Auf dem Gipfel ist es einsam? Das war einmal. Immer mehr Führungskräfte kaufen in schwierigen Zeiten die Hilfe eines Profis ein – und lassen sich coachen. Doch sind die externen Berater ihr Geld tatsächlich wert?

„Manch einer ertrinkt lieber, als dass er um Hilfe ruft.“ Dieser boshafte Spruch des deutschen Schriftstellers und Zeichners Wilhelm Busch passte bis vor Kurzem noch perfekt auf die allermeisten Firmenbosse in Deutschland. Die Idee, ein guter Manager oder eine gute Führungskraft sei nun einmal einsam und müsse sämtliche Probleme alleine bewältigen, gehörte zu den ungeschriebenen Regeln all jener, die es beruflich zu etwas gebracht hatten. Auch wenn die Folgen dieser Weltanschauung oft verheerend waren. „Oben ist die Luft eben dünn“, tröstete man sich dann, selbst wenn das bedeutete, dass einen der eigene Erfolg unglücklich oder gar krank machte.

Diese Zeiten sind vorbei. Von Zuständen wie in den USA, wo sich selbst gestandene Topmanager regelmäßig auf die Couch ihres Analytikers legen, um im Alltag besser zu bestehen, ist man in Deutschland zwar noch weit entfernt. Doch auch hier hat es sich herumgesprochen, dass es hilfreich sein kann, sich bei der täglichen Arbeit unterstützen zu lassen. Zum Beispiel durch einen Coach.

Eine aktuelle Studie der Philipps-Universität Marburg belegt: Die Nachfrage nach Coachings ist den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen – und ein Ende des Trends ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Nicht nur in der Chefetage gehen Coaches inzwischen ein und aus; auch im mittleren Management und selbst auf der einfachen Mitarbeiterebene setzen Firmen inzwischen auf externe Hilfe.

Bachblüten und Samurai
In der Regel sind es jedoch noch immer die Führungskräfte, die in den Genuss eines umfassenden Coachings kommen. „Unsere Erfahrungen mit diesem Instrument sind durchweg positiv“, sagt Christoph Mallée, Leiter der Abteilung Geschäftskunden Süd bei der E.ON Hanse Vertriebs GmbH in Hamburg. Berührungsängste mit den Coaches habe es nie gegeben. „Die meisten der Kollegen sind stolz, dass sie eine solche Chance erhalten.“ Per se eine erfreuliche Entwicklung. Es gibt nur ein Problem: Nicht überall, wo Coaching draufsteht, ist auch Coaching drin. In dem dynamisch wachsenden Markt tummeln sich – neben ausgewiesenen Experten – auch zahlreiche schwarze Schafe, die mit fragwürdigen Angeboten das große Geld machen wollen. Vom „Energetischen Coaching zur Befreiung und Transformation“ über Bachblüten-Coaching bis hin zur Dream Guidance (also Traumführung) gibt es kaum etwas, was es nicht gibt. Besonders Ausgebuffte bieten gar Coachings an, die „in altem Geheimwissen hawaiianischer Ureinwohner wurzeln und auf Erkenntnissen der Quantenphysik aufbauen“ – und werden gebucht. „Das Bedürfnis nach Unsinn ist mitunter genauso groß wie das Bedürfnis nach seriösen Coaches“, so die Erfahrung von Christopher Rauen, Vorsitzender des Deutschen Bundesverbands Coaching. „Mitunter lassen sich Klienten sogar so absurde Dinge wie ein ‚Samurai-Coaching’ verkaufen“, wundert sich der Experte. „Was man darunter verstehen kann, ist der Phantasie jedes Einzelnen überlassen.“

Erlaubt ist, was gefällt
Rauen geht davon aus, dass in Deutschland derzeit etwa 35 000 bis 40 000 Anbieter um die Gunst von potenziellen Klienten buhlen. „Wirklich professionell ausgebildet sind davon wohl nur an die 8000.“ Woran aber liegt es, dass auf einem so wichtigen Markt so viele Scharlatane ihr Unwesen treiben können? Diese Frage entlockt seriösen Vertretern der Zunft meist ein tiefes Seufzen. Denn trotz intensiver Bemühungen seitens der Berufsvertreter gibt es bis heute keine verbindlich vorgeschriebene Qualifi kation für Menschen, die als Coach ihr Geld verdienen wollen. Selbst was unter dem Begriff „Coaching“ selbst zu verstehen ist, wird nicht immer einheitlich definiert. Vielfach wird „Coaching“ zum Beispiel synonym mit dem Wort „Training“ verwendet. Dabei unterscheiden sich die beiden Verfahren deutlich voneinander: Während es beim Training vor allem darum geht, dem Klienten ein bestimmtes Wissen zu vermitteln – etwa zehn Tipps zum Zeitmanagement –, verfolgt das Coaching einen ganz anderen, sehr viel individuelleren Ansatz. „Coaches sollen ihre Klienten, abhängig von deren Position und Funktion, dabei unterstützen, die Ursachen für schwierige Situationen zu erkennen, ihr Verhalten darauf einzustellen und sie dadurch besser zu meistern als bisher“, sagt Dietmar Baum, Gründer der Coaching-Agentur MPPO. Diese Überzeugung spiegelt sich auch im Namen seines Unternehmens wieder. Die Abkürzung MPPO steht für „motivorientierte Persönlichkeits- und Prozessoptimierung“ – und genau so will Baum seine Coaching-Methode verstanden sehen. „Zu wissen, wie ein Mensch sich verhält, reicht heute meist nicht mehr aus“, so der Experte. „Erst wenn wir erkennen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln, können wir unsere und die Verhaltensweisen anderer richtig einschätzen und in unserem Beruf dauerhaft erfolgreich sein.“ Aus diesem Grund misst Baum am Anfang des Prozesses die Kommunikations- und Leistungsbereitschaft seines Klienten und stellt sie visuell dar. So werden die eigenen Antriebe für den Coachee anschaulich illustriert. Die Folge: „Wir können einen Plan mit ihm erarbeiten und die Leistung garantieren“, so Baum.

Gut Ding will Weile haben
Die Einsatzgebiete sind dabei vielfältig. Führungskräfte zum Beispiel haben häufig konkrete Fragen zur Mitarbeiterführung, Vertriebler hingegen suchen oft nach der optimalen Kundenkommunikation. „In der Regel behandeln Coach und Klient vor allem Probleme, die erst im Laufe des Berufslebens auftreten und die ihre Ursache zum einen in der Persönlichkeitsstruktur des Klienten, zum anderen in der seiner Mitmenschen haben“, so Experte Baum. Dem einen fehlt es im Team am nötigen Durchsetzungsvermögen, andere tun sich schwer, Entscheidungen zu treffen, und wieder andere haben mit unmotivierten Mitarbeitern zu kämpfen, die sich partout nicht aus der Reserve locken lassen. Derartig komplexe Probleme lassen sich allerdings nicht von heute auf morgen lösen. Ein guter Coach begleitet seinen Klienten oft über Monate oder gar Jahre hinweg regelmäßig, meist in Einzelsitzungen. Bei Stundenpreisen zwischen 100 und 350 Euro (oder mehr) kein ganz billiges Vergnügen, das, damit es zum Erfolg führt, einer akribischen Vorbereitung bedarf. Bei E.ON Hanse geht man daher mit sehr viel Bedacht vor, wenn man einem Mitarbeiter den Luxus eines (kostspieligen) Coachings angedeihen lässt. Das vielleicht wichtigste Kriterium ist dabei, dass der betreffende Kollege selbst den Wunsch hat, etwas zu verändern. Von „verordneten Coachings“ hingegen hält der Vertriebler Mallée nur wenig. „Wer nicht bereit ist, sich und sein Verhalten intensiv zu hinterfragen und auch an den eigenen Verhaltensmustern zu arbeiten, dem wird ein Coaching auch nichts bringen“, lautet seine Überzeugung. Auch bei der Vorbereitung der Sitzungen überlässt man bei E.ON Hanse nichts dem Zufall. „Wichtig ist es uns vor allem, ein klares Ziel zu definieren“, so Mallée. „Ist das geschehen, sucht unsere Personalabteilung ein oder zwei Experten aus, die sich auf derartige Problemstellungen spezialisiert haben. In einem dritten Schritt bringen wir dann den Coachee und seinen Berater zusammen. Stimmt die Chemie, beginnt das Coaching, wenn nicht, geht die Suche nach einem geeigneten Berater weiter.“

Nicht nur der gute Ruf entscheidet
Ein Auswahlprozess wie im Bilderbuch. Aber leider keine Selbstverständlichkeit. Denn oft haben die angehenden Coachees bereits Schwierigkeiten damit, ihre Probleme sowie die Erwartungen an den Coach klar zu formulieren. Genau das ist aber wichtig, um bei der Auswahl des Beraters die richtige Entscheidung zu treffen. Und auch dem letzten Punkt, der persönlichen Beziehung zwischen Coach und Klienten, wird in der Praxis oft viel zu wenig Beachtung geschenkt. Gemäß der Parole „bekannt und bewährt“ beauftragt so manches Unternehmen über Jahre hinweg denselben Berater für alle zu coachenden Mitarbeiter. Ein fragwürdiges Verfahren. Denn: „Ein Coaching ist eine sehr persönliche Angelegenheit, in dem man eine Menge von sich preisgeben muss“, erläutert Verbandschef Rauen. „Wenn Coach und Klient sich nicht verstehen, wird man daher keine guten Ergebnisse erzielen.“ Diese Aussage würde man – so oder so ähnlich – auch von einem verantwortungsvollen Psychotherapeuten hören. Dennoch legen die meisten Coaches sehr viel Wert darauf, dass ihre Arbeit nicht als „Light-Version einer Psychotherapie“ verstanden wird. „Der große Unterschied zwischen den beiden Verfahren: Coaching richtet sich an gesunde Personen und widmet sich überwiegend Problemen, die aus der konkreten beruflichen Situation entspringen“, erläutert Rauen. Dass die sich nicht immer trennscharf von bestimmten privaten Problemen trennen lassen, sei zwar nicht zu leugnen. „Dennoch sollte der Dreh- und Angelpunkt eines Coachings stets der Beruf sein und der Coach daher auch über ein bestimmtes Business- und Branchenwissen verfügen.“ Wer es geschafft hat, einen solchen Experten ausfindig zu machen, hat dafür hervorragende Erfolgsaussichten. Ein Wundermittel sei das Coaching nicht, warnt Branchenkenner Baum. „Systematisch angewandt ist es aber ein hervorragendes Werkzeug, um die eigenen Fähigkeiten zu optimieren, Führungsanforderungen zu meistern oder mit stetig steigenden beruflichen Anforderungen zurechtzukommen.“

 

WAS GUTE COACHES KÖNNEN SOLLTEN

Qualifikation
Um ein exzellenter Coach zu werden, braucht es eine exzellente Ausbildung, so viel ist klar. Verbindliche Maßstäbe, was man für diesen Beruf gelernt haben muss, gibt es aber nicht. Wer unsicher ist, sollte daher Referenzen einholen oder in Erfahrung bringen, ob die Kurse, die der Coach belegt hat, von einem Berufsverband anerkannt sind.

Spezialisierung
Damit das Coaching ein Erfolg werden kann, empfiehlt es sich, einen Fachmann zu Rate zu ziehen, der auf dem fraglichen Gebiet möglichst große Erfahrungen hat. Wer im mittleren Management arbeitet, für den steht oft der Umgang mit einzelnen Personen im Vordergrund, im oberen Management geht es hingegen eher um Fragen der Unternehmensführung. Dies sollte bei der Auswahl des Coaches beachtet werden.

Seriosität
Ein Coach ist kein Trainer. Deshalb sollten Interessenten immer dann aufhorchen, wenn ihnen von ihrem Gegenüber der ganz schnelle Erfolg versprochen wird. Denn beim Coaching geht es nicht darum, bestimmte Regeln zu erlernen, sondern die eigene Persönlichkeit besser kennenzulernen und Verhaltensmuster zu erlernen, die das Miteinander mit Kollegen und/oder Kunden verbessern. Ein solcher Prozess braucht Zeit, selbst wenn man mit ausgewiesenen Fachleuten arbeitet.

Arbeitsweise
Auch wenn ein Coach Verständnis für die Nöte und Sorgen seines Gegenübers aufbringen sollte; die Stunden bei ihm sind keine Kuscheleinheiten. Experten, die ihren Job verstehen, stellen deshalb auch unbequeme Fragen, selbst wenn das im ersten Moment nicht besonders angenehm für den Klienten ist.

Seniorität
Das Alter allein ist zwar kein Kriterium für die Güte eines Coaches; die Erfahrung lehrt jedoch, dass gerade erfahrene Führungskräfte eher Vertrauen zu einem Gesprächspartner fassen, der in seinem Metier ähnlich erfolgreich bzw. erfahren ist wie sie selbst.

Chemie
Selbst ein ausgewiesener Experte kann kaum etwas bewirken, wenn er und sein Klient sich menschlich nicht verstehen. Idealerweise sollte der Coach daher die Möglichkeit anbieten, in einem (kostenlosen) Vorgespräch zu testen, ob er und sein Gegenüber eine gemeinsame Basis haben.

Text: Catrin Gesellensetter     Illustration: Jasmin Nesch

Dr. Catrin Gesellensetter arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in München. Die gelernte Juristin hat eine ausgeprägte Vorliebe für Karrierethemen und alles, was Recht ist. Sie schreibt unter anderem für Capital, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung.