Uwe Seeler, Helmut Schmidt, Udo Lindenberg, Beiersdorf, Airbus und Tchibo – sie alle haben ihr Wissen und Können von der Elbmetropole in die Welt getragen. Kluge Köpfe und innovative Unternehmen haben in der Hansestadt Tradition.
Innovative Unternehmen: Airbus Industries ist neben Boeing ist Airbus der größte Flugzeughersteller der Welt, in dessen Werk in Finkenwerder rund 11.800 Menschen arbeiten. Der Superflieger A 380 wird von Hamburg an die Kunden ausgeliefert. Der Hafen ist das Herzstück der Stadt. In Waltershof liegt der Eurogate Container Terminal. Ein Unternehmen, das 1999 durch den Zusammenschluss der Hamburger Firma Eurokai und der Bremer Lagerhaus Gesellschaft entstand.
Kluge Köpfe: Udo Lindenberg startete seine Karriere Anfang der 70er Jahre in Hamburg. Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Musiker, erhielt den Jacob Grimm- Preis für Deutsche Sprache und das Bundesverdienstkreuz für die Verständigung zwischen Ost und West. Ina Müller ist ein Shootingstar in der Entertainerszene und pflegt die plattdeutsche Sprache. Die Grimme- Preisträgerin singt Platt und moderiert TV-Sendungen: Ihre freche Talkshow „Inas Nacht“ mit einem Shanty-Chor im Schellfischposten ist Kult im Norden. Hadi Teheranis Gebäude und sein Design sorgen über die Grenzen Hamburgs hinaus für große Aufmerksamkeit. Der Architekt und Designer begeistert mit seinen innovativen Entwürfen. Sein neuestes Vorzeigeprojekt sind die „Tanzenden Türme“ auf der Reeperbahn.
Kein Mensch kann eine Stadt jemals ganz kennen, geschweige verstehen. Man kennt und versteht immer nur Fragmente von dem, was in ihr gedacht, geträumt, entwickelt, produziert wird. Und wenn die Stadt Charakter hat, eine bewegende Geschichte und eine ebenso bewegende Gegenwart, dann entsteht daraus ein Gefühl. In diesem Fall: ein Hamburg-Gefühl.
An einem sonnigklaren Tag an der Kehrwiederspitze stehen. Sonnenflecken auf der Elbe. Wind von See, Möwengeschrei. Stromabwärts zur Überseebrücke sehen, einem über die Hochbahnbrücke ratternden U-Bahn-Zug zwischen Baumwall und Landungsbrücken folgen und leise für sich sagen: „Kehrwiederspitze.“ Auf einmal glaubt man etwas vom Wesen dieser Stadt zu begreifen. Oder vom Wesen derer, die sie lieben, und was den Hamburger Romancier Hans-Erich Nossack einmal hat schreiben lassen: „Eines Tages kam ein Engel nach Hamburg …“
Dabei ist das eigentlich gar kein Himmel für Engel. Auch an schönen Tagen ist der Himmel über Hamburg zu klar, um lieblich zu sein. Eher ist er von einer strengen Heiterkeit. Nicht überschwänglich, aber großzügig. Herb, frisch, mit einem Anflug von Wärme. Und er ist meerweit. Mehr weit als hoch. Ein Himmel, unter den viele Welten passen. Könnten die Hamburger ihren Himmel selber machen, dann sähe er jeden Tag so aus. Jeder macht sich schließlich den Himmel, der zu ihm passt.
Die Menschen stellen sich ihren Himmel vor und danach machen sie ihre Stadt. Aber die Stadt macht auch ihre Menschen. Nossack wurde von dem Literatur-Papst Reich-Ranicki einmal als „nüchterner Visionär“ charakterisiert. Ein literarischer Doppelgänger des hanseatischen Kaufmanns sozusagen. Ein Hamburger Prototyp.
Wenn hundert Menschen zehn für sie typische Hamburger aufzählen sollten, kann man sicher sein, dass zwei von allen genannt würden: Helmut Schmidt und Uwe Seeler. Beide haben diese gelassene Geste, mit der sie das Außergewöhnliche, das sie kennzeichnet, als das Selbstverständliche darstellen. Die drehten keine Pirouetten, im Strafraum nicht und nicht am Rednerpult. Undenkbar, dass Uwe Seeler erst noch einen umspielte, wenn er den Ball direkt ins Tor befördern konnte. Undenkbar, dass Helmut Schmidt seine Rede mit philosophischen Arabesken verzierte, wenn er mit geradliniger praktischer Vernunft die Argumentationskette des Gegners auseinandernehmen konnte.
Als Uwe Seeler einmal über sich selbst sprechen sollte, was ihm als typischem Hamburger nicht leicht fiel, fasste er all das, was er schließlich nicht gesagt hatte, in einen Satz zusammen, den Helmut Schmidt, wenn auch nach einem langen Gedankengang auf hohem Abstraktionsniveau, letztlich auch hätte sagen können: „Das Schönste auf der Welt ist es, normal zu sein.“ Das ist „Hamburg pur“, vom Werftschlosser im Blaumannleinen bis zum Industriekapitän im englischen Börsenstoff. „Wo wird man denn so wenig durch intellektuelles Geschwätz verwirrt wie hier“, lässt Nossack seinen in Hamburg heimisch gewordenen Engel sagen.
„W0 wird man denn so wenig durch intellektuelles Geschwätz verwirrt wie hier?“
Pragmatismus muss nicht unbedingt Mangel an Phantasie sein, sondern kann auch Skepsis sein an ihrer Effizienz. Und doch: Ohne Phantasie geht es nicht, wie Hamburger Kaufleute, Firmengründer, Produkterfinder immer wieder vorgelebt haben. Auch so ist Hamburg zu Hamburg geworden: durch Ideen und den Mut, sie zu verwirklichen.
Ein Mann hat eine Idee, und die setzt er um: Im März 1949 ist die neue D-Mark noch kein Jahr alt, als der Hamburger Kaufmann Max Herz gemeinsam mit seinem Partner Carl Tchilling-Hiryan einen Versandhandel für ein Genussmittel gründet, das so kurz nach Kriegsende in Deutschland kaum zu haben und extrem teuer war: Kaffee. Sie nannten ihn Tchibo – zusammengesetzt aus Tchilling und Bohne. Und es begann der Aufstieg eines kleinen Kaffeekontors im Hamburger Freihafen, in dem die Mitarbeiter bei Regenwetter unter einem Schirm am Schreibtisch saßen, weil das Dach von Bomben noch löcherig war. Heute ist es ein Milliarden- Unternehmen mit einem Bekanntheitsgrad in Deutschland von 99 Prozent.
Ein Mann hat eine Idee, und die setzt er um: Am 17. August 1949, vier Tage nach seinem 40. Geburtstag, folgt der in Hamburg-Schnelsen ansässige Werner Otto dem Wahlspruch, der ihn sein Leben lang geleitet hat: „Keine Angst vor Fehlern haben.“ Und so traut er seiner Vision und gründet, noch ehe das deutsche Wirtschaftswunder über den Horizont heraufdämmerte, den ersten deutschen Versandhandel nach dem Krieg. Ein Jahr später kam der erste Otto-Katalog auf den Markt. Handgebunden, auf 14 Seiten 28 Paar Schuhe. Ein halbes Jahrhundert später sind zu den Schuhen mehr als 100.000 Artikel im Sortiment hinzugekommen. Zweimal jährlich angeboten in einem Hauptkatalog und rund 60 Spezialkatalogen, deren Gesamtauflage die Dimensionen der Bibel erreicht – über 100 Millionen Exemplare jährlich.
Ein Mann hat eine Idee, und die setzt er um: Als Kurt A. Körber ein Jahr nach Kriegsende nach Hamburg kam, um ein neues Leben anzufangen, hatte er nur einen Koffer bei sich. Aber er besaß ja noch seinen Kopf. Die Beschäftigung des studierten Elektrotechnikers mit der Reparatur von Zigarettenschneidemaschinen in Hamburg-Bergedorf und die Herstellung von Handtabakschneidern ging einher mit seiner Wahrnehmung, dass selbst die leidenschaftlichsten Raucher heimlich Angst vor Lungenkrebs hatten. Und weil er nicht nur ein Techniker, sondern auch ein Mann mit Visionen war, erfand Kurt A. Körber in der 1947 von ihm gegründeten Hauni Maschinenfabrik Spezialmaschinen für die Herstellung von Filterzigaretten. Bald darauf schrie die Welt der Raucher nach Filterzigaretten. 1955 musste Körber eine Flotte viermotoriger Frachtmaschinen chartern, um den explodierenden amerikanischen Markt zu versorgen. Und dabei hatte das Zigaretten-Imperium Reemtsma mit Familiensitz in Hamburg-Othmarschen noch gar nicht seinen Welterfolg Peter Stuyvesant als „Duft der großen weiten Welt“ auf den Markt gebracht, der kam erst vier Jahre später.
Ein Mann hat eine Idee … „Der echte Hamburger“, schrieb der Hamburger Verleger Gerd Bucerius, „ist es gewohnt, Risiken zu tragen und auf eigene Rechnung in die Zukunft zu sehen.“ Ein Satz, wie mit der Goldfeder ins hanseatische Bewusstsein graviert. Also mit einem Hamburger „Montblanc“- Füllfederhalter. Und gemarkert mit einem Hamburger Edding-Stift, um ihn gebührend herauszuheben. Um diese beiden Erzeugnisse, „made in Hamburg“, in die Welt zu bringen, bedurfte es eines freien Blicks auf die Welt.
Die von Berlin nach Hamburg gezogenen Unternehmer August Eberstein und Alfred Nehemias machten im Jahre 1906 auf einer Amerikareise eine Entdeckung: die ersten, gerade entwickelten Füllfederhalter. Und weil sie deren Bedeutung sogleich erkannten, ließen sie 1908 ihre „Filler Pen Co. GmbH“ ins Hamburger Handelsregister eintragen. Die Geburtsstunde einer neuen Schreibkultur, aus der der erste Montblanc-Füllfederhalter mit Kolbenmechanik hervorging. Und 16 Jahre später das „Meisterstück“ der Technik und Ästhetik. Schlank, schlicht und schwarz mit der weißen Kuppe des Montblanc.
Für die Hamburger Kaufleute Carl-Wilhelm Edding und Volker Detlef Ledermann kam die Inspiration aus Japan: Stifte, mit denen man auf allen möglichen Oberflächen schreiben konnte. Filzstifte. Ein möbliertes Zimmer in Hamburg-Barmbek war 1960 die Wiege einer neuen, grafisch konzentrierten und dadurch beschleunigten Textwahrnehmung. Die Welt mochte schreiben, was sie wollte, der Edding-Stift hob hervor, was daran wichtig war. 500 Mark Startkapital verzinsten sich zu einem Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro mit rund 200 verschiedenen Markern für ein geradezu universelles Einsatzgebiet: vom Büroschreibtisch bis zur Raumfähre.
Wir wissen nicht, ob Hamburgs Kaffeekönig Albert Darboven den folgenden Bucerius-Satz gelesen hat. Falls ja, läge es nahe, dass er zu seinem Edding-Stift gegriffen hat – denn der Satz berührt sein Kaufmanns-Credo: „Der Hamburger prangert den guten Durchschnitt an. Besteht auf mehr Sachkenntnis, Erfahrung und Höchstleistung.“
Sachkenntnis, Erfahrung. Albert Darboven machte erst einmal eine Lehre als Außenhandelskaufmann bei einem Hamburger Kaffee- Importeur. Lehrjahre als Einkäufer auf Kaffeeplantagen in El Salvador, Costa Rica, Nicaragua folgten – und mit 24 Jahren übernahm er das fast 100-jährige Unternehmen J. J. Darboven. „Ick heff mit den Schauerslüüd Kaffeesack sleppt“, sagte er später stolz. Ein Kaffeekönig, der den Boden kannte, auf dem sein Reich gegründet war.
Wer heute über den Jungfernstieg geht und an der Ecke Neuer Wall die Auslagen von Juwelier Wempe betrachtet, ahnt nicht das nüchterne Herz hinter all dem Gold, dem Platin und den Brillanten. Zu den reinen Luxus-Artikeln gehört nämlich auch ein ebenso schlichtes wie kompliziertes Zeitmessgerät, das nicht dem Schmuck, sondern allein dem Zweck und der Präzision verpflichtet ist: der Chronometer für die Seeschifffahrt. Herbert Wempe hatte 1938 die Hamburger Chronometerwerke nicht zuletzt mit der Absicht übernommen, für seine Uhrmacher jene besondere Qualität handwerklicher Ausbildung zu sichern, die für die Herstellung und Wartung von Schiffschronometern unerlässlich war und ist.
Ein echter Hamburger ist es gewohnt, auf eigene Rechnung in die Zukunft zu sehen.
Ein Mann hat eine Idee, und in ihr findet er seine Lebensaufgabe – vorausgesetzt, er kann sie realisieren. In ihrem Labor in Hamburg-Eimsbüttel suchten der Apotheker Oscar Troplowitz, Inhaber der Firma P. Beiersdorf & Co., und sein Dermatologe Paul Gerson verzweifelt nach einer Methode, Öl, Wasser und Glycerin zu verbinden, um ihre Vision von einer „Hautcreme für alle“ zu verwirklichen. Doch sie waren keine Chemiker… Eines Tages im Jahr 1911, der Hamburger Elbtunnel wurde gerade eingeweiht, stießen sie auf ein Patent des Chemikers Isaac Lifschütz, dem genau dies mit Wollfett von Schafen gelungen war. Sie setzten noch Zitronensäure hinzu, Rosen- und Maiglöckchenöl für den Duft und erhielten eine Creme, weiß wie Schnee. So nannten sie sie dann auch: Nivea, nach dem lateinischen Wort für Schnee.
Doch sie wurde kein Erfolg. Erst als der neue Beiersdorf-Werbeleiter Juan Gregorio Clausen 1925 beim ersten Marken-Relaunch der Industriegeschichte die blaue Nivea-Dose erfand, nahm die Weltrevolution der Hautpflege ihren Lauf. Aus einer Dose, nicht zufällig blau wie das Meer. Denn ihr Erfinder hatte es zuvor als Fregattenkapitän befahren. Womöglich auf einem der vielen Kriegsschiffe, die bei Blohm + Voss auf dem Steinwerder vom Stapel gelaufen sind. Oder auch in Glasgow bei der für ihre Kriegsschiffe berühmten Werft „Fairfield Shipbuilders“.
Dort hatten die Hamburger Ingenieure Hermann Blohm und Ernst Voss so viel vom Schiffbau gelernt, dass sie 1877 vom Hamburger Senat ein Areal auf dem Kuhwerder pachteten, um dort nun selbst Schiffe zu bauen. Sie bauten auf eigene Verantwortung und eigene Kosten. Die Hamburger Reeder ließen ihre Schiffe in England bauen. Blohm + Voss war jedoch nicht nur eine Werft, es war auch eine Idee. Und 1891 traten zwei der berühmtesten Hamburger Reeder, Carl Laisz und Adolph Woermann, als Vorsitzende in den Aufsichtsrat ein. Hamburg hatte „seine“ Werft.
Als die Gründerväter nicht mehr am Leben waren und mit Rudolf und Walter Blohm die nächste Generation die Werft übernommen hatte, zeichnete sich ab, dass das Tor zur Welt künftig nicht mehr allein aufs Meer hinaus, sondern auch in den Himmel führen würde. 1933 gründete Walter Blohm das Tochterunternehmen Hamburger Flugzeugbau GmbH in Finkenwerder. Wo 1969 eine neue Ära im Flugzeugbau begann: das deutsch-französische Airbus- Programm.
Nun müsste eigentlich noch von den großen Hamburger Reedereien erzählt werden, von Kajen und Kränen und den Schiffen, die kommen und gehen. „Aber das sind doch Selbstverständlichkeiten“, lässt der Hamburger Romancier Nossack seinen Engel sagen und verweist stattdessen auf die Luft und die Atmosphäre über dem Hafen.
Und so kehren wir zur Kehrwiederspitze zurück. Sehen auf Hafen und Hochbahn, riechen den Strom und begreifen plötzlich Heinrich Heines reichen Onkel Salomon. Als dem Bankier im Mai 1842 die Nachricht von dem großen Hamburger Brand in sein Haus an der Elbchaussee überbracht wurde, fragte er nur, ob auch die Elbe abgebrannt sei. Nein, natürlich nicht. Und er sagte: „Also ist nichts verloren.“
PS: Was übrigens Nossacks Engel betrifft: Sieht so aus, als sei er immer noch in der Stadt.
Text: Uwe Prieser Illustration: Johannes Herrmann
Uwe Prieser ist Schriftsteller und Journalist. Für seine arbeit wurde er unter anderem mit dem Egon Erwin Kisch-Preis ausgezeichnet.