Eigentlich wollte GÜNTER ERDMANN ein Star in der Zirkusmanege werden. Stattdessen ist seine Bühne der Gerichtssaal. Doch für seine Jugendliebe hat der Rechtsanwalt immer noch ein großes Herz.
Günter Erdmann, Geschäftsführer in der Anwaltskanzlei SCHLARMANNvonGEYSO, unterstützt Zirkusunternehmen bei juristischen Problemen.
Kinderträume, die erst im Erwachsenenalter erwachen, haben oft eine Kraft, dass sie das Leben verändern oder beeinflussen können. Der Rechtsanwalt Günter Erdmann hatte einen solchen Kindertraum mitten in seinem Jura-Studium. „Wenn ich nicht Rechtsanwalt geworden wäre“, sagte er dreißig Jahre später, „dann wäre ich wahrscheinlich Clown geworden. Oder Zirkusdirektor.“ Das freie Artistenleben beim Zirkus war für ihn eine faszinierende Gegenwelt zur strengen Norm der Paragraphen, die er als Student täglich zu verinnerlichen hatte. In einer Pantomimenausbildung, die er neben dem Studium absolvierte, konnte er sein anderes Ich erleben, das im Hörsaal nicht angesprochen wurde. In einer Phase des Selbstzweifels trieb es den jungen Jura-Studenten, gefangen zwischen den Folianten von Wirtschaftsrecht, Verwaltungsrecht, öffentliches Recht auf das Heiligengeistfeld, wo gerade ein Zirkus gastierte. Dort wollte er Antworten auf seine Fragen nach einer sinnvollen Existenz finden. „Ich musste unbedingt den Clown sprechen!
Von dem Clown erfuhr er, dass der Zirkustraum nur von außen wie ein Traum aussähe. Anderentags erfuhr er es am eigenen Leibe, als sich sein später Kindertraum erfüllte: Er wurde Clown. Für einen Vormittag. Der professionelle Zirkus-Clown hatte ihn als Clown geschminkt. „Und jetzt gehst du so, wie du bist, in den Hauptbahnhof“, sagte er. „Es war eine einschlägige Erfahrung“, erzählt Erdmann: Der Clown wurde im Zirkus geliebt – im öffentlichen Leben jedoch wurde er nur als Außenseiter, mitunter störender Außenseiter, wahrgenommen. Rund 25 Jahre später trafen beide Welten in Erdmanns Leben zusammen. Er wollte seinen 50. Geburtstag unter dem Himmel eines Zirkuszeltes feiern „mit Zirkusmusik und Darbietungen aus dem Zirkusprogramm“. Als er „seinen Zirkus“ suchte, wurde er ein zweites Mal jäh mit der Realität seiner Traumwelt konfrontiert. Ein Zirkusdirektor hatte für viel Geld ein schönes neues Zelt gekauft und aufgebaut. Dann erschien das Gewerbeaufsichtsamt und fragte nach der „Zeltstatik“. Hatte er nicht. Hatte er noch nie gehört. Musste er aber haben, und zwar ausgestellt von einem anerkannten Statiker.
„Er war völlig aufgelöst“, erzählt Günter Erdmann, „denn die wollten ihm den Zirkus schließen. Wir haben dann auf die Schnelle eine Statik besorgt und ich habe mit den Behörden verhandelt und es schließlich hingekriegt, dass der Zirkus spielen konnte.“ Von diesem Tag an war und blieb das Leben des Rechtsanwalts mit der Zirkuswelt verbunden. Er nahm Kontakt mit dem Schaustellerverband auf und hinterlegte dort seine Bereitschaft, Zirkusunternehmen in rechtlichen Fragen jederzeit zur Verfügung zu stehen. „Pro honore“ – ohne Honorar. „Die Zirkusbetriebe sind doch Selbstaufopferungsbetriebe“, sagt er. „Meistens Familienbetriebe, die oft am Existenzminimum hängen und in unserer Gesellschaft ein Schattendasein führen. Dabei nehmen sie doch eine schöne und wichtige Aufgabe wahr; nicht nur für unsere Kinder.“
wahr; nicht nur für unsere Kinder.“ In der Zirkuswelt hat sich das längst herumgesprochen. Wenn es wieder einmal Schwierigkeiten mit den Behörden gibt um Genehmigungen, mit der Einhaltung von Grenzabständen, um Sicherheitsauflagen und dass das Flatterband an der richtigen Stelle hängt, dann heißt es: Erdmann fragen. Der löst das Problem! „Unsere Welt ist so kompliziert geworden“, sagt er, „das ist aber nicht die Welt, in der Zirkusleute sich auskennen. Da muss man helfen.“ Wenn die Artisten uns schon ohne Netz und doppelten Boden in ihre Traumwelt entführen, sollen sie wenigstens rechtlich auf sicherem Boden stehen. Und eines Tages erfüllte sich für Günter Erdmann dabei auch noch sein zweiter verspäteter Kindertraum: Er wurde Zirkusdirektor!
„Das war ein kleiner Familienzirkus“, erzählt er. „Eltern, Kinder – jeder hatte in der Vorstellung seine Nummer. Doch der Vater war krank geworden und konnte nicht als Direktor auftreten. Der Sohn konnte es auch nicht machen, weil er sich um die Tiere kümmern musste. Und da bin ich eingesprungen. Ich habe Frack und Zylinder angezogen und durfte als Direktor den Zirkus präsentieren.“ „Hereinspaziert!“ Ganz unvorbereitet für die Erfüllung dieses alten Traums war der Rechtsanwalt Erdmann freilich nicht. „Denn es gehört ja auch zu unserem Beruf als Rechtsanwalt, dass man gewisse schauspielerische Fähigkeiten haben muss, wenn man vor Gericht auftritt und alle Saiten des Instruments spielen muss, was Theatralik, Sprachlichkeit und Gestik anbelangt.“ Das hatte er zum ersten Mal als Clown an einem Vormittag im Hamburger Hauptbahnhof trainiert.
Text: Uwe Prieser Foto: Martina van Kann
Uwe Prieser ist Schriftsteller und Journalist. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Egon Erwin Kisch-Preis ausgezeichnet.