Im Interview mit club! sprechen Präsident HJALMAR STEMMANN und Hauptgeschäftsführer CHRISTOPH HERTING über den Masterplan Handwerk, das Meistern von Krisen und bezahlte Praktika für Schüler.

2023 feierte die Kammer ihren 150-jährigen Geburtstag unter dem Motto: Wir feiern das Handwerk. War Ihnen trotz Krisenzeiten nach Feiern zumute?
HJALMAR STEMMANN: Wenn man zunächst die Konjunktur betrachtet, war das Jahr 2023 für die Betriebe extrem gemischt. Einige Unternehmen hatten eine Bugwelle vor sich hergeschoben und die Auftragsbücher waren gerade in der Baubranche gut gefüllt. Da war die Stimmung gut. Andererseits hat das neue Heizungsgesetz bei den Heizungs- und Sanitärbetrieben massiv die Stimmung getrübt, weil die Firmen nicht wussten, wie sie an die Geräte und an das Personal, das sie installieren kann, kommen sollten.
CHRISTOPH HERTING: Für die Kammer selbst war das ein erfolgreiches Jubiläumsjahr, weil es uns in der Organisation näher zusammengebracht hat. Die Kammer lebt ja vom ehrenamtlichen Engagement und das Jubiläumsjahr war eine tolle Chance, Gemeinsamkeit zu schaffen und Bindungen herzustellen. Es haben auch eine Menge Mitglieder mit uns bei den Veranstaltungen gefeiert.

Wie fit ist die Kammer, um für ihre Mitglieder ein starker Partner in Krisenzeiten zu sein?
HERTING: Fit ist, wer in Bewegung bleibt. Und wenn ich auf die vergangenen fünf Jahre zurückblicke, würde ich sagen: Wir sind in Bewegung geblieben. Wir haben alle miteinander herausfordernde und spannende Jahre hinter uns. Wir standen unter einem irrsinnigen Anpassungsdruck, wie andere Institutionen auch. Rückblickend betrachtet, haben wir in der Zeit sehr stark gespürt, wie dringend uns die Mitglieder an vielen Stellen brauchen.

Bei welchen Themen können die Experten der Kammer besonders helfen?
STEMMANN: Häufig geht es um rechtliche Rahmenbedingungen und ihre Einordnung. Da ist zum Beispiel unsere Rechtsberatung stark gefordert, weil die Gesetzes- und Verordnungsflut
die Betriebe geradezu überrollt. Die Industrie hat dafür Stabsabteilungen, die das bewerten können. Im Handwerksbetrieb ist es der Chef oder die Chefin, die das bewerten muss. Dann gibt es eine große Nachfrage im Bereich Digitalisierung. Das geht von Betrieben, die bisher im Büro das meiste noch per Papier gemacht haben bis zu jenen, die sehr gut aufgestellt sind, auch dank KI. Im Arbeitsalltag setzen viele 3D-Technik, Drohnen oder etwa Malroboter ein. Ein wichtiger Bereich ist das Thema Personal und Auszubildende. Wir haben unterschiedliche Projekte aufgelegt, schauen in die Betriebe, wie sie arbeiten und welchen Bedarf es gibt, um zu sehen, wie wir konkret helfen können.

Viele Branchen klagen, dass ihnen Kräfte während der Pandemie verloren gegangen sind. Wie schätzen Sie die Situation im Handwerk ein?
HERTING: Bei den Auszubildenden im Handwerk können wir konstatieren, dass sich das Ausbildungsangebot seit Corona weitgehend konsolidiert hat. Es gibt sogar Betriebe, die mehr Lehrstellen als zuvor anbieten. Das zeigt, dass sie auch in einer konjunkturell schwierigen Phase an ihre Perspektiven glauben. Wir haben eher das Problem, dass wir einen Mangel an jungen Leuten haben und gleichzeitig einen großen Akademisierungstrend. Wenn man den Arbeitsmarkt insgesamt betrachtet, dann ist es schon so, dass Leute verloren gegangen sind, zum Beispiel im Lebensmittelhandwerk oder bei den körperbezogenen Dienstleistungen. Aber ich glaube, das Handwerk hat nicht zu den großen Verliererbranchen gehört in dieser Hinsicht.

Stichwort Auszubildende. Wie können junge Leute fürs Handwerk motiviert werden?
STEMMANN: Praktika sind unser Ein und Alles. Wir wollen, dass die jungen Leute mitmachen. Gerade haben wir die jährliche Berufsorientierungsmesse Handwerkswelten in der EisArena von Planten un Blomen veranstaltet. Viele Innungen hatten dort Stände zum Mitmachen aufgebaut, und es kamen mehr als 4000 Schülerinnen und Schüler, um sich die verschiedenen Möglichkeiten im Handwerk anzusehen und live zu erleben. Die Gerüstbauer haben zum Beispiel die Fahrt in ein Dachgeschoss mit einem Baustellenaufzug über eine VR-Brille simuliert. Die jungen Menschen konnten über die virtuelle Ansicht ein Gefühl entwickeln, wie es auf der Baustelle läuft.

Für viele junge Menschen ist das Berufsangebot im Handwerk fast unüberschaubar …
STEMMANN: Wir haben mehr als 100 Ausbildungsberufe im Handwerk. Gerade wegen dieser Breite können wir nicht sagen, „hier ist ein Video oder hier hast du eine Broschüre, sieh dir das mal an“. Wir sagen ihnen: Probier‘ es aus, mach einen Schnuppertag, zwei oder drei Wochen Praktikum. Dann bleibt er vielleicht am Ball. Ein weiterer Anreiz wären Praktikumsprämien für freiwillige, zusätzliche Praktika, wie es sie bereits in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gibt. Wir fordern von der Hamburger Politik, dass das auch in Hamburg eingeführt wird.

Praktikumsprämie heißt bezahltes Praktikum?
STEMMANN: Ja, die Schüler können neben dem normalen Schulpraktikum ein bis zu vier Wochen dauerndes zusätzliches Praktikum machen. Und wenn sie freiwillig zum Bäcker, zum Maurer oder zum Kfz-Betrieb gehen, dann bekommen sie dafür 120 Euro pro Woche. Das bringt in den drei genannten Ländern sehr gute Erfolge.

Die Generation der Baby-Boomer wird künftig auch im Handwerkerbereich eine Lücke hinterlassen. Könnte das zu einem Sterben kleiner Unternehmen führen?
HERTING: Das Weitertragen des Wissens vor diesem Generationenknick ist ein ganz großes Thema und zugleich das beste Mittel zur wirtschaftlichen Absicherung. Insofern ist das auch für unsere Personalberatung das Größte, was im Augenblick ansteht. Wie mache ich das Wissen weitergabefähig? Und wie halte ich Kompetenz im Unternehmen, wenn wichtige Leute gehen? Das sind wichtige Fragen für die Zukunft der Unternehmen.

Die Handwerkskammer und der Senat haben der ersten Initiative 2011 im Jahr 2022 den zweiten Masterplan Handwerk 2030 folgen lassen, um die Rahmenbedingungen fürs Handwerk in der Zukunft zu verbessern. Wie ist die Zwischenbilanz nach zwei Jahren?
STEMMANN: Wir sind auf einem guten Weg. Aber ein Thema, das uns Magengrummeln verursacht ist der Verkehr, insbesondere der ruhende Verkehr. Das betrifft den Handwerker vor Ort an der Baustelle, am Einsatzort oder am Betriebssitz, wenn der in einer Bewohnerparkzone ist. Wir hatten uns erhofft, dass wir in den vergangenen zwei Jahren deutlich mehr Fortschritte gemacht hätten.
HERTING: Wir haben die richtigen Reizthemen wie das Parkthema oder das Baustellenmanagement im Masterplan gesetzt. Ich sehe auch vorsichtige Schritte nach vorne zum Beispiel bei der Frage: Warum braucht eine Stadt wie Hamburg bei öffentlichen Ausschreibungen diverse unterschiedliche Vergabeplattformen, für die man sich gesondert akkreditieren und seine Mitarbeiter gesondert schulen muss? Warum geht das nicht aus einer Hand? Diese Störfaktoren wirken wahnsinnig schwer. Natürlich beinhaltet der Masterplan auch große Themen wie das Fachkräftethema, das ist sehr wichtig. Aber manchmal sind es die vermeintlich kleinen Schritte, die helfen, den tägliche Ärger für die Handwerker zu verringern. Auch da wollen wir vorankommen.

Gibt es ein Problem, dessen schnelle Lösung Ihnen besonders am Herzen liegt?
HERTING: Die Gesetzgeber sorgen dafür, dass die Unternehmer immer mehr dokumentieren müssen. Ich habe das Gefühl, Politik und Verwaltung sichern sich gegen alles ab, es herrscht eine richtige Absicherungskultur. Das muss sich grundsätzlich ändern. Wir reden ja gar nicht mehr vom Bürokratieabbau, sondern wir sehen eine Welle neuer bürokratischer Pflichten aufs Handwerk zukommen. Auch wenn es sich manchmal wie Sisyphusarbeit anfühlt, wir werden die Wünsche unsere Mitglieder auch weiterhin an die Politik herantragen, wir wollen konstruktiv lästig bleiben!
STEMMANN: Ich habe bereits zwei Projekte erwähnt, die für mich ganz oben auf der Agenda stehen. Zum einen ist das die Praktikumsprämie, mit der wir junge Menschen erfolgreich fürs Handwerk begeistern wollen. Zum anderen das dicke Brett „Parkraummanagement“. Auch da brauchen wir endlich eine Lösung. Wir haben für unsere Mitglieder einen Handwerkerparkausweis gefordert. Aber das, was derzeit angeboten wird, ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss.

Gespräch: Achim Schneider und Andreas Eckhoff  Fotos: NORA BERRIES FOTOGRAFIE 2023