Sie ist eine vielbeschäftigte Künstlerin. Gerit Kling spielt seit elf Jahren bei „Notruf Hafenkante“, ist Synchronsprecherin und inszeniert Theaterstücke. Im Interview spricht sie über ihre Liebe zu Hamburg, ihr Faible für die Natur sowie gute Tipps von Uschi Glas.

Frau Kling, Sie leben auf einer eigenen kleinen Insel in Potsdam, ganz zurückgezogen im Grünen und vom Wasser umgeben. Was bedeutet Ihnen das Leben in der Natur?
Ich empfinde es als ein großes Geschenk. Interessanterweise ist es für mich so, je älter ich werde, desto mehr bin ich im Einklang mit der Natur. Als ich ein junger Mensch war, habe ich eigentlich den Wechsel der Jahreszeiten kaum registriert. Mittlerweile gehe ich jeden Tag durch meinen Garten, durch Wälder oder am Wasser entlang und nehme die Natur ganz anders wahr.

Haben Sie ein Faible für grünes Leben?
Ja, sehr. Ich hatte früher eigentlich keinen grünen Daumen und war wahnsinnig traurig darüber, dass die Sachen, die ich angepflanzt habe, nicht vernünftig wuchsen. Das lag zum einen daran, dass ich viel unterwegs war und zum anderen, dass in Wilhelmshorst, wo ich mit meiner Schwester Anja 18 Jahre gemeinsam ein Haus bewohnt habe, der Waldboden sehr trocken ist und extrem viel Pflege braucht. Das konnte ich nicht schaffen, weil ich so viel gearbeitet habe. Somit sind mir viele Pflanzen eingegangen. Hier auf unserer Insel haben wir jetzt ideale Bedingungen. Ich habe Rosen angepflanzt, Kräuter und Blumen, und alles wächst wunderbar. Sogar Palmen wachsen hier.

Wie wichtig ist es für Sie, sich zurückziehen zu können?
Bei mir gilt der Spruch: Ich ziehe mich auf meine Insel zurück! Das kann nicht jeder sagen. Wir sind echte Insulaner. Ich liebe es, in Potsdam im Zentrum des Geschehens zu sein. Ich liebe es, die große und die kleine Stadt kulturell in meiner Nähe zu haben. Ich arbeite oft in Berlin und bin schnell mit Auto und Bahn in der großen Stadt. Aber wichtig ist, dass ich mich jederzeit in meine kleine grüne Oase zurückziehen kann. Das erfüllt mich mit einer großen Dankbarkeit.

Durch die Serie „Notruf Hafenkante“ sind Sie seit vielen Jahren regelmäßig in Hamburg. Was für eine Beziehung haben Sie zur Stadt?
Meine erste Berührung mit Hamburg kam tatsächlich durch das Fernsehen. Anfang der 90er Jahre habe ich für die ARD die Serie „Die Gerichtsreporterin“ gedreht. Dadurch war ich viel in der Stadt, habe sie für mich entdeckt und fing an, sie zu lieben. Hinzu kommt, dass meine beste Freundin, Andrea Lüdke, Hamburgerin ist und ihre drei Kinder meine Patenkinder sind. Als Patentante habe ich natürlich eine sehr enge Beziehung zu den Kindern und zu Hamburg.

Was schätzen Sie ganz besonders an Hamburg?
Ich komme einmal in der Woche für Dreharbeiten in die Stadt. Seit vielen Jahren bin ich im selben Hotel, dem Madison am Schaarsteinweg. Ich kann sagen, dass das mein zweites Wohnzimmer ist. Da kenne ich jeden Kellner und jeder kennt mich. Wenn ich dort ankomme, werde ich mit meinem Namen begrüßt und wenn ich eine Weile nicht da war, sind die Menschen dort schon besorgt. Es hat etwas sehr Heimisches.

Wie verbringen Sie die Zeit in der Stadt, wenn Sie nicht arbeiten?
Ich habe einige Lieblingsplätze, zu denen ich immer gerne gehe.

Welche sind das?
Ich gehe gern im Alstertal spazieren, mag den Speckgürtel von Hamburg, die Gegend um Sasel herum. Dort ist es herrlich grün. Ich finde die Binnenalster und das Stadtzentrum schön, bin gern in der Speicherstadt und der HafenCity unterwegs. Ich liebe es, im Old Commercial Room zu essen. Dort ist es urig, und den Wirt finde ich besonders lustig. Es gibt eine Menge Plätze und Orte, die sich mit mir und Hamburg verbinden. Hamburg ist für mich eine zweite Heimat.

Hamburg ist die grünste Stadt Deutschlands. Wie empfinden Sie das, wenn Sie in der Stadt sind?
Hamburg ist eine sehr grüne Stadt. Und dann das ganze Wasser. Ich mag das sehr. Deswegen mag ich auch Potsdam so gerne. Hier kann man alles auf dem Wasserweg erreichen. Ich setze mich in mein Boot und fahre einkaufen im Aldi Markt, dort gibt es einen eigenen Bootsanleger für Kunden. Oder ich fahre übers Wasser zum Bahnhof und auch zum Italiener. Manchmal komme ich mir vor, als würde ich in Venedig leben. Ein bisschen erinnert mich Hamburg mit seinem vielen Wasser auch daran.

Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, die zweite Heimat zur ersten zu machen?
Ich hatte kurzzeitig die Idee, aber dadurch, dass ich sehr früh ein Haus mit meiner Schwester zusammen in der Nähe von Potsdam hatte, ergab sich das nicht. Die Kinder gingen hier zur Schule, die Eltern leben hier und wir mussten uns immer irgendwie arrangieren. Aber im Grunde war Hamburg immer ein bisschen meine Oase. In Zukunft wird mein Verhältnis zur Stadt noch enger sein. Meine Stieftochter und mein Schwiegersohn sind Architekten, und sie ziehen jetzt nach Hamburg, um dort zu arbeiten. Hamburg und ich, wir sind eine Symbiose.

Sie haben Filme gedreht, in Serien und Theaterrollen gespielt. Jetzt haben Sie gerade zehn Monate in einer Telenovela die Hauptrolle gespielt. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Eine sehr gute Freundin von mir hatte das Angebot, dort mitzuspielen. Sie fragte mich, ob ich sie aufs Casting vorbereite. Während der Vorbereitung habe ich gemerkt, dass die Geschichte, die dort gespielt wird, nicht schlecht ist. Es sind schöne Texte, man kann das gut erzählen, es ist eine schöne Rolle. Und ich war es leid, in meinem Alter immer nur die Mutter, die Tante, die junge Oma, oder die Richterin zu spielen.

Dann lieber eine Hauptrolle in einer Telenovela?
Warum denn nicht? Ich dachte mir: Wenn ich es hinbekomme, die Geschichte mitzuentwickeln, hätte diese Telenovela einen Reiz für mich. Dann könnte ich etwas von meiner Persönlichkeit und meiner Biographie mit einfließen lassen. Der Produzent war begeistert von der Idee. Ich habe dann mit der Redakteurin und den Verantwortlichen der ARD gesprochen, und wir konnten Heike und Jörg Brückner, die Erfinder von „Rote Rosen“, dafür begeistern, die Geschichte für mich zu entwickeln. So entstand eine Parallelgeschichte zu meiner eigenen Biografie, die sehr viel mit Gerit zu tun hat.

Es heißt, die Arbeit bei einer Telenovela sei ein richtiger Knochenjob.
Es ist Wahnsinn. Man muss jede Woche sehr viel Text lernen. Das ist Fleißarbeit ohne Ende.

Wie läuft ein Drehtag für eine Daily Soap-Folge ab?
Das ist immer gleich. Er beginnt sehr oft 6.50 Uhr mit dem Abholen und endet um 18.30 Uhr. Eineinhalb Stunden bevor die Dreharbeiten beginnen, muss man in der Maske sein. Das sind feste Zeiten. Was von großem Vorteil ist. Wenn ich einen anderen Film oder ein Movie drehe, dann reichen 12 bis 14 Stunden gar nicht aus. Die Zahl der Drehtage hat sich stark minimiert. Früher gab es Fernsehfilme, die mit 28 Drehtagen konzipiert wurden. Heute wird der gleiche Film an 21 Tagen gedreht. Es müssen also sieben Drehtage eingespart werden. Das geht zu Lasten der Produktion, zu Lasten des Teams und zu Lasten der Arbeitszeiten. Wir Schauspieler müssen bei jedem Fernsehfilm unterschreiben, dass wir unentgeltlich Überstunden machen. Wir befinden uns in einer Maschinerie und einer Ausbeutung der künstlerischen Situation.

Wie haben Kollegen oder Freunde reagiert, als Sie sich für die Telenovela entschieden haben?
Sehr, sehr unterschiedlich. Sehr viele haben sich regelrecht für mich gefreut, denn jeder von uns weiß doch, was auf dem Arbeitsmarkt los ist, wie wenige Rollen es für über Fünfzigjährige gibt. Ich habe lange mit Uschi Glas gesprochen und ihr gesagt, dass ich große Angst davor habe, dass ich es mir in der Branche verderbe. Sie sagte: Gerit, spiel es so, als würdest Du jeden Tag einen Kinofilm drehen. Das habe ich mir zu Herzen genommen.

Die letzte Folge ist abgedreht und Sie sind wieder raus. Haben Sie Zeit, sich auf Ihrer Insel vom Telenovela-Stress zu erholen?
Nein, es liegen schon neue Projekte an. Als Nächstes führe ich Regie in dem Theaterstück „Falsche Schlange“. Das ist ein Stück von Alan Ayckbourn, das ich vor zwei Jahren bereits inszeniert habe.

Was ist so reizvoll am Regieführen?
Ich bin ja studierte Schauspielerin und keine Regisseurin. Das ist ein ganz anderer Beruf. Die Entwicklung der Figuren und das Zusammensetzen von Charakteren, Bühnenbild und Musik – wie das alles so ineinandergreift, das finde ich total spannend. Außerdem probe ich wahnsinnig gerne. Ich liebe das Proben mehr als die Vorstellung zu spielen. Regie zu führen, sowohl im Theater als auch vor der Kamera ist für mich die größte Herausforderung überhaupt.

Sie sprachen von Schubladendenken in der Filmbranche. Welche große Rolle würden Sie gern einmal spielen? Eine „Tatort“-Kommissarin vielleicht?
Der „Tatort“ ist die Königsdisziplin im deutschen Fernsehen. Es heißt immer: Wenn einer „Tatort“-Kommissar ist, dann hat er es geschafft. Das Problem ist die Kategorisierung von Schauspielern. Bestimmte Rollen, von denen ich überzeugt bin, dass ich sie spielen könnte, werden mir gar nicht erst angeboten, weil ich in einer Schublade stecke. Ich würde gerne diese Kategorien durchbrechen. Ich wünschte mir, dass ein Regisseur oder eine Produktionsfirma mutig ist und sagt, Gerit Kling ist eine tolle Schauspielerin, wir trauen ihr auch andere Formate zu. Ich jedenfalls glaube ganz fest an mich und versuche das Beste aus jeder Rolle zu machen.

Ulrich Tukur hat gesagt, dass es eine Top 50-Rangliste bei den Schauspielern gibt, die stets die attraktivsten Rollen bekommen.
Und zu diesen Top 50 oder Top 30 habe ich nie gehört. Das liegt wohl auch ein bisschen an meinem Werdegang. Ein Stück weit hat sich das auch jeder selbst zuzuschreiben. Klar, viel ist auch Begabung und Glück. Aber es ist auch davon abhängig, wie man startet. Ich würde aus meiner heutigen Sicht mit 54 Jahren sagen, der Fehler lag am Beginn meiner Karriere. Ich bin gut gestartet am Deutschen Theater, da wurde ich als neues hoffnungsvolles Nachwuchstalent gehandelt, habe einige große Rollen gespielt. Und dann habe ich meine erste große Deutschlandrolle nach dem Mauerfall gespielt – „Die Gerichtsreporterin“. Das war zwar ein 20.15 Uhr-Format für die ARD, aber es war eine Serie mit 13 Folgen. In der Folge hätte ich stärker selektieren und nach wirklich interessanten Rollen mit richtig guten Regisseuren schauen müssen. Das habe ich nicht getan. Stattdessen habe ich gedacht: Was soll ich machen? „Verschollen in Thailand“, ein dreiviertel Jahr lang drehen in Thailand? Ich komme. Die Bücher waren sehr durchschnittlich und ich war in der Hauptrolle. Schwupp, da hatte ich einen Stempel weg.

Haben Sie das überhaupt realisiert?
Das sieht man nicht so. Thailand? Absolute Hauptrolle? 85 Drehtage? Ich bin dabei! Es gab auch Angebote für Einzelfilme, gute Sachen mit tollen Regisseuren. Aber ich wollte lieber die Serie drehen, setzte mehr auf Quantität als auf Qualität. Aus heutiger Sicht sage ich, der Fehler lag tatsächlich an der Auswahl. Ich habe immer viel angenommen aus Angst, zu wenig zu arbeiten. Am wohlsten habe ich mich gefühlt, wenn ich drei Produktionen auf einmal hatte. Es hat mich nicht gestört, dass es mal die Vorabendserie oder die Serie war. Ich habe einfach für mein Leben gerne gearbeitet.

Sind Sie manchmal ein bisschen neidisch auf Ihre kleine Schwester Anja?
Das ist eine fürchterliche Frage. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Ich bin sehr froh und glücklich, dass ich solch eine kluge, schöne und interessante Schwester habe. Wir bringen im Frühjahr ein gemeinsames Buch heraus und gehen zusammen auf Lesereisen, wir haben gemeinsame Filme gedreht und werden das hoffentlich bald wieder tun und wer weiß, vielleicht spielt sie auch mal unter meiner Regie?

Gerit Kling , 54, wuchs mit ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester Anja im brandenburgischen Wilhelmshorst auf. Sie absolvierte ein Schauspielstudium in Ostberlin und startete ihre Karriere am Deutschen Theater in Berlin. 1989 flüchtete sie mit Anja in den Westen – vier Tage später fiel die Mauer. Gerit Kling spielte in Serien wie „Die Gerichtsreporterin“ sowie „Die Rettungsflieger“ und hatte Engagements im Theater am Kurfürstendamm, Staatstheater Nürnberg usw. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet und lebt in einer Patchwork-Familie mit drei Kindern in Potsdam.

 

Gespräch: Achim Schneider Fotos: Ivo von Renner