Der Lebensweg von Anaisio Guedes verlief nicht immer geradeaus, aber er hat ihn an das Ziel seiner Träume geführt. Seit zwei Jahren betreibt der gebürtige Brasilianer die Arte Gallery, das Kunstkaufhaus im Hamburger Flughafen, das auch viel über seine Lebensgeschichte verrät.
Der Mann, der Anaisio Guedes’ Leben veränderte, war zwei Meter groß, blond und, wie er, Brasilianer. „Ich bin in Brüssel am Flughafen gelandet, wollte Geld wechseln, und der Mann hat mir beim Übersetzen geholfen“, erinnert er sich. Guedes war erst 19, als er seiner Heimat den Rücken kehrte. „Ich hatte dort keine Chance“, sagt er. Ein Bett für die Nacht in Belgien hatte er allerdings auch nicht. Erneut konnte sein blonder Landsmann helfen: Er besorgte ihm ein Zimmer in einer Jugendherberge. Guedes buchte drei Nächte – und blieb drei Jahre.
Fast 25 Jahre sind seit der Begegnung am Brüsseler Flughafen vergangen. Und Guedes ist sich sicher: „Wenn ich damals nicht in dieser Jugendherberge gelandet wäre, würde ich heute nicht hier sitzen“, sagt er und lehnt sich in seinen Schreibtischstuhl. Heute ist er jeden Tag am Flughafen, allerdings in Hamburg. Seit zwei Jahren betreibt er die Arte Gallery, das Kunstkaufhaus, im Terminal zwei des Hamburg Airport, direkt neben der Rolltreppe zum S-Bahnhof. „Das ist die erste Gallery überhaupt in einem Flughafen“, erzählt Guedes stolz. Und der Standort sei perfekt. Jeden Tag gehen rund 50 000 Menschen an seinem Geschäft vorbei. „Ich kenne keine andere Galerie, die ähnlich gut frequentiert ist“, sagt er. Zu seinen Kunden gehören Geschäftsreisende, Abholer oder Reisende aus dem Umland, die von Hamburg in den Urlaub fliegen. Auf 120 Quadratmetern verkauft er rund 300 Kunstwerke – in drei Preiskategorien, wie im Flugzeug: Economy, Business und First Class. Die Preise liegen zwischen 119 und 50 000 Euro.
So viel zum Hier und Jetzt. Aber wenn Anaisio Guedes gefragt wird, wie es zu alledem gekommen ist, muss der 43-Jährige etwas weiter ausholen. „Mein Leben besteht aus vielen Zufällen“, beginnt er seine Geschichte. Guedes ist im Dschungel von Paras aufgewachsen, einem Bundesstaat im Norden Brasiliens, direkt am Amazonas, wo seine Eltern eine Farm betrieben und Zuckerrohr und Kakaobohnen anbauten. Als Sechsjähriger zog er mit der Familie nach Sao Paulo – „auch ein Dschungel, aber aus Beton“, sagt er. Dort sah er keine Perspektive – und wanderte schließlich aus.
Paris war sein Ziel, aber Guedes kam nur bis Brüssel. Die Jugendherberge, in der ihn sein blonder Landsmann damals einquartierte, suchte einen Barkeeper. Also übernahm er den Job. „Diese Jugendherberge ist ein magischer Ort“, sagt er heute. Hier begann er, sich für Kunst zu interessieren. Vielleicht auch, weil Vincent van Gogh hier gelebt haben soll. Außerdem traf er dort auf seine Frau, eine Hamburgerin, die ihn mit nach Deutschland nahm. Er lernte die Sprache und begann eine Ausbildung zum Außenhandelskaufmann. „Meine Frau hat gesagt, in Deutschland braucht man so etwas“, sagt er und lacht. Auf die Lehre folgten der Fachwirt und ein BWL-Studium. Später verkaufte er Ersatzteile für Autos und Stoffe für Socken. Aber die Arbeit machte keinen Spaß, weil er die Dinge nie anfassen konnte. Anders als die Kunstwerke.
Diese Geschichte begann vor vier Jahren – und mit 5000 Euro Eigenkapital. Guedes wollte seine eigene Galerie aufmachen, aber die Bank gewährte dafür keinen Kredit; es fehle ihm Kunsterfahrung. Also mietete er eine Fläche in einer Eppendorfer Fußgänger- Passage, ohne Wände und ohne Türen. Jeden Morgen baute er dort seine Galerie drei Stunden lang auf – und abends wieder ab. „Mein Vermieter meinte, ich würde keine zwei Wochen schaffen“, sagt er. Guedes blieb zwei Jahre, bis er vom Leerstand im Flughafen erfuhr. Doch auch hier sollte er nur kurzfristig bleiben, zwei Monate waren verabredet. Nun sind es ebenfalls schon zwei Jahre.
Anaisio Guedes hat seine Heimat gefunden. „Ich bin nun seit 22 Jahren in Hamburg, länger war ich noch nie an einem Ort“, sagt der Vater einer vierjährigen Tochter, der sich vorstellen könnte, auch noch mit 80 Jahren seine Kunst zu verkaufen: „Das alles habe ich nie geplant. Aber ich habe sehr viel dafür getan, seit ich meine Heimat verlassen habe. Ich habe mir einen Traum erfüllt.“ Heute, gibt Guedes zu, würde er sich das nicht mehr trauen.
Sein Leben ist ruhiger geworden, seine aufregende Geschichte aber spiegelt sich in der Arte Gallery wider. Statuen aus Holz als Symbol für seine Kindheit im Regenwald oder Bilder von Stieren, die seine Eltern auf ihrer Farm gehalten haben: „Alles Kunstwerke, die ich auch selber kaufen würde, nur dann kann ich sie gut verkaufen“, erklärt er. Nur eine Person sucht man darin vergeblich: den blonden Brasilianer vom Brüsseler Flughafen. Guedes hat ihn nie wieder gesehen. Aber er würde sich gerne bei ihm bedanken.
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Arte Gallery | Das Kunstkaufhaus
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