Weil immer mehr Menschen ohne eine Krankenversicherung leben müssen, gründete PROFESSOR DR. PETER OSTENDORF die „Praxis ohne Grenzen“. Menschen in Not werden hier von ehrenamtlichen Ärzten kostenlos und auf Wunsch anonym behandelt.

Erfüllung eines erfolgreichen Medizinerlebens: Dr. Peter Ostendorf erfuhr fast grenzenlose Unterstützung von Kollegen, Privatpersonen und Unternehmen aus der Industrie.

Eine Infektion mit hohem Fieber, Schmerzen im Unterleib, Herzbeschwerden… Wer erkrankt, genießt normalerweise ein Grundgefühl existenzieller Sicherheit: Er kann zum Arzt gehen. Doch immer mehr Menschen hierzulande leben ohne diese gesundheitliche Absicherung, weil sie sich keine Krankenversicherung leisten können. „Mit oft katastrophalen Folgen, medizinischen, aber auch sozialen, wie dem Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben“, sagt der langjährige Chefarzt für Innere Medizin am Hamburger Marienkrankenhaus, Professor Dr. Peter Ostendorf. Alarmiert und berührt vom Elend der Nichtversicherten, entschloss sich der Arzt aus Passion, der auch mit 75 Jahren noch an dem vom ihm ins Leben gerufenen Zentrum für Präventivmedizin am Marienkrankenhaus praktiziert, „diesen Ärmsten der Armen“ zu helfen. Die „Praxis ohne Grenzen“ entstand. Seit Anfang Mai können sich in ihren Praxisräumen in Hamburg-Horn Menschen ohne Krankenversicherung kostenlos von ehrenamtlich arbeitenden Ärzten behandeln lassen.

Asylanten, Zuwanderer aus neuen EU-Ländern wie Rumänien, Bulgarien, die zum Teil keine Chance auf eine sozialversicherungspflichtige Arbeit haben. Ausländer ohne Papiere, Obdachlose, Bundesbürger, die durch eine Insolvenz in Not geraten sind. Die Bedürftigen erhalten neben der notwendigen akuten Versorgung auch präventive Beratung und Behandlung etwa bei Schwangerschaften oder Infektionen wie Tuberkulose oder HIV. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2011 rund 137 000 Bundesbürger nicht krankenversichert. Experten gehen von einer Dunkelziffer in gleicher Höhe aus, weil viele ihre Notlage aus Schamgefühl nicht offenbaren und erst in akuter Not zum Arzt gehen.

Noch wesentlich höher ist die Dunkelziffer bei Ausländern ohne Papiere, die aus Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden, nicht zum Arzt gehen. Schätzungsweise bis zu 20 000 allein in Hamburg. Sie werden in der „Praxis ohne Grenzen“ mit ausdrücklicher Zustimmung der Behörden auch anonym behandelt. Als Peter Ostendorf im vergangenen Oktober daran ging, seine Idee einer kostenlosen medizinischen Versorgung für Bedürftige zu realisieren, ahnte er nicht, dass daraus ein Dauerlauf durch offene Türen werden würde. „Ich hatte nicht erwartet, so viel Unterstützung zu bekommen.“

Der Geschäftsführer der Seniorenheimgruppe „Pflegen & Wohnen“ erfuhr von Ostendorfs Projekt und bot ihm spontan kostenlos drei Praxisräume im Seniorenzentrum Horn an. Ostendorf: „Da wusste ich, jetzt kann ich anfangen, denn die Unkosten durch Miete hätten mich schon ein bisschen abgeschreckt.“ Das Marienkrankenhaus, Mitglied des Business Club Hamburg, stiftete das Mobiliar aus einer gerade stillgelegten Intensivstation und übernimmt zunächst auch die Kosten für Laboruntersuchungen. Zwei Stiftungen und zwei Hamburger Großunternehmen stiegen mit erheblichen Summen in das Projekt ein. Dazu Förderer, die sich dem gemeinnützigen Verein „Praxis ohne Grenzen“ anschlossen. Die Industrie spendete Untersuchungsgeräte oder gewährte „riesengroße Rabatte“.

Ein Ultraschallgerät für die Gynäkologen kam als Spende vom Hersteller. Für ein anderes, sehr viel größeres für Herz- und Gefäßuntersuchungen, gab es einen Rabatt von 62 Prozent. Ostendorf: „Wir wollen mit unseren Geräten auf dem aktuellen Stand sein und nicht für arme Bürger mit armen Geräten arbeiten.“ Einen großen Teil der Medikamente spendet eine ärztegenossenschaftliche Firma oder gewährt Rabatte bis zu 60 Prozent. Die Hamburger Einrichtung „Menschen in Not“ hilft ebenfalls mit Medikamenten.

„Doch müssen wir weitere Förderer und Sponsoren für die laufenden Unkosten gewinnen“, erklärt Ostendorf. Denn die Behandlungskosten können auch plötzlich explodieren. Eine Koronar-Bypass-Operation, für die die „Praxis ohne Grenzen“ in Bad Segeberg aufkam, kostete 26 000 Euro. Als die „Praxis ohne Grenzen“ am 23. April in Hamburg- Horn offiziell eröffnet wurde, gehörten sieben ehrenamtliche Ärzte zum Team. Keine zwei Wochen später war das Team auf 19 Mediziner angewachsen, Internisten, Gynäkologen, HNOÄrzte. Sechs Krankenschwestern sorgen für Pflege und Betreuung, eine Handvoll Dolmetscher steht für die Kommunikation bereit, denn erwartet werden Patienten aus vier Kontinenten und mehr als einem Dutzend Ländern.

In der Startphase wird die „Praxis ohne Grenzen“ mittwochs von 15 bis 18 Uhr geöffnet sein. Doch Peter Ostendorf ist auf einen rasanten Zulauf und damit auf eine Ausdehnung der Sprechstunden vorbereitet.

Denn: „Die Ausgrenzung dieser Menschen aus einem Gesundheitssystem, das jährlich mehr als 300 Milliarden Euro ausgibt, ist unerträglich und beschämend.“ Und ein persönliches Motiv kam noch hinzu: „Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben, was ich in meinem erfüllten Leben als Arzt selbst von der Medizin bekommen habe.“

Text: Uwe Prieser     Foto: Martina van Kann

 

PRAXIS OHNE GRENZEN-HH
club!-Leser, die die Praxis ohne Grenzen als Förderer oder Spender
unterstützen möchten, können das unter folgender Bankverbindung tun:
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IBAN: DE46200505501001232816
BIC: HASPDEHH