Eine Stadt erkennt die Zeichen der Zeit: Die Metropolregion Hamburg wird zum Zentrum erneuerbarer Energien.
Hamburg wandelt sich: Die Wirtschaft der Stadt, einst von der Prosperität des Hafens abhängig, steht zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts auf jungen, stabilen Beinen. Die digitale Wirtschaft beispielsweise wächst kräftig – Hamburg hat den großen Schritt vom Ship zum Chip erfolgreich geschafft. Eine ähnlich nachhaltige Veränderung erlebt momentan die Energiewirtschaft der Metropolregion: Biogasbetriebe werden gegründet und an die Börse gebracht, Windkraftunternehmen angesiedelt, Solaranlagen gebaut, es wird geforscht, entwickelt und gelehrt. Hamburg powert.
Die Hansestadt entwickelt sich zu einem führenden Standort
der Branche für Erneuerbare Energien.
Fast 1500 Unternehmen mit 25 000 Beschäftigten, davon 14 500 in der Stadt Hamburg, sind bereits heute in der Metropolregion tätig. Damit ist die Zahl der Jobs rund um die Solar-, Wind- und Bioenergie in nur drei Jahren um mehr als 50 Prozent gewachsen. Das geht aus einer Prognos-Studie hervor. Und das scheint erst der Anfang zu sein: Die Unternehmen erwarten ein weiteres Beschäftigungsplus von 40 Prozent bis 2015. Jan Rispens, Geschäftsführer des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg, das 160 Mitglieder hat, sieht eine „deutliche Sogwirkung“. Der Erfolg nährt den Erfolg.
Ein kurzer Blick zurück: 2001 hatte die Stadt Hamburg unter schwarz-grüner Ägide ihre Mehrheit an den Hamburgischen Electricitäts- Werken (HEW) an Vattenfall Europe verkauft. Sechs Jahre später bezeichnete Bürgermeister Ole von Beust diesen Deal als schweren Fehler, denn ein staatliches Monopol sei „durch ein Quasi- Monopol auf privater Seite ersetzt worden“. Auch für Ralph Kampwirth, Sprecher des ökostroma-Anbieters Lichtblick, war das ein „schlechtes Geschäft für die Hansestadt“. Die hatte 2003 auch HeinGas verkauft – an E.ON Hanse. 2009 machte der Senat dann eine „Rolle rückwärts“: Er gründete Hamburg Energie. Eigentümer des privatwirtschaftlich organisierten Energieunternehmens wurden die der Stadt gehörenden Hamburger Wasserwerke. Zusammen mit der Hamburger Stadtentwässerung bilden sie heute das Unternehmen Hamburg Wasser.
Ziel von Hamburg Energie sollte vom ersten Tag an sein, eine „nachhaltige Energieversorgung für die Stadt aufzubauen“, wie Geschäftsführer Michael Beckereit sagt. Nachdem sich der Senat im Masterplan Klimaschutz zwar dazu verpflichtet hatte, die Kohlendioxid- Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu verringern, den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg durch Vattenfall aber nicht verhindern konnte, fiel Hamburg Energie die Rolle zu, verloren gegangenen energiepolitischen Einfluss zurückzugewinnen. Dafür setzt sich das Unternehmen seither ein.
Hamburg Energie tritt zum einen neben Vattenfall als Energieerzeuger auf. Dafür hat das Unternehmen unter anderem eine Photovoltaikanlage auf der ehemaligen Mülldeponie in Georgswerder und drei Windenergieanlagen bauen lassen. Außerdem setzt das Unternehmen auf Energieproduktion durch Biomasse und Tiefengeothermie. Stichwort: Kraft-Wärmekopplung. „Das ist eine sehr effiziente Erzeugung“, lobt Beckereit die umweltfreundliche Herstellung von Strom und Wärme gleichzeitig.
Außerdem verkauft Hamburg Energie klimafreundlich produzierte Energie. Das Unternehmen hat in Hamburg und Umgebung gut 80 000 Strom- und mehr als 10 000 Gas-Kunden. Konkurrent Lichtblick hat bundesweit sogar über 500 000 Abnehmer von Strom, 75 000 davon in der Metropolregion. Das Unternehmen, das seit Ende der 90er Jahre aktiv ist, ist damit größter Ökostromanbieter Deutschlands. Hinzu kommen 87 000 Kunden, die von Lichtblick Erdgas kaufen, dem Biogas beigemischt ist. Hamburg Energie bietet Strom, Wärme und Erdgasprodukte. Das enthaltene Biogas wird in der Kläranlage Köhlbrandhöft gewonnen. „Klimaschutz lebt vom Mitmachen, deswegen bieten wir unseren Kunden möglichst günstige Preise“, erklärt Michael Beckereit.
Derzeit verkauft Hamburg Energie eine Kilowattstunde Strom für 21,9 Cent, Lichtblick verlangt 24,1 Cent. „Wir können diese niedrigen Preise nicht nachvollziehen“, sagt Ralph Kampwirth. Er vermutet verdeckte Subventionen von Hamburg Wasser an Hamburg Energie: „Das kann sich sonst nicht rechnen.“ Michael Beckereit weist diesen Vorwurf entschieden zurück: „Quersubventionierungen finden nicht statt. Und das positive Jahresergebnis nach nur drei Jahren im Markt zeigt, dass wir profitabel arbeiten.“ 2011 wies man einen Verlust von 1,4 Millionen Euro aus, für 2012 wird erstmals ein Gewinn von etwa 700 000 Euro erwartet.
Es herrscht ein knallharter Wettbewerb in Hamburg unter den Anbietern von Energie.
Dazu muss man wissen: Die Branche arbeitet vornehmlich bilanziell. Ein Stromanbieter bewegt nur Zahlen, er kauft und verkauft Mengen, ist aber nicht verantwortlich dafür, dass der Strom auch tatsächlich aus der Steckdose der Wohnung in Harvestehude oder der Schlosserei in Altona kommt. Grundversorger ist Vattenfall. Ihren Strom kaufen können die Hanseaten aber eben auch bei Lichtblick oder Löwenzahn, Stromio, Yello, Grünwelt, Goldpower oder einem der anderen über 100 Stromanbieter. „Der Wettbewerb am Strommarkt in Hamburg funktioniert gut“, betont Ralph Kampwirth. Ein Anbieterwechsel ist denkbar einfach: Tarife kostenlos im Internet vergleichen, den passenden Anbieter anschreiben, den Vertrag unterschreiben – das war es. Um die Kündigung des alten Vertrages zum nächstmöglichen Termin kümmert sich der neue Stromanbieter.
Die Energiewende, die die Wirtschaft erst noch hinbekommen muss, haben viele Verbraucher bereits vollzogen: Sie verlangen „sauberen“ Strom. Der wird von so manchem Stromanbieter offeriert. Doch auch beim Ökostrom ist nicht alles Gold, was glänzt. Ein Nutzen für die Umwelt wird nur erzielt, wenn der Ökostrombezug zum Ausbau der Erneuerbaren Energien beiträgt. Der Versorger Hamburg Energie verspricht, dass immerhin 50 Prozent der Menge, die ein Verbraucher heute bei ihm bestellt, in den nächsten fünf Jahren durch eigene Anlagen regenerativer Energie erzeugt werden.
Je mehr Energie aus Solar- oder Windkraft hergestellt wird, desto größer wird das Problem, die benötigte stabile Netzfrequenz von 50 Hertz zu gewährleisten.
Schließlich fließt Sonnenstrom nur, wenn die Sonne scheint,
Windstrom nur, wenn es weht.
Dann aber oft sogar mehr, als das Netz verkraften kann. Es gilt, Spannungsausschläge nach oben und unten, zu verhindern. Dafür wird sogenannte Regelenergie benötigt. Diese liefert auch Lichtblick: Das Unternehmen hat dafür gerade 500 kleine Blockheizkraftwerke zusammengeschlossen, 300 davon stehen in und um Hamburg. Diese erzeugen Strom und Wärme. Der Strom wird als Regelenergie bei Bedarf zur Stabilisierung ins Netz eingespeist, die Wärme vor Ort in den Gebäuden genutzt, zum Beispiel in Häusern der SAGA. Lichtblick möchte eines Tages 100 000 kleine Erzeugungsanlagen zu einem virtuellen Kraftwerk bündeln und auf diese Weise, so Kampwirth, „die Leistung von zwei Atomkraftwerken ersetzen“.
Hamburg Energie fährt einen ähnlichen Kurs: Das städtische Unternehmen hat in diesem Jahr 40 kleinere, vor allem Biogasanlagen mit einer Gesamtleistung von 15 Megawatt zusammengeschaltet. Der Clou: Fließt zu viel Strom ins Netz, können diese Anlagen vom Netz genommen werden. „Das geht blitzschnell“, verspricht Michael Beckereit. Er ist überzeugt, dass Hamburg durch sein Haus „auf einem sehr guten Weg ist, die Energiewende zu realisieren“. Doch die Metropolregion braucht mehr als nur das Beckereit- Team. Die Liste der Unternehmen, die in der Stadt an der Energiewende arbeiten, ist lang und reicht vom Windkraftunternehmen Areva über Canadian Solar, Conergy und EnBW bis Nordex und Repower. Und es gibt hunderte kleinere und mittlere Betriebe, die Produkte und Dienstleistungen rund um das Thema Energie anbieten. Ein Beispiel ist der Hersteller von LED-Lampen und -Leuchten Arteko. Das 21-Mitarbeiter-Unternehmen beliefert Industrie- und Gewerbekunden. „Mit unseren Systemen lassen sich Kosteneinsparungen von rund 90 Prozent realisieren“, betont Chef Guntram Uhlig. Sein Team berät und plant, verfügt über ein Lichtlabor, in dem relevante Beleuchtungsparameter ermittelt
werden, entwickelt Konzepte und bietet Wirtschaftlichkeitsberechnungen an. „Alle unsere Kunden wollen Energie sparen und viele außerdem die CO2-Emissionen reduzieren“, erläutert Uhlig. „Dafür ist die LED-Technologie die beste Lösung.“ Rückenwind hat sein Geschäft in den vergangenen Jahren zweimal bekommen: Zunächst durch das von der EU verordnete Aus für die traditionelle Glühbirne, danach durch die Erkenntnis, dass die Rückstände von Energiesparlampen umweltschädlich sind. Hamburg sei für Arteko „ein sehr guter Standort“, sagt Uhlig: „Die Bestandteile unserer Leuchten kommen aus der ganzen Welt. Der Hafen bietet uns dafür die beste Logistik.“ Für besonderen Wirbel an Alster und Elbe haben in den vergangenen Monaten Vertreter der Windkraftbranche gesorgt. Die gaben sich in der Wirtschaftsbehörde die Klinke in die Hand, um in Hamburg eine Niederlassung oder ihre Zentrale anzusiedeln, weil sie von hier ihre On- und Offshore-Anlagen im Küstenraum Schleswig-Holsteins steuern wollen. So hat Siemens sein komplettes Windkraftgeschäft in die Hansestadt verlegt. Hamburg ist schon jetzt Deutschlands Windhauptstadt.
Apropos Wind. Da die Windenergie vornehmlich im Norden Deutschlands erzeugt, aber sowohl in der Metropolregion als auch in den Ballungsräumen im Süden verbraucht wird, müssen die Stromnetze weiter ausgebaut werden. Rund 3800 Kilometer neue Trassen sind notwendig. „Die Unternehmen in der Region sind auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung angewiesen“, betont Tobias Knahl, stellvertretender Geschäftsführer des Bereichs Innovation & Umwelt und Leiter Energie bei der Handelskammer Hamburg: „Daher müssen nun schnellstmöglich die geplanten Windparks gebaut und an die Energienetze angeschlossen werden. Die Netze selbst müssen aus- und umgebaut werden und es bedarf insgesamt mehr Speichermöglichkeiten.“ Für Knahl steht aber auch fest: „ Zumindest mittelfristig benötigen wir zudem auch neue konventionelle Kraftwerke.“
Eine Stärke der Metropolregion Hamburg ist die Vielzahl an Unternehmen, an Lehr-, Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen, die sich mit dem Thema „Energie“ beschäftigen. Ein Beispiel dafür ist das Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft (IUE) an der TU Harburg, das sich mit Fragen der Bereitstellung fossiler und regenerativer Energieträger mittels bestimmter Konversionsverfahren beschäftigt. Im Juli stellten Studierende der TU Harburg einen von ihnen entwickelten batteriebetriebenen Rennwagen vor. Für Wirtschaftssenator Frank Horch ein Beweis, dass
Hamburg auch in Sachen E-Mobilität Spitze ist. Ein weiterer Beleg: Auf den Straßen der Hansestadt rollen bundesweit die meisten Elektrofahrzeuge.
Eine zweite Adresse für die Energie-Kompetenz der Stadt ist die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Ihr „Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz“ veranstaltet vom 12. bis 16. November „Die Woche der Energie“. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle von Investoren für den Energiestandort Hamburg. Beteiligungsfirmen wie Capital Stage oder CEE Conetwork Erneuerbare Energien Holding sorgen für die finanzielle Ausstattung innovativer Betriebe und neuer Projekte.
CEE beispielsweise hat seit 2007 rund 425 Millionen Euro in Energieerzeugungsprojekte in den Bereichen Windenergie, Photovoltaik, Biogas, Biomasseheizkraftwerke und Geothermie investiert, davon 235 Millionen Euro allein im vergangenen Jahr. Geschäftsführer Detlef Schreiber sagt: „Investitionen in Erneuerbare Energien sind Investitionen in die Zukunftssicherung der deutschen Wirtschaft.“ CEE will sich künftig noch stärker an Hightech- Unternehmen beteiligen. Schreiber: „Tendenziell sind die Renditen im Technologieentwicklungsbereich höher als im reinen Betrieb von Anlagen.“ Hamburg ist für ihn der „ideale Firmenstandort, weil hier die gesamte Erneuerbare-Energien-Branche vertreten ist“.
Text: Jürgen Hoffmann
Jürgen Hoffmann ist Publizist und Buchautor („Die großen Wirtschaftsdenker“) in hamburg. Seine Texte erscheinen in der Zeit, der FaZ, dem Manager Magazin und der Wirtschaftswoche.