und dabei noch ein attraktives Abbild eines Blicks aus dem Himmel auf Afrika, die Iberische Halbinsel bis nach Grönland hinzubekommen. „Ein bisschen mehr nach Nordwesten, Thomas“, dirigiert ihn sein Mitarbeiter, als er auf „mehr links“ und „nach oben“ nicht reagiert. Allgemeine Heiterkeit, als es schließlich klappt. Für einen Wissenschaftler braucht es eben ein bestimmtes Vokabular.
Porru fingert unterdessen allerlei zum Teil winzige Details hervor aus Dosen, Schächtelchen und sogar aus einer Kiste voller Trockeneis: Mit Anis, Meersalz, Piment und Wacholder selbst gebeizter Saibling kommt zum Vorschein, wundervoll rot, matt und verführerisch. Die Speichelproduktion der Zuschauer steigt. Zur Seite bekommt der Fisch Kügelchen, Würfel und Tropfen, kleine Figuren wie Seesterne, längliche Schneckenhäuser und Herzmuscheln, Dillspitzen und zarte Blütchen von Borretsch, Kapuzinerkresse und Gänseblume. Zum Anrichten nimmt Porru gläserne Petrischalen, denen er ein ungewöhnliches Gefäß zu Seite stellt: Es sieht aus wie eine Mini-Ausgabe altmodischer Großvaterpfeifen mit langem, gebogenem Mundstück. „Eine Trinkpfeife“, sagt Porru und grinst. Die Füllung: eine köstliche Muschelessenz.
Wie der Profi bekommt auch Kraupe Latexhandschuhe und Pinzette und darf anrichten, wie der Koch es vorgibt. „Ich habe mir viel Zeit für das Arrangement genommen – so dass alles am richtigen Platz ist und es appetitlich aussieht.“ Kraupe ist beeindruckt. Porrus Ansatz: Alle Elemente, also Feuer (Chili), Wasser (Muscheln), Luft (über allem) und Erde (Rote Bete) einzubinden. Der Astronom ist begeistert von der sozusagen kosmischen Küche. „Schließlich beeinflusst das Universum unser Leben und unser Tun, Sonne und Sterne schicken uns ihre Energien. Wir müssen nur unsere Sinne öffnen für die Zusammenhänge des Kosmos.“
Kraupe ist ein großer Fischliebhaber jenseits seiner Neigung zum Bodenständigen. „Die mediterrane Küche mag ich sehr, Seafood ist meine Leidenschaft auf der ganzen Welt.“ Er liebt vor allem Frisches, Authentisches. „Längerfrische Milch oder fettfreier Joghurt kommen mir nicht ins Haus.“ Er schüttelt sich. Über ihm leuchten die Sternbilder des Orion, der Große und der Kleine Wagen mitsamt dem Nordstern. Auf dem Glastellerchen versammeln sich neben dem Fisch die Figürchen aus Gelee von Balsamico, Limette, Süßkartoffel, Muschelfond, Chili und Avocado, ergänzt durch dunkelrote Flocken gefriergetrockneter Roter Bete. Eine kleine Farborgie – und schon vertiefen sich die Herren in ihre Begeisterung für die Farben und Düfte auf den Märkten dieser Welt.
Kraupe kommt rum. Er arbeitet für die International Planetarium Society, berät und hilft bei Konzept und Aufbau von Planetarien weltweit. Dazwischen heuert er auf Kreuzfahrtschiffen an und hält Vorträge auf der „Queen Mary 2“, der „MS Europa“ oder der „Sea Cloud“. Einmal begegnete ihm dabei Fernseh-Starkoch Tim Mälzer. Die beiden hatten Spaß. „Ich habe jedenfalls mehr Sterne als du“, beschied ihn Kraupe eines Tages. „Der Spruch wurde zum Running Gag“, freut sich der Planetariumsdirektor noch heute.
Und wenn nun mal jemand zu einem besonderen Anlass gern für jemanden Sterne vom Himmel holen möchte? „Dann kann er den Sternensaal mieten“, sagt Kraupe. „Allerdings nicht für zehn Minuten, da muss man schon etwas mehr investieren. Aber machen lässt sich da was.“ Vielleicht übernimmt Porru dann das Catering.

 

Text: Gisela Reiners Fotos: Martina van Kann
Gisela Reiners war früher Politik-Chefin bei der Tageszeitung „Die Welt“. Sie schreibt heute als freie Autorin über ihre Leidenschaften Stil, Design und Kulinarik.