Es heißt ja, Handwerk habe goldenen Boden. Aber verlassen sollte man sich nicht wirklich drauf. Es gibt ja so viele, die nicht einmal die Lehre schaffen. Fangen wir im Jahr 1817 im südhessischen Heppenheim an. Dort warf Apothekermeister Gottfried Pirsch nach nur zehn Monaten einen 14-jährigen Lehrling wieder hinaus, der bei einem Experiment mit Knallsilber das Dach der Apotheke in die Luft gejagt hatte. Zwei Jahre später wurde der abgebrochene Azubi Chemie-Student, weitere fünf Jahre später Chemie-Professor – und in der Folge einer der Mitbegründer der modernen Agrochemie: Justus Liebig, ab 1845: von Liebig. 103 Jahre nach Liebigs Rauswurf begann in Weimar eine gewisse Marie Magdalene Dietrich eine Lehre als Konzertgeigerin. Aber schon 1922 musste sie wegen einer Sehnenentzündung die Ausbildung abbrechen und stand 1923 erstmals vor einer Filmkamera. Ihre beiden Vornamen hatte sie da bereits zu „Marlene“ verkürzt. Der Rest ist Filmgeschichte.

Künstler und Handwerk – ein schwieriges Thema. Bela B. von der Band „Die Ärzte“ hat in den 1970er Jahren zwei Berufsausbildungen abgebrochen: erst als Polizist und dann als Einzelhandelskaufmann. Erfolgreich beendet hat er eine Lehre als Dekorateur in einem Modehaus. Den gleichen Lehrberuf erlernte in den 1960er Jahren in Hannover Klaus Meine, wollte aber um keinen Preis als Dekorateur arbeiten – 1969 schloss er sich der Band „Scorpions“ an, der er bis heute angehört. Der Schlagersänger Roland Kaiser hat nach seiner Lehre als Automobilkaufmann immerhin noch einige Zeit bei einem Ford-Händler gearbeitet; der Schulabbrecher Peter Maffay hingegen beendete auch seine Lehre zum „Chemigraf“ nicht.

Weit besser sind die Beziehungen zwischen Handwerk und Industrie. Denn von der Herstellung per Hand und Werkzeug bis zur maschinellen Produktion ist es häufig nur ein Innovationsschritt. So beim Wiener Schneidermeister Josef Madersperger. Er hatte 1810 den Einfall, das Nadelöhr an die Spitze der Nadel zu verlegen, was sich als entscheidende Idee auf dem Weg zur Nähmaschine herausstellte. Weitere Beispiele für segensreiche Handwerker-Erfindungen sind das Fernrohr (1608 vom niederländischen Uhrmacher Johannes Lippershey), die Backmischung (1845 vom englischen Bäcker Henry Jones) und das „Frankfurter Würstchen“, das der fränkische Fleischergeselle Johann Georg Lahner im Mai 1805 während seines Aufenthalts in Wien erfand. Den Namen wählte Lahner in Erinnerung an seine Lehrzeit in Frankfurt, und in Wien nennt man sie auch noch immer so – im Rest der Welt ist sie das „Wiener Würstchen“.

James Watt, der spätere Erfinder der Dampfmaschine, hatte zwar 1755 eine Mechanikerlehre begonnen, aber nie beendet – weil man ihm dort nichts mehr beibringen konnte. Unternehmer konnte er trotzdem werden, aber keine eigene Werkstatt als Mechaniker eröffnen: Die zuständige Gilde der Glasgower Hammerschmiede verlangte dafür den Abschluss einer sieben(!)jährigen Lehrzeit.

Während Watts Verdienst als industrieller Revolutionär unbestritten ist, wird die Bedeutung eines anderen Handwerksberufs oft unterschätzt – die der Färber. Sie waren mit oft hoch komplexen Prozessen befasst, die geradezu industrielle Organisation erforderten. In der Antike galt das für die Purpur-Färberei des Seefahrervolks der Phönizier – sie waren Meister (und Monopolisten) darin, Stoffe mit Hilfe eines Sekrets der Purpurschnecke zu färben. Und ab Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich in Europa die Türkischrot-Färberei zu einem der wichtigsten frühen Industriezweige: In mehr als einem Dutzend Produktionsschritten wurden leuchtend rote, licht- und waschechte Textilien hergestellt; zu diesen Schritten gehörte die Behandlung mit ranzigem Öl, Schafmist und Rinderblut. Ab 1856 verlor dann das Handwerk seinen farbigen Boden: Mit der Synthetisierung des Mauvein-Farbstoffs begann die Blütezeit der Farbenindustrie.