Als Nachfolger von Senator Frank Horch hat Michael Westhagemann einen der wichtigsten Regierungsposten übernommen. Ein Gespräch mit dem Ressortchef Wirtschaft über die Bedürfnisse und Herausforderungen einer Metropole.

Herr Westhagemann, wie sind Sie heute zur Arbeit gekommen? Fahrrad, Bahn oder Auto?
Michael Westhagemann: Mit dem Auto. Das hängt damit zusammen, dass ich den Luxus eines Fahrzeugs mit Fahrer habe. Außerdem kann ich im Auto immer noch gut arbeiten und Telefonate führen. Aber ich nutze auch den öffentlichen Nahverkehr, fahre oft vom Rathaus zum Hauptbahnhof, um schnell in St. Georg zu sein. Ich habe auch eine Monatskarte.

Als Sie 2018 den Posten als Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation angenommen haben, hatten Sie da eine Vorstellung, wie viel Arbeit auf Sie wartet?
Ehrlich gesagt, nein. Ich muss wirklich sagen, inhaltlich macht mir alles Spaß, aber was wirklich gewöhnungsbedürftig ist, dass ich kaum noch Freizeit habe. In der Woche ist man bis 21 oder 22 Uhr unterwegs, und dann hat man immer noch die Vorbereitungsunterlagen für den nächsten Tag vor sich. Das hätte ich in der Menge und Intensität nicht erwartet.

Infrastruktur, Elbvertiefung, Digitalisierung des Hafens, umweltschonende Lkw, saubere Energie für Wasser- und Landfahrzeuge – das sind einige der Herausforderungen in der Zukunft. Wo sehen Sie den dringendsten Bedarf?
Die drängendste Aufgabe war das Thema Baustellenkoordinierung und Baustellenmanagement. Das Thema hatte sehr hohe Priorität, auch im Senat. Deswegen wurden dort in kurzer Zeit 24 Maßnahmen beschlossen. Es wurden viele Themen definiert, aber wir mussten das Ganze auch organisieren. Wir haben eine neue Organisationsstruktur aufgebaut, um alle Verantwortlichen an einen Tisch zu bekommen. Das sind der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), die sieben Bezirke, die sich vorher nicht ausgetauscht hatten, Leitungsträger, private Unternehmen wie die Telekom und Hauseigentümer. Außerdem haben wir noch die Aufgabe, die Bundesautobahnen und Bundesstraßen, die bisher im LSBG ansässig waren, zum 1. Januar 2020 in die Autobahngesellschaft auszugliedern. Das ist ein Pilotprojekt für ganz Norddeutschland.

Die Wirtschaft beklagt sich, dass viele Straßen in schlechtem Zustand sind und ausgebaut werden müssen. Welches Konzept haben Sie, um den reibungslosen Transport der Güter auf Straßen und Schienen zu gewährleisten?
Es gibt eine Bestandsaufnahme aller Straßen aus dem Jahre 2013. Das war eine entscheidende Zeit sowohl für den Wirtschaftsverkehr als auch für den individuellen Verkehr. Da konnte man Hamburg eigentlich nur mit dem SUV befahren, denn die Straßenbeläge platzten auf, und es gab riesige Schlaglöcher. Das war der Anlass für den Straßenzustandsbericht. Dort sind alle Maßnahmen aufgeführt, die die Bundesstraßen, die Straßen in den Bezirken und auch die Straßen im Hafen betreffen. Es gab zwei große Baumaßnahmen, mit denen ich gleich konfrontiert wurde. Auf der A7 vor dem Elbtunnel müssen die sogenannten Abschnitte K20 und K30 erneuert werden. Die meisten Menschen wissen gar nicht, dass das eine Brückenführung ist vor dem Elbtunnel. Die Autobahn ist sechsspurig und eine der Hauptverkehrsachsen in Richtung Nordeuropa. Hier fahren täglich 176 000 Fahrzeuge. Um die Brücke zu ertüchtigen und auf acht Streifen auszubauen, müssen wir die bisherigen Fahrstreifen am Leben erhalten. Grundvoraussetzung, dass wir diese Maßnahme durchführen können, sind weitere Maßnahmen im Süden, auf der B73 und in Richtung Moorburg. Diese Maßnahmen müssen abgeschlossen sein, damit die Bauarbeiten auf der A7 im nächsten Jahr beginnen können.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass schwere Gütertransporte Hamburg meiden, weil eine große Zahl von Brücken die Last nicht mehr trägt?
Die meisten wissen gar nicht, wie viele Brücken es in Hamburg gibt. Es sind über 2000 Stück. Es gibt einen Brückenzustandsbericht, aus dem klar ersichtlich wird, dass 400 Brücken keinen zufriedenstellenden Eindruck hinterlassen. Daran müssen wir dringend arbeiten. Ich kann allen Spediteuren sagen: Das, was wir in den nächsten Jahren bei der Infrastruktur, insbesondere den Brücken, an Baustellen generieren werden, ist mehr als ambitioniert. Allerdings auch alternativlos, um den Verkehr am Laufen zu halten.

Wie ist das zu verstehen?
Ich nenne Ihnen das Beispiel B73/Cuxhavener Straße. Die Wahrheit ist: Die hätte vor zehn Jahren saniert werden müssen. Doch es gab Proteste, weil man die Einrichtung der Baustellen unbedingt verzögern wollte. So wurde es immer weiter hinausgezögert. Jetzt fällt uns die B73 total auf die Füße.

Fehlt es an der richtigen Abstimmung mit den Transporteuren?
Bevor wir eine Baustelle einrichten, sind wir im betreffenden Stadtteil aktiv und stellen sie vor. Wir sagen den Bürgern, was sie zu erwarten haben. Sie haben auch die Möglichkeit, sich einzubringen. Zusätzlich gibt es eine Internetseite, auf der man sich die Baustelle anschauen kann, und wir verteilen Flyer mit Informationen zu den Baustellen. Wir haben spezielle Bauschilder entwickeln lassen, auf denen man sehen kann, wer dort baut und wie lange die Baustelle eingerichtet ist. Zusätzlich wurden neben den Baustellenkoordinatoren zwei Mitarbeiter eingestellt, die sich im Vorfeld ansehen, ob die Baustelle korrekt eingerichtet ist. Ich kann immer wieder nur sagen: Die Spediteure können sich im Vorfeld jederzeit darüber informieren, welche Baustelle in den nächsten Wochen und Monaten ansteht.

Eine Dauerbaustelle ist die Köhlbrandbrücke. Sie ist so marode, dass sie nicht saniert werden kann, sondern abgerissen werden muss. Gibt es konkrete Pläne für einen Ersatz?
Darüber ist in den Medien ja schon berichtet worden, und das hat mich teilweise auch geärgert. Stimmt, die Brücke ist marode, und es gibt eine Prognose, dass sie spätestens ab 2030 ersetzt werden müsste. Es liegen Machbarkeitsstudien vor, welche Alternativen es gibt, um solch eine Brücke zu ersetzen. Bauen wir eine neue? Wenn ja, muss sie höher sein als die alte, damit die großen Containerschiffe darunter durchfahren können. Eine Brücke ist natürlich günstiger als die Variante eines Tunnels. Kann die Hansestadt Hamburg alleine sowohl die Brücke als auch den Tunnel finanzieren? Klare Antwort: Nein. Muss der Bund das mitfinanzieren? Klare Antwort: Nein. Warum? Weil es eine Landesbrücke ist. Wir haben lange mit dem Verkehrsministerium diskutiert, ob wir nicht einen gemeinsamen Weg finden, damit sie uns unterstützen können. Herr Scheuer hat mir gleich zu Beginn gesagt, die Verkehrsbehörde müsse ein bisschen vorsichtig sein, weil der Rechnungshof ganz genau schauen würde, warum ein Verkehrsministerium plötzlich eine Landesbrücke mitfinanziert. Darum ist es auch nicht hilfreich, den Druck von außen zu erhöhen. Wir gehen da klug und Schritt für Schritt vor.

Welche Variante favorisieren Sie?
Wir legen uns nicht fest und sprechen gerade mit dem Bund über beide Varianten. Nach grob geschätzten Zahlen liegt zwischen Tunnel und Brücke eine doch sehr große Preisdifferenz. Ich wurde oft gefragt, ob es im Tunnel nur Verkehrsstraßen gibt. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, weil es auch ein Innovationsprojekt werden soll, dass wir eine zusätzliche Transportmöglichkeit schaffen. Wie die aussehen würde, ist auch eine Kostenfrage. Wenn man die Betriebswirtschaftlichkeit über die Jahre hochrechnet, sieht man schnell, dass der Tunnel vermutlich die bessere Variante ist. Wahrscheinlich könnten wir den Tunnel auch relativ zeitnah umsetzen.

Tempo ist bei Großprojekten in Deutschland ein Problem. Bis die Elbvertiefung starten konnte, sind 17 Jahre vergangen. Wie kann man Entscheidungsprozesse beschleunigen?
Wir sind gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium dabei, das Planrecht genau zu prüfen, um zu sehen, was wir beschleunigen können. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. Wir wollen nicht in die Rechte der Umweltschutzorganisationen eingreifen, sondern im Vorfeld eine vernünftige Planung machen, bei der auch die Umweltverbände berücksichtigt werden. Das Klagerecht können wir ja gar nicht einschränken. Wir wollen die Prozesse aber verschlanken. Das gilt nicht nur für Infrastrukturprojekte, sondern auch für den Netzausbau und andere Projekte. Diese Prozesse müssen wir massiv beschleunigen.

Hafenverbandschef Gunter Bonz hat sich im club!-Magazin über die unzureichende Infrastruktur im Hinterland beschwert. Hat er recht?
Zuerst einmal ist es so, dass wir mit der Elbvertiefung beginnen. Die Reedereien reagieren heute schon positiv darauf. Der Hafen wächst, das freut uns. Er wächst insbesondere auch auf der Schiene, d. h. die Umschlagskapazitäten vom Wasser auf die Schiene nehmen zu und umgekehrt natürlich auch. Das zeichnet uns von der Hinterlandanbindung oder von der Schienenanbindung gegenüber anderen Standorten aus. Weder der Jade WeserPort noch Bremerhaven und Rotterdam haben diesen Ausbau.

Die Transportbranche befindet sich im Wandel. Wesentliche Aspekte sind Digitalisierung und Klimaschutz. Was kann die Stadt tun, um Unternehmen zu unterstützen und Hamburg als einen der führenden Logistik- und Mobilitätsstandorte Europas zu stärken?
Wir sind stolz darauf, dass wir der größte Logistik-Hub in Europa sind und dass das Wachstum auf der Schiene gestiegen ist. Im Grunde genommen kann man sagen, dass es vor dem Hintergrund des Klimawandels besser ist, Wasser und Schiene stärker auszubauen. Aber parallel dazu müssen sich auch die Antriebstechnologien bei den Transportfahrzeugen verändern, denn der Schwerlastverkehr ist eine große Belastung für das Klima. Ich sehe dabei nicht unbedingt die Batterie als Alternative, sondern Brennstoffzelle und Wasserstoff. Das gilt auch für den öffentlichen Nahverkehr bei den Bussen. Deswegen arbeiten wir nicht nur für Hamburg an einer Wasserstoffstrategie, sondern für ganz Norddeutschland. Wir wollen den Spediteuren und den Industrien zeigen, dass hier ein Markt im Wasserstoffbereich entsteht.

Gibt es denn genügend Tankstellen, damit die Lkw Wasserstoff aufnehmen können?
Wir sorgen für eine ausreichende Infrastruktur, damit die Spediteure überall tanken können. Zurzeit gibt es eine Wasserstofftankstelle im Hafen, das ist die meistreflektierte in Deutschland. Ende des Jahres werden wir fünf, Ende nächsten Jahres sieben Wasserstofftankstellen haben. Im Moment gibt es in Deutschland 78 Tankstellen, bis Ende 2020 wollen wir das auf 100 erhöhen. Bis Ende 2021 wollen wir flächendeckend in Deutschland mindestens 500 Tankstellen aufweisen, damit die Spediteure eine flächendeckende Abdeckung im Bereich des Wasserstoffs haben.

Einer der von Ihrer Behörde entwickelten Leitsätze lautet: „Die Stadt im Fluss halten“. Was ist darunter zu verstehen?
Es bedeutet, schneller auf die Anforderungen zu reagieren, die wir nicht nur in den Wirtschaftsthemen sehen, sondern auch beim Thema Innovation. Wir müssen Beschleuniger sein. Und wir wollen Europas Hauptstadt für Innovationen werden. Das schafft man nur, wenn man die erforderlichen Themenfelder in der eigenen Stadt befeuern kann. Ich möchte neue Antriebstechnologien, 3D-Druck, Künstliche Intelligenz, Robotic nennen. Man kann die Attraktivität eines Stadtstaates steigern, wenn man diese Themenfelder aus der eigenen Behörde betreiben kann. Die jetzigen Strukturen in der Behörde sind nicht ideal. Deswegen habe ich Cross-Teams eingeführt, um schneller zu sein. Das hat manch einen dort durchgeschüttelt. Aber es war wichtig, dass wir eine klare Strategie entwickeln und eine Vision haben, wohin wir wollen. Das heißt für mich: Die Stadt im Fluss halten. Das Schlimmste, was uns passieren könnte, ist, dass der Fluss für eine Zeit lang aussetzt. Das wäre für diese Stadt tödlich.

2021 ist Hamburg Gastgeber des ITS-Weltkongresses, der größten Fachmesse für die Digitalisierung von Mobilität und Logistik. Dabei will Hamburg der Welt die Mobilität der Zukunft zeigen. Wie sieht die aus?
Dieser Kongress ist ganz wichtig für uns. Wir wollen dort unsere Innovationsstärke zeigen. Damit meine ich nicht nur Hamburg allein, sondern ich möchte auch die Metropolregion mit einbeziehen. Ich habe allen Nachbarländern gesagt: Wenn ihr tolle Projekte habt, kommt mit zum ITS-Weltkongress und stellt sie dort vor. Derzeit gibt es 70 Einzelprojekte, an denen wir arbeiten. Ein Schwerpunkt ist der automatisierte Verkehr. Meines Wissens befindet sich in Hamburg die größte automatisierte innerstädtische Strecke. Sie ist mehr als neun Kilometer lang. Es gibt eine weitere für den Busbetrieb in der HafenCity. Diese Strecken sind technologisch offen, das heißt, dass verschiedene Unternehmen dort ihre Entwicklungen testen. Gerade hat VW dort Tests absolviert, im Level-4-Betrieb. Dabei sitzt zwar noch ein Fahrer im Fahrzeug, aber nur, um im Notfall zu eingreifen.

Sehen Sie Hamburg als Innovationszentrum im Bereich smarte Mobilität?
Wir wollen zeigen, was wir glauben, wohin sich die Mobilität entwickelt. Wir sind der Meinung, dass es in der Automobilindustrie zwei Intelligenzen gibt. In der Infrastruktur und im Fahrzeug. Die beiden kommunizieren miteinander, sodass man damit das Thema Safety First realisieren kann. Mein persönliches Gefühl ist, dass wir bei dem Thema sehr gut unterwegs sind. Wir werden aber genau beobachten, ob sich irgendwo neue Innovationsfelder auftun, die wir integrieren können.

 

MICHAEL WESTHAGEMANN, 62, verheiratet, zwei Töchter, ist seit November 2018 Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation. Die Karriere des parteilosen Industriemanagers begann als Starkstromelektriker in Beckum bei Münster. Danach studierte er Informatik, bereiste für den Computerhersteller Nixdorf Asien. Anfang der 1990er Jahre wechselte er zu Siemens ins weltweite Management. Ab 2003 war er von Hamburg aus für Norddeutschland zuständig, nebenbei leitete er den Industrieverband, arbeitete für die Handelskammer. Mit 60 Jahren machte er sich als Berater selbstständig.

 

Gespräch: Achim Schneider Fotos: Lena Scherer, Senatskanzlei Hamburg