Mit einer Vielzahl an einzigartigen Motiven begeistert die FILMSTADT HAMBURG Produktionsfirmen aus aller Welt. Motivaufnahmeleiter Michael Bruns kennt die besten Ecken.

Stars an der Elbe: Til Schweiger drehte gerade seine zweite Tatort-Folge ab, die im Frühjahr ins TV kommt (o.). Tilda Swinton (u.) stand für den Film „Only Lovers left alive“ zum Teil ebenfalls in Hamburg vor der Kamera. Beim Filmfest erhielt die Britin eine Auszeichnung.

Alles scheint wie immer am Kommissariat 1 der Wasserschutzpolizei im Waltershofer Hafen. Es ist ein trüber Vormittag im November. Drei Beamtinnen in Uniform schlendern über den Parkplatz, Lastkraftwagen rumpeln vorbei, in der Ferne löschen Containerbrücken Frachtschiffe aus fernen Ländern. Nichts deutet darauf hin, dass hier schon bald drei Leichen auf dem Anlegesteg liegen werden – geschminkt, frisiert und quicklebendig. Filmleichen eben. Der Fähranleger wird zum Schauplatz für Dreharbeiten der neuesten Hamburger Tatort-Folge. In der Hauptrolle: Til Schweiger als Kommissar Nick Tschiller. Bevor der Hauptdarsteller das Gelände betritt, bereitet ein anderer Mann das Setting für ihn und die Crew drehgerecht vor.

Michael Bruns, groß gewachsen, halblange Haare und mit orangefarbener Warnweste über dem Pulli, marschiert gerade über die Straße, das Handy am Ohr. Der 48-Jährige ist Motivaufnahmeleiter und Locationscout. Sein Job: passende Drehplätze suchen und anmieten und für das Filmteam optimale Arbeitsbedingungen schaffen. Im Gegensatz zum Set-Aufnahmeleiter ist er nicht während der Dreharbeiten, sondern im Vorfeld aktiv. Bevor die erste Szene aufgezeichnet wird, kümmert sich Bruns um Dinge wie Vertragsverhandlungen mit den sogenannten Motivgebern, die Beschaffung von Dreh- und Nutzungsgenehmigungen sowie die Organisation der gesamten Logistik. An diesem Montagvormittag steht er voll unter Strom, die Zeit drängt. „In einer Stunde kommen die Schauspieler“, sagt er und schaut auf sein Handy. Bis dahin müssen die Catering-Mitarbeiter im Imbisswagen bereit, Stellflächen für die Filmfahrzeuge reserviert und sämtliche Gegebenheiten am und um den Fähranleger geprüft sein.

Die Szenerie am Containerhafen, wo Kommissar Tschiller in seinem zweiten Fall ermitteln wird, ist eine von vielen begehrten Filmkulissen in Hamburg. Die Stadt ist als Drehort beliebt. Rund 100 deutsche und ausländische Filmproduktionen haben jeweils 2013 und 2012 in Hamburg gedreht. Darunter internationale Kinoproduktionen wie „Petit“ mit Kim Basinger, „The Cut“ von Fatih Akin oder „Schändung“, die Verfilmung des Bestsellers vom dänischen Autor Jussi Adler-Olsen. Vor allem die Vielzahl an unterschiedlichen und einzigartigen Motiven begeistert Filmschaffende aus aller Welt. Bei einer empirischen Standortanalyse der Hamburg Kreativ Gesellschaft, für die über hundert Entscheidungsträger und Akteure aus der Branche anonym befragt wurden, stach der Vorteil Vielfältigkeit deutlich heraus. „Es ist eine sehr schöne und fotogene Stadt mit unterschiedlichen Milieus. Dadurch hat man die Möglichkeit, ganz verschiedene Geschichten zu erzählen“, brachte es einer der Befragten auf den Punkt.

Vor etwa 15 Jahren entstand der Beruf des Motivaufnahmeleiters. Als ein solcher ist Michael Bruns fast ebenso lange im Einsatz. Und er kennt die besten und begehrtesten Plätze genau.

„Am Sieveking- und Johannes Brahms-Platz sind die Anwohner in Sachen Dreharbeiten schon schwer gebeutelt.“

„In der Hafencity wird viel gedreht, da gibt es tolle Ecken“, erzählt er. Gerade hat er eine weitere beeindruckende Location entdeckt: eine Luxuswohnung im 14. Stock des Marco-Polo-Towers, die er für den Tatort-Dreh vorbereitete. „Der Blick über die Stadt ist einfach sagenhaft.“ Sogar das Dach der Elbphilharmonie hat der Experte schon als Motiv präpariert. „Da kommt man ja sonst nicht hin“, lacht Bruns. Auch der Sieveking- oder Johannes-Brahms- Platz sind gern genommene Kulissen. Aber da sind die Anwohner schon „schwer gebeutelt“. Immerhin rücken bei einer Film- oder Fernsehproduktion im Extremfall „200 bis 300 Meter Fahrzeuge sowie 30 bis 50 Crewmitglieder“ an. Parkplätze werden blockiert, teilweise ganze Straßenabschnitte gesperrt. Die Genehmigungen dafür sind bei der Polizei und den Hamburger Ämtern meist ohne übermäßige Probleme zu bekommen. In diesem Punkt ist die Stadt laut Bruns „sehr filmfreundlich“ – ein nicht unerheblicher Vorteil für Filmschaffende.

Kultserie: Das Großstadtrevier spielt seit 27 Jahren in Hamburg. Hauptdrehort der Studio Hamburg-Produktion ist Bahrenfeld, wo die fiktive Wache von Jan Fedder (3. v. r.) und seinen Kollegen steht.

Seit vielen Jahren ist Hamburg ein angesehener Film- und Fernsehstandort. Größtes Produktionszentrum vor Ort ist Studio Hamburg, das seit 1947 im Stadtteil Tonndorf seine Heimat gefunden hat. Filmfans profitieren außerdem von mehr als 20 Kinos, einem Film- und Fernsehmuseum sowie verschiedenen Festivals, wie dem Cinefest, dem Kurzfilm-Festival und dem Filmfest Hamburg, das seit über 20 Jahren stattfindet und bei dem in diesem Jahr internationale Leinwandgrößen wie die Schauspielerinnen Tilda Swinton und Isabella Rossellini in die Kameras strahlten. Ein bisschen Hollywood-Flair tut der Elbmetropole gut – sie hat als Filmstadt schon glanzvollere Zeiten erlebt. Dass die allgemeine Situation in der deutschen Filmbranche angespannt ist, macht sich auch hier bemerkbar. Etablierte Kinos wie das Ufa, das Grindel oder das legendäre Streits am Jungfernstieg mussten schließen. Ein Problem der Hansestadt sind die hohen Mietpreise und Lebenshaltungskosten, die viele junge Kreative aus der Stadt treiben.

Studio Hamburg-Chef Michael Lehmann kritisiert zudem die fehlende Unterstützung der Politik (siehe S. 26). Und dennoch: „Hamburg hält sich neben Berlin und München als einer der beliebtesten Drehorte Deutschlands“, sagt Alexandra Luetkens von der Filmförderung Hamburg-Schleswig Holstein (FFHSH). Die Institution hat die Aufgabe, „Kinofilme und außergewöhnliche Fernsehproduktionen aller Genres“ zu unterstützen. Allerdings liegt in eben dieser Förderung ein weiteres Problem. Denn die FFHSH verfügt mit jährlich rund 11,5 Millionen Euro im Verhältnis zu anderen Bundesländern über ein eher kleines Budget. Zum Vergleich: Dem Medienboard Berlin-Brandenburg standen im Jahr 2012 rund 23,9 Millionen Euro, also gut doppelt so viele finanzielle Mittel, zur Verfügung.

Kostendruck kennt auch Motivaufnahmeleiter Michael Bruns. Dieser sei in der Branche „immens“, sagt er. Der entscheidende Punkt für ihn: eine realistische Kalkulation. „Denn daran wird man am Ende gemessen.“ Bei einer aufwändigen Produktion wie dem Tatort, mit 37 unterschiedlichen Motiven an 24 Drehtagen, können allein für Motivmieten und Nebenkosten rund 100.000 Euro zusammenkommen.

Bei den Dreharbeiten in Waltershof läuft dank seiner präzisen Vorbereitung alles nach Plan. Die „Tatort-Bühne“ am Fähranleger ist bereitet. Gegen 13 Uhr trudeln die Crewmitglieder ein und stürmen als Erstes den Catering-Wagen für ein schnelles Mittagessen im Aufenthaltsbus oder in den Bierzelten, die Bruns hat aufstellen lassen. Auch die Leichen haben Hunger. Mit blass geschminkten Gesichtern und Blessuren auf dem Körper gönnen sie sich eine warme Mahlzeit, bevor sie für die nächste Szene in die Leichensäcke auf dem Steinboden des Fähranlegers schlüpfen. Bruns dirigiert ankommende Menschen und Fahrzeuge zu ihren Plätzen. Einer schwarzen Limousine weist er einen besonderen Parkplatz direkt auf dem Vorhof der Wasserschutzpolizei zu. Auf dem Beifahrersitz Til Schweiger, der seinen Text liest.

Plötzlich wimmelt es auf dem eben noch fast ausgestorbenen Gelände von Menschen, überall stehen Lieferwagen, Sprinter und PKW herum. Technik wird installiert, Kostüme werden anprobiert, Requisiten präpariert. Rettungstaucher legen ihre Ausrüstung an, die drei Beamtinnen, die über den Platz schlenderten, beziehen Position. Sie werden als Komparsen im Hintergrund zu sehen sein. Ein paar Männer machen sich an einem Modellhubschrauber zu schaffen. Dann heißt es: Achtung Dreh! Til Schweiger steigt aus dem Auto. Er und Partner Fahri Yardim gehen mit schnellen Schritten über den Parkplatz die Treppe zum Fähranleger hinunter. Der Hubschrauber steigt auf, an ihm ist die Kamera installiert. Ferngesteuert liefert sie eindrucksvolle Luftaufnahmen, die der Regisseur auf einem Bildschirm am Boden verfolgen kann.

„Auch die Leichen haben Hunger und gönnen sich eine warme Mahlzeit.“

Während die Filmaufnahmen in vollem Gange sind, sammelt Michael Bruns seine Sachen zusammen und verabschiedet sich zum nächsten Drehort. Dieser Tag ist für ihn besonders anstrengend, denn die Crew filmt an drei verschiedenen Locations. „Das ist viel“, sagt der erfahrene Motivaufnahmeleiter, der seit vier Uhr morgens auf den Beinen ist. „Ich muss ein Motiv organisieren, gleichzeitig das nächste koordinieren und schon an nächste Woche denken.“ Dann steigt er ins Auto und fährt los Richtung Unikai- Terminal am Veddeler Damm. Es gilt, ein weiteres einzigartiges Hamburger Hafenmotiv filmgerecht vorzubereiten.

 

Text: Nina Schwarz      Foto: M. von der Mehden, M. van Kann, ARD