Er gehört zu den großen Attraktionen der Stadt. Denn der Marktschreier Dieter Bruhn, besser bekannt als AALE-DIETER, verkauft nicht nur Fisch auf dem Hamburger Fischmarkt, sondern ist auch einer der besten Markenbotschafter der Stadt. Ein Gespräch über Verkaufspsychologie und Vertrauen, Marketing und Meetings, Zoten und Flickflacks auf dem LKW.

Herr Bruhn, Hamburg und inzwischen auch der Rest Deutschlands kennen Sie als Fisch verkaufenden „aale-Dieter“. Sie gelten als Verkaufsgenie. Gibt es ein erfolgsrezept?

Dieter Bruhn: Wichtig ist, dass man mit Menschen umgehen kann. Du musst sie öffnen, musst sie dazu bringen, dass sie dir zuhören. Dann ist der Rest fast ein Kinderspiel.

Hört sich tatsächlich einfach an. Wie genau machen Sie es?

Bruhn: Man muss auf die Leute zugehen, darf keine Hemmungen haben. Man muss versuchen, sich in sie hinein zu fühlen. Auch Selbstbewusstsein gehört dazu. Empfindlichkeiten kann man sich nicht leisten. Aber, ganz wichtig: Man muss seinen eigenen Weg dabei gehen! Bloß nicht versuchen, die Kopie von jemandem zu sein. Kunden merken das. Man kann keinen anderen Menschen kopieren.

Kann man das lernen oder ist es eine Sache der Gene?

Bruhn: Ich sage immer, in jedem Menschen steckt ein Verkäufer. Menschen sind geborene Selbstdarsteller.

Wie meinen Sie das?

Bruhn: Sie gucken doch auch jeden Morgen in den Spiegel und überlegen sich, wie Sie Ihre Schokoladenseite betonen können? Jeder achtet darauf, einigermaßen gut auszusehen, ein bisschen redegewandt zu wirken. Gut, es gibt auch Leute, die lassen sich gehen. Denen ist es egal, wie sie auf andere wirken. Manche waschen sich noch nicht einmal und merken nicht, dass sie andere dadurch abschrecken. Auf Distanz halten. Normalerweise aber versucht jeder, eine gewisse Wirkung zu erzielen. Das meine ich mit sich darstellen.

Es ist doch aber ein Unterschied, ob ich mich morgens vor dem Spiegel allein teste oder vor Fremden, womöglich vielen, ein Produkt anpreise.

Bruhn: Das stimmt. Um in der Öffentlichkeit Wirkung zu entfalten, muss man auch Spaß daran haben, sich darzustellen.

Das ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache. also doch eine lernfrage? Oder angeboren?

Bruhn: Bis zu einem gewissen Grad kann man es lernen. Ich mache ja auch Verkaufsschulungen. Da sage ich immer, eine Portion Freiheit im Geist gehört beim Verkaufen dazu. Aus einem gehemmten Intellektuellen machen Sie keinen Verkäufer. Auch ein gewisses Temperament muss da sein. Wenn ich zum Beispiel zu einer Veranstaltung eingeladen bin und in den Saal stürme, dann ist das so, als ob ein Motor angestellt ist, und der läuft und läuft und läuft.

Verkaufen ist Psychologie, sagen Experten. haben Sie Seminare besucht?

Bruhn: Als ich anfing damals, als LKWFahrer für Aal-Wilhelm – das war ein Bekannter meines Vaters – da hatte ich null Ahnung vom Verkaufen. Irgendwann hat der Wilhelm zu mir gesagt: „So, Dieter, jetzt steigst du mal rauf auf die Rampe und verkaufst auch was.“

Und?

Bruhn: Ich konnte das. Einfach so. Die Leute blieben stehen und guckten: Was ist das denn für einer? Was quatscht der denn da? Hinterher hab’ ich das verfeinert. Ich hab so eine Art Flickflack im Wagen gemacht. Bin rauf an die Decke gesprungen, damit die Leute guckten und stehen blieben. Man muss sich was einfallen lassen, um aufzufallen. Um besser zu sein als die Konkurrenz.

Um Kunden anzulocken, schrecken Sie auch heute noch vor nichts zurück. Zoten und Anzüglichkeiten sind ihr Markenzeichen. Was machen Sie, wenn sich Kunden beleidigt fühlen?

Bruhn: Ach, das kommt selten vor. Ich habe zwar manchmal eine raue Verkaufsart…

Das nennt man Rampensau…

Bruhn: Ich nehme das als Kompliment. Aber die meisten Menschen mögen und verstehen meine Art des Verkaufens. Und die wenigen, die es missverstehen, denen ist nicht zu helfen. Die Masse will unterhalten werden, deshalb kommt sie zu mir, und genau das gebe ich ihnen. Ich bin ein unterhaltender Verkäufer. Ein bisschen derbe, aber mit Herz.

Sie stehen seit 52 Jahren auf dem Fischmarkt. haben sich die Kunden verändert?

Bruhn: Die ganze Welt hat sich verändert. Würden mein Vater oder mein Großvater heute noch mal auf die Welt kommen, sie kämen nicht mehr zurecht. Allein schon die Qualität der Lebensmittel…

Was meinen Sie?

Bruhn: Na früher, da kamen die Äpfel so, wie sie gepflückt wurden, an den Verkaufsstand. Gucken Sie sich die Ware heute mal an. Kein Pickel, kein Fleck, alles glänzt. Ich möchte lieber nicht wissen, wie es dazu kommt. Und dann die Vielfalt. Heute können Sie in jedem Supermarkt alles kaufen.

Macht das große angebot den Job schwieriger?

Bruhn: Kommt drauf an, was der Kunde will. Gibt er sich mit genussfähig zufrieden, ist alles gut.

Sie sagen das mit einer merkwürdigen Betonung?

Bruhn: Wie soll ich es sagen? Ich will niemanden beleidigen. Aber Genuss, das ist doch, wenn unsere Zunge, unser Gaumen etwas schmeckt, das Wohlgefühl in uns auslöst. Hmmm, lecker und dann läuft der Speichel. Aber genussfähig? Das sind auch Lebensmittel, die gerade noch genießbar sind.

Reden wir von mogelpackungen?

Bruhn: Das haben Sie gesagt. Meine Einstellung ist: Lieber mehr Geld für etwas Gutes ausgeben und es nicht so häufig essen, als wenig Geld für ein großes Paket ausgeben, das seinen Preis trotzdem nicht wert ist.

Qualität hat ihren Preis.

Bruhn: Genau. Es hat auch etwas mit wertschätzen zu tun.

Ein altmodisches Wort.

Bruhn: Ist es deshalb schlecht? Ich achte immer auf Qualität. Man kann sich seinen Namen so schnell versauen. Ich habe schon früher nichts Minderwertiges verkauft. Lieber habe ich die Klappe gehalten. Aber ich will niemandem etwas vorschreiben. Für viele Menschen ist die wirtschaftliche Lage schwierig. Manche wollen viel für wenig Geld. Und so gehen sie dann einkaufen. Aber das müssen sie selbst wissen. Jeder nach seiner Fasson, das ist mein Motto.

Verkaufen und werben, neudeutsch Marketing, reizt viele junge menschen als Beruf. Was können Sie denen sagen?

Bruhn: Ach, ich bin nicht so der Typ Besserwisser und Ratgeber. Ich will, dass die Leute Spaß haben, die mich engagieren. Klar gibt es Eckpunkte, die ein guter Verkäufer kennen muss. Aber viel wichtiger ist eine sympathische Ausstrahlung und dass man ein Typ ist. Das ist angeboren. Das gewisse Etwas, das hat nicht jeder. Ich merke das an den Reaktionen, wenn ich bei der Telekom oder Sport five sozusagen als Aufmunterung vor der Verkündung des drögen Zahlenmaterials auftrete. Die Leute sind total froh, wenn ich sie mit meiner Verkaufsshow zum Lachen bringe. Ist ja auch kein Wunder. Die sitzen da stundenlang in den Meetings, der Hintern tut weh, der Kopf raucht, das ist ja fast wie früher in der Schule. Und dann komme ich und verbreite gute Laune.

Aale-Dieter, der Fischmarkt, das sind zwei Begriffe, die zu Hamburg gehören. Wie hat sich denn ihre Heimatstadt in den Jahrzehnten verändert?

Bruhn: Ich bin durch und durch Hamburger. Dieser Stadt gehört mein Herzblut. Weltweit wird sie mit dem Hafen als sehr attraktiv wahrgenommen. Ich wünsche mir, dass das so bleibt. Wir haben so viel wunderschöne, alte Bausubstanz, die wir erhalten müssen, die nicht zerstört werden darf. Ich hoffe, dass die Stadtväter auch zukünftig die Balance hinkriegen, diese Spuren der Zeit zu bewahren.

Dieter Bruhn alias „Aale-Dieter“, 72, ist seit vielen Jahren Garant für einen gelungenen Besuch des Hamburger Fischmarktes – ob in Hamburg oder auf der jährlich in mehreren Städten stattfindenden Fischmarkt-Tour. Das weit über Deutschlands Grenzen hinaus beliebte Hamburger Original verkauft seit 52 Jahren auf dem Fischmarkt. 2002 vom Manager Magazin in die Riege der Top-10-Verkäufer in Deutschland gewählt, ist „Aale-Dieter“ heute auch ein erfolgreicher Verkaufstrainer vieler renommierter, vertriebsorientierter Unternehmen. www.aaledieter.de

Text: Martina Goy Illustration: Alessandro Argentato

Martina Goy ist Chefreporterin der „Welt“-Gruppe Hamburg