Immer mehr Schiffe, die im Hafen festmachen, nehmen keine Container, sondern Menschen mit auf die Reise. Und weil es so viele sind wie nie zuvor, ist Hamburg jetzt Hauptstadt der Traumschiffe.

Die Königin schob sich am späten Abend auf der Elbe stromabwärts, Richtung Nordsee, Atlantik, New York. Das große Trara im Hamburger Hafen hatte sie schon hinter sich. Rund um die Landungsbrücken, an den Ufern von Blankenese, hatten sich wie immer Zehntausende Schaulustige eingefunden, um die berühmte „Queen Mary 2“ zu sehen und den Ozeanriesen auf seine Reise zu verabschieden. Nun fuhr das erhabene Schiff bereits südlich an Glückstadt vorbei, die Elbe strömte leer und weit – nur wir waren auf einem kleinem Segelboot noch hinausgefahren, um die Queen aus nächster Nähe zu sehen.

In weniger als einer Viertelmeile zog sie vorbei, es war fast dunkel auf der Elbe. Die Decks, die Schornsteine, die Kabinen standen hell erleuchtet gegen das schwarze Wasser. Eine Stadt zur See, strahlend hell und bunt beschienen, fast wie ein Wesen: So schwebte das elegante Kreuzfahrtschiff an uns vorbei. Und dann ließ der Kapitän das Schiffshorn erbeben – ein großes Tuten dröhnte über die weite Elbe. Welch freundschaftliche Geste! Denn dies war nichts anderes als ein Gruß. Ein maritimes „Hallo“ von der Grande Dame der Ozeane an ein winziges Segelboot, das da draußen allein auf der Elbe dümpelte und zu später Stunde Spalier fuhr. Wir fühlten uns geehrt.

2012 war ein Rekordjahr. 160 Schiffe machten an den Kaimauern fest und brachten mehr als 430 000 Passagiere in die Hansestadt.

Der 345 Meter lange und 72 Meter hohe Luxusliner der Cunard- Reederei verschwand majestätisch in der Nacht. Und er mag das vielleicht eleganteste Kreuzfahrtschiff sein, das die Hansestadt regelmäßig anläuft. Doch die „QM 2“ ist beileibe nicht das einzige. Denn Hamburg ist schon lange nicht mehr nur der mächtige Industriehafen, den Frachter aus aller Welt ansteuern. Inzwischen strömen neben Stückgut und Containern auch immer mehr Menschen auf die Schiffe und von den Schiffen, die in Hamburg festmachen: Es sind all die Passagiere, die die Stadt inzwischen als wichtigen Kreuzfahrthafen schätzen.

Hamburg steht das gut. Die oft weißen Schiffe schmücken den Hafen in besonderer Weise, schieben sich höchst ansehnlich über die Elbe und wohl kein anderer Schiffstyp dürfte die Fantasie mehr beflügeln. Denn die Kreuzfahrtschiffe stehen schließlich allen offen. Der Traum einer Ozeanreise ist somit real, vollzieht sich direkt vor der Haustür – und gehört inzwischen zu Hamburg wie der Fisch aufs Brötchen.

Dass Hamburg als eine der beliebtesten Kreuzfahrtstädte gilt, hat seinen Grund. Wo sonst können die großen Schiffe fast mitten in die Stadt hineinfahren? Beim Landgang sind die Passagiere schon mittendrin: Michel, HafenCity, Reeperbahn, die Speicherstadt, die nahe Innenstadt und die Alster – von der Gangway und den Terminals sind es nur wenige Minuten und man kann zu Fuß eine der schönsten Metropolen des Nordens erkunden. Dieser Reiz lässt sich auch an Zahlen ablesen und man darf staunen. 2012 war ein Rekordjahr. „Zum Ende der Saison zählten wir in Hamburg 430 329 Kreuzfahrtpassagiere, das entspricht einem Wachstum von 37 Prozent zum Vorjahr“, sagt Gerd Drossel, Vorstandsmitglied des Vereins Hamburg Cruise Center (HCC). Dabei wurde der Hamburger Hafen 2012 insgesamt 160-mal von Kreuzfahrtschiffen angelaufen, 89 Prozent der Passagiere gingen in Hamburg von Bord oder begannen ihre Reise hier.

Hinzu kommen Schiffstaufen, der Hafengeburtstag, die Cruise Days oder Internationale Messen der Branche: Hamburg hat sich zu einer Bühne für die Kreuzfahrtindustrie gemausert und wurde vom Deutschen Kreuzfahrtpreis gar zum „Kreuzfahrthafen des Jahres 2012“ gekürt. In diesem Jahr soll die Zahl der Passagiere sogar noch höher ausfallen: Eine halbe Million Gäste werden 2013 nach Hamburg kommen oder die Stadt verlassen – zur See auf einem Kreuzfahrtschiff. Kein andere deutscher Hafen kann da mithalten.

Fast 70 Prozent der Passagiere auf den Schiffen sind deutsche Gäste, danach kommen die Briten, Franzosen und Italiener. Die Betreiber der großen Pötte dürfte der Ansturm besonders freuen: So sind es inzwischen 21 Reedereien, die für die Saison 2013 34 verschiedene Kreuzfahrtschiffe angemeldet haben.

Hamburg liegt günstig, was das Reisen auf dem Meer betrifft: im Herzen Europas. Auch das dürfte der Stadt als Kreuzfahrtstandort zugute kommen. Von hier aus starten die Schiffe zu beliebten Routen und Zielen. 35 Prozent der weißen Riesen laufen von Hamburg aus an die atlantische Westküste oder steuern englische Häfen am Kanal an. Von dort aus geht es weiter, ins Mittelmeer, über den großen Teich oder hoch in den Norden.

Auch kommen immer mehr der Schiffe im Winter an; die Hamburger Kreuzfahrtsaison dauert mittlerweile bis in den Dezember. Die Wintermonate haben gar zu einer eigenen „Kreuzfahrt- Weihnachtssaison“ geführt. Doch kam dieser Erfolg nicht von ungefähr. Die Kreuzfahrtbranche boomt zwar nach wie vor – doch stehen viele welt- und europaweite Häfen in einem harten Konkurrenzkampf. Logistik, Preise, Angebote und Anbindungen müssen stimmen, die Destination muss rundum attraktiv sein – sonst kommen die Schiffe gar nicht erst.

Der Verein Hamburg Cruise Center trug maßgeblich zum aktuellen Erfolg bei. 1998 taten sich 20 Gründungsmitglieder zusammen, ihr Ziel: das vernachlässigte Kreuzfahrtgeschäft in Hamburg wieder zum Leben zu erwecken. Reedereien, Agenten, Hafenfirmen, Schiffsausrüster sowie Gastronomie- und Hotelbetriebe zogen in den letzten 15 Jahren an einem Strang. Planten, organisierten, heckten Strategien aus. Die Stadt mal eben zu einer erstrangigen Destination für Seereisende zu machen – im globalen Wettbewerb wahrlich keine einfache Aufgabe. Doch wie jeder an den Landungsbrücken und unten im Hafen sehen kann, haben sich die Mühen gelohnt. Jede Woche sind die Cruiseliner dort zu bestaunen, laufen tutend ein und aus. Der Verein hat inzwischen über 90 Mitglieder – und den Beweis deutlich erbracht, dass das Meer noch immer eine faszinierende Bühne zum Reisen ist. Und Hamburg ein begehrtes Ufer.

Schändlich wäre es tatsächlich gewesen, sich seinen Anteil an dem weiterhin stetig wachsenden Markt nicht zu sichern. Im Jahr 2010 zählte die Kreuzfahrtbranche weltweit 19 Millionen Gäste. 2015 sollen dies bereits 25, 2020 gar 30 Millionen Passagiere sein.

Unten am Cruise Terminal in Altona kann man diesen Boom mit eigenen Augen sehen. Da liegen regelmäßig die AIDA-Schiffe, mit ihren roten Knutschelippen am Bug. Über der HafenCity kracht ein Feuerwerk in die Luft, als die „Queen Mary 2“ dort thront, buchstäblich mitten in der Stadt. Die „Magnifica“ läuft ein, weiß wie ein Schwan, und bei den Hamburg Cruise Days sieht man vor lauter Kreuzfahrtschiffen, Schuten, Fähren und flankierenden Segelbooten kaum mehr das braune Wasser der Elbe.

Allein im Mai 2013 werden Kreuzfahrtpötte 38-mal den Hafen anlaufen, 100 000 Passagiere nur in diesem Monat Hamburg über die Gangways betreten. Zum Hafengeburtstag wird die frisch gebaute MS „Europa 2“ in Hamburg getauft, Hapag-Lloyd-Kreuzfahrten wird 16-mal seine Schiffe in die Hansestadt schicken. Die Flotte von AIDA Cruises soll in diesem Jahr gar 72 Anläufe Richtung Michel und Landungsbrücken starten.

Die Hamburger sind den Rummel längst gewohnt. An gleich drei Terminals machen die großen und eleganten Passagierdampfer fest, in Altona, an der Überseebrücke und in der HafenCity. In der Hansestadt mag man das. Ein bisschen weht wieder dieses alte Flair der Passagier-Seefahrt durch die Straßen unten am Hafen. Denn endlich kann man in Hamburg wieder ankommen, wie es sich gehört.

 

Text: Marc Bielefeld Foto: Martina van Kann

Marc Bielefeld ist freier Autor in Hamburg. Er schreibt besonders gern über Flugzeuge und die Schifffahrt. Seine Geschichten erscheinen unter anderem in Merian, ZEIT und Lufthansa Magazin.