Abendblatt-Chefredakteur LARS HAIDER ist Vegetarier, Fan des Kultkochs Yotam Ottolenghi und Gastgeber eines Wein-Podcast – Gründe genug für eine kulinarische Begegnung mit Chefkoch NILS-KIM PORRU vom Business Club Hamburg.

Vegetarisch, keine Pilze. Die Ansage von Lars Haider ist eindeutig. Wobei diese beiden kulinarischen Vorlieben direkt miteinander zusammenhängen. „Wenn man sich früher im Restaurant als Vegetarier zu erkennen gegeben hat, wurde einem immer ein ,ganz schönes Pilzrisotto‘ angeboten.“ Reichte dann wohl irgendwann. Vegetarier ist der 55-Jährige schon seit er volljährig ist, Chefredakteur des Hamburger Abendblatt mittlerweile im 15. Jahr.

Wie viel sich in dieser Zeit bei der traditionsreichen Tageszeitung verändert hat, zeigt sich schon in den Redaktionsräumen, in denen Lars Haider den Küchenchef des Business Club Hamburg an diesem Tag empfängt. Routiniert baut Nils-Kim Porru die mitgebrachten Utensilien und Zutaten an einer Küchenzeile auf, in deren Nachbarschaft sich ein hochprofessionelles Podcast-Studio befindet – nur eines von bald dreien, in denen rund 30 verschiedene Formate entstehen. „Als ich beim Abendblatt anfing, war Print die dominierende Ausspielfläche. Heute haben wir fast so viele Podcast-Hörer in der Woche wie Print-Abonnenten.“ Und auch sonst habe sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten alles verändert – und zwar mehrfach.

Neuland betritt am Großen Burstah auch der Chefkoch. „Ich hatte einen Kollegen aus der Schweiz zu Gast, der mich auf dieses Gericht gebracht hat“, sagt Nils-Kim Porru. Und so soll es „Arancini mit Tomatensugo, Kräuterschaum und Zucchinipüree“ geben. Den Tomatensugo hat der Halb-Italiener bereits vorgekocht – aus „Pulpa Pezzi“, Karotte, Sellerie, Schalotte, Olivenöl, Weiß- und dazu ein wenig Portwein. Die „Reisbällchen“ stellen sich schnell als veritable Bälle heraus, nachdem Porru den im Sugo gekochten, mit Weißwein abgelöschten und mit Parmesan verfeinerten Risotto-Reis zum Abkühlen flächig auf einem Blech verteilt und anschließend mit einem Eisportionierer in Form gebracht hat. Nicht ohne ein wenig Mozzarella im Kern eines jeden Exemplars versteckt zu haben. „Die Arancini werden doppelt paniert und anschließend in Fett ausgebacken.“

Es bleibt nicht allzu viel Zeit, bis der nächste Termin auf Lars Haider wartet. Wenn er selbst zu Hause koche, dann dauere das manchmal gern „den ganzen Tag“. „Ich bin ein großer Fan von Yotam Ottolenghi. Und wenn Freunde vorbeikommen, dann serviere ich schon mal vier oder fünf Gerichte.“ Die Jahre, in denen bloß drei oder vier Gewürze im Schrank gestanden hätten, seien lange vorbei. „Heute sind es an die 50.“

Lars Haider liebt es, dazuzulernen. Dass man seinen Gaumen trainieren und sich dadurch neue Welten erschließen kann, weiß er spätestens seit er „Vier Flaschen“ moderiert, einen der populärsten Wein-Podcasts in Deutschland. Zusammen mit dem Weinexperten Michael Kutej und Video-Redakteur Axel Leonhard hat er schon illustre Gäste wie Johann Lafer, Günther Jauch oder Jon Bon Jovi empfangen. Und sich im Laufe von fünf Jahren nicht nur eine überaus treue Fangemeinschaft aufgebaut, sondern sich nachhaltig von der Passion der Winzerinnen und Winzer anstecken lassen. „Es geht nicht in erster Linie um Wissen. Was mir imponiert sind Menschen, die sich mit voller Leidenschaft um eine Sache kümmern.“

Der Abendblatt-Chef hat mittlerweile eine ganze Fülle an Plattformen geschaffen, auf denen er eben diesen Menschen begegnen kann. Persönlichkeiten wie Alexander Klar, Direktor der Hamburger Kunsthalle, mit dem er durch den Podcast „Ich sehe was, was du nicht siehst“ führt. Der Journalist will nah dran sein und verstehen, „warum Leute so sind wie sie sind“. Und so moderiert er noch „Entscheider treffen Haider“, immer wieder auch auf großer Bühne. Robert Habeck in der Laeiszhalle, Peter Maffay auf Kampnagel, Triell zur Bürgerschaftswahl im Börsensaal der Handelskammer. „Wir wollen viele Punkte schaffen, über die die Menschen mit dem Hamburger Abendblatt in Kontakt kommen.“

Den typischen Leser? Gebe es längst nicht mehr. Schließlich erreiche man ganz unterschiedliche Zielgruppen nicht nur via Print oder E-Paper, sondern auch über die Website und eben das Podcast-Angebot. Dass seine aktuelle Führungsposition sein Traumjob ist, unterstreicht eine Anekdote, die zu erzählen ihm seine Frau eigentlich verboten habe. Darin geht es um seine Eltern, ihre Fahrt in der legendären weißen Abendblatt-Hochzeitskutsche und das entsprechende, sorgsam gehütete Foto, das zur Kindheit des kleinen Lars gehörte. Abgekürzt: „Ich wollte gar nicht Journalist werden, ich wollte eigentlich zum Hamburger Abendblatt.“ Unter seiner Leitung hat die Chefredaktion die Form eines Boards angenommen. „Die Zeit ist vorbei, in der es den einen Chefredakteur gibt, der allein alles verändert.“

Teamwork ist nun auch in der Küche angesagt. Das Püree will vorbereitet werden, und dazu müssen Zucchini, Schalotte, Knoblauch und Thymian leicht in Butter angeschwitzt, mit Salz und Pfeffer gewürzt und danach zerkleinert werden. Chefredakteur und -koch tauschen sich kurz über die Vorzüge des Thermomix‘ aus, dann landet man irgendwann beim Basketball. Beide haben in jungen Jahren in Hamburger Vereinen gespielt – Lars Haider bei der Turnerschaft Harburg. Wenn man den 55-Jährigen vor wenigen Jahren gefragt hätte, wie er in seiner Freizeit den Kopf frei bekomme, dann hätte er wohl „Lesen“ geantwortet. Doch statt 30 oder 40 lese er nur noch wenige Bücher pro Jahr. Einfach deshalb, weil er seit 2021 selbst sieben geschrieben hat.

Das hängt mit der Wahl von Olaf Scholz zum Bundeskanzler im selben Jahr zusammen, dessen Biografie Haider quasi zeitgleich veröffentlichte. Ein „Glücksfall“, wie er es nennt, der am Ende der Marke Abendblatt genutzt hat. „In der Zeit, in der Scholz Kanzler war, hatte ich bestimmt 150 TV- und Radio-Auftritte, die hoffentlich auch immer Werbung für das Abendblatt waren.“ Ein Auftritt bei Markus Lanz führte zum nächsten Projekt – einem Buch über das Leben des Südtirolers und darüber, wie es der Junge aus bescheidenen Verhältnissen über Umwege zu einem ernstzunehmenden Politikjournalisten gebracht hat. Noch so eine „faszinierende Geschichte“ für den Journalisten, der später auch nicht ablehnte, als sein Verleger ihm eine Krimiserie antrug. „Eine Trilogie, die jetzt mit dem vierten Band endet“, sagt Lars Haider mit einem Augenzwinkern. Eine Auflage von 60.000 verpflichtet.

Wie er den Schreibprozess in den Alltag integriere? „Nicht journalistisches Schreiben ist für michtotale Entspannung. Das kann abends ein, im Urlaub oder auch mal in der Bahn.“ Vor einer Weile ist Lars Haider in die Nähe der Schwiegereltern an den Stadtrand gezogen. Ein Mehrgenerationenhaus sei schon immer eines seiner Lebensziele gewesen. „Ich halte es für ein gutes Modell, wenn Kinder mit ihren Großeltern aufwachsen.“ Die Frage Stadt oder Land hat Lars Haider in seinem aktuellsten Buch verarbeiten können: „Am Ende der Straße die Schlei“ soll Anfang 2026 erscheinen. Zwischen dem Meeresarm und der Ostsee verbringt er gern Wochenenden. Ob er manchmal auch mit der ganzen Großfamilie koche? „Oma kocht gern gutbürgerlich. Grüne Sauce mit Kartoffeln ist in Ordnung, aber bei Gerichten wie Rouladen bin ich raus.“

Der Schaum, den Lars Haider nun über die Arancini verteilen darf, verdankt seine Färbung frischem Basilikum. Als der Hobbykoch auch den Tellerrand mit Kräuteröl garnieren möchte, geht der Koch dazwischen: „Tellerrand ist nicht. Der gehört dem Gast.“ Wieder etwas dazugelernt. Als endlich probiert werden darf, lässt es sich der Abendblatt-Chef aller Etikette zum Trotz nicht nehmen, den nun fadenziehenden Mozzarella-Kern auf ein Maximum auszudehnen. Humor muss sein.

Der nächste Termin naht, doch er gibt sich entspannt. „Als ich jünger war, habe ich immer schon an den nächsten Schritt gedacht.“ Mittlerweile genieße er das Hier und Jetzt. Wo seine Zeitung in fünf Jahren stehe? „Das Hamburger Abendblatt wird eine große Medienmarke mit vielen Ausspielplattformen sein, die sich aus ihren digitalen Erlösen finanziert“, sagt er. „Lokaljournalismus ist vielleicht so wichtig wie noch nie. Es geht wirklich um was.“

Text: Alexandra Maschewski Fotos: Fabijan Vukcic