Auf der Suche nach dem Sinn: Viele Unternehmen fragen sich, ob sie bei Facebook, Twitter oder YouTube aktiv sein müssen. Die Antwort lautet: Ja! Hier steht, wie SOCIAL MEDIA geht und was es bringt.

In der globalisierten Medienwelt von heute gibt es immer noch Menschen, denen das Thema Social Media „Bauschmerzen“ bereitet. So ging es auch Anja Reiteritsch, als ihr 2010 ein Berater empfahl, sich mit dem Thema zu beschäftigen und die Möglichkeiten für ihr Geschäft zu nutzen. Anja Reiteritsch ist Herausgeberin von Special for Groomer, einer Fachzeitschrift für die Pflege von Hunden, und manchmal schien ihr der Hype um Social Media einer Weltverschwörung gleichzukommen. „Ihr scheint jedes Jahr eine neue Sau durchs Dorf zu treiben“, antwortete sie skeptisch. Reiteritsch hatte die guten Ratschlage der vielen Unternehmens- Flüsterer noch im Ohr: „2007 konnten wir angeblich nur überleben, wenn wir auf „Second Life“ unterwegs waren. 2008 pries man uns Facebook als ultimativen Marketing-Kick aus den USA an. 2009 mussten wir twittern, wenn wir bestehen wollten. 2010 hieß die heilige Kuh ‚Foursquare‘, und 2011 lautet das Credo: Gehen Sie zu Google plus!“ Und mit einem Kopfschütteln fügt sie hinzu: „Und ein Unternehmensblog musste selbstverständlich auch her.“

Die Frage, ob es eine Weltverschwörung der Berater gab, ist durch den Siegeszug des Web 2.0 längst beantwortet. Anja Reiteritsch sagt heute: „Social Media ist für mich ein Muss.“ Aber jetzt gibt es viele neue Fragen: Auf welchen Plattformen müssen wir mitmachen? Wie fängt man das an? Was bringt das überhaupt? Damit stellen sich drei der häufigsten Fragen, die Unternehmen heute beim Thema „Social Media“ bewegt.

Der Kölner Spezialist für Webkommunikation, Christian Schims, betreut Kunden aus unterschiedlichen Branchen. Seine Erkenntnis: „Social Media sind nicht für jede Firma sinnvoll, aber für viele. Denn das Web 2.0 ist kein kurzfristiger Hype, sondern eine neue Entwicklungsstufe des Internets.“ Statt Informationen von Sendern zu Empfängern zu verbreiten wie im Web 1.0, wollen mündige Kunden heute gleichberechtigt mitreden. Sie wirken an Produkten mit wie etwa bei der Entwicklung der Ritter „Blog-Schokolade“, sie kreieren in einem Wettbewerb neue Verpackungen für das Spülmittel Pril oder sie stimmen über Models für Facebook-Kampagnen ab. Dazu hatte beispielsweise der Versender Otto seine Facebook-Fans aufgerufen.

Fest steht: Derzeit findet eine Demokratisierung des Internets statt. Christian Schims beschreibt, wie die Kommunikation zu Produkten und Marken heute abläuft: „Die Menschen tauschen sich zu vielen Themen aus, jeder ist Sender und Empfänger. Man diskutiert sein Hobby oder seine Lieblings-Nachspeise und bekommt Empfehlungen von Gleichgesinnten.“ Es finden sich Gruppen mit den gleichen Interessen. Informationen bekommt man nicht mehr von Medien vorgesetzt, sondern jeder stellt selbst seine Nachrichten zusammen, die er konsumieren will. „Das Internet ist also kein Massenmedium mehr, es ist ein massenhaft genutztes Individualmedium“, sagt Schims.

Zurückhaltend, aber nicht grundsätzlich ablehnend begegnet der auf Textilfirmen spezialisierte Unternehmensberater Leo Faltmann dem Web 2.0. Er will sich vom Hype nicht anstecken lassen, sondern genau den Mehrwert für Unternehmen und Kunden erkennen. „Es gibt Marketing-Kanäle genug. Warum sollen Firmen sich nun auch noch in Social Media wie Blogs, Twitter, Xing, Facebook, Foursquare oder anderen Netzwerken engagieren?“ Grundsätzlich sei er aufgeschlossen, sich mit Social Media vertraut zu machen. Faltmann: „Aber es muss für Kunden und uns etwas bringen.“ Daran besteht für Schims kein Zweifel: „Fischer fischen dort, wo Fische sind. Und 96 Prozent der jüngeren Menschen bewegen sich heute in Social Media.“ Zunehmend treffen sich dort auch ältere. Facebook hat in Deutschland die Grenzen von 20 Millionen Nutzern überschritten. Und die 140 größten Blogs in Deutschland sollen 140 Millionen Nutzer haben. Ein knappes Drittel der Amerikaner zwischen 18 und 35 Jahren schaut noch vor dem Aufstehen das erste Mal in den Facebook-Account.

„Früher fanden Gespräche am Gartenzaun statt, heute hören 10 000 Menschen beim Dialog im Netz zu.“

In hundert Prozent aller Aufträge muss Web 2.0-Experte Schims den Mehrwert von Social Media erklären. Er argumentiert gegenüber seinen Kunden so: „Ein großer Teil Ihrer Kunden dürfte heute im Internet anzutreffen sein. Zudem ist es ziemlich sicher, dass Kunden im Netz bereits über Sie reden.“ So könne es in einem Forum heißen: „Du gehst noch zu der Werkstatt an der Ecke? Die sind teuer und haben den Fehler in der Elektrik übersehen.“ Früher, so Schims, konnte dieses Gespräch nur am Gartenzaun zwischen zwei Personen stattfinden. „Heute hören bei einem solchen Dialog 10 000 Menschen zu.“

Deshalb ist es wichtig, zunächst Monitoring zu betreiben. Peter Bernskötter, Geschäftsführer des Hamburger Spezialisten BC. Lab, erläutert, um was es dabei geht: „Unsere Auftraggeber wollen wissen: Wer spricht über sie? Was loben ihre Kunden, was kritisieren sie, was wünschen sie sich? Wo finden die Diskussionen statt? überwiegt Lob oder Kritik?“ Das alles lässt sich für Fachleute perfekt erschließen. Wer will, kann daraus wertvolle Dinge zum Beispiel für die Entwicklung seiner Produkte lernen. Bernskötter: „Dieses Zuhören im Web 2.0 ist kein Luxus, sondern Pflicht.“ Denn die Firma Henkel hatte bei dem erwähnten Wettbewerb für die Verpackung von Pril schlicht übersehen, dass im Netz über den Geruch des Spülmittels diskutiert wird. Und prompt wählte die Community ein unvorteilhaftes Design mit der Aufschrift: „Schmeckt lecker nach Hähnchen.“

Unternehmen fragen heute oft: Wie soll man das mit den Social Media überhaupt anfangen? In diesem Fall lautet die wichtigste Gegenfrage von Schims: „Was wollen Sie mit Social Media denn erreichen: den Umsatz steigern, sich bekannt machen, Kunden gewinnen und beraten, Reputation aufbauen, neue Mitarbeiter gewinnen, Ihr Produkt bekannt machen, die Zielgruppe zum Bestellen Ihres Katalogs bringen? Danach richtet sich die Strategie.“ Die Möglichkeiten sind vielschichtig.

Einer Versuchung sollten Web 2.0-Rookies allerdings nicht erliegen: Social Media als zusätzlichen Weg für ihre Werbung ansehen. „Social Media sind keinesfalls ein günstiger Kanal für Werbebotschaften. Social Media sind Dialog auf Augenhöhe. Vor allem fordern Social Media einen absolut ehrlichen Umgang miteinander. Wer trickst, hat früher oder später verloren“, rät Groomer-Inhaberin Reiteritsch. Schmunzelnd fügt sie hinzu: „Meist früher.“ Zurzeit versuchen Unternehmen immer stärker, Serviceprozesse in die Social Media zu verlagern. Sehr stark wächst der Markt für Social Software. Sie bringt Daten aus dem Web 2.0 mit Daten aus dem Customer Relationship Management (CRM) zusammen. Denn in den Social Media geben Nutzer bereitwillig über ihre Vorlieben Auskunft; zudem pflegen sie ihre Daten akribisch selbst, so dass alle Angaben authentisch und hochwertig sind. Kein Wunder also, dass bekannte Adresshändler Daten aus Social Media bereits in Kampagnen-Managementsysteme integrieren.

Doch was bringt das alles? Spezialisierte Unternehmen sind längst dazu in der Lage, den wirtschaftlichen Nutzen von Social Media in Zahlen auszudrücken. Dazu bildet man zum Beispiel den Geschäftsprozess eines Unternehmens ab und ordnet ihm messbare Größen aus dem Web 2.0 zu. Bei der Gewinnung von Neukunden lassen sich Zahlen des Statistik-Tools Facebook Insights verwenden. Es misst unter anderem die wöchentliche Zahl neuer Fans oder man lässt sich den Anstieg des „Fan“-Zugangs gegenüber dem Vormonat anzeigen. Im Versandhandel wird bereits gemessen, ob Kunden, die über Facebook in den Shop kommen, treuer sind als andere Käufer, ob sie öfter einkaufen und ob sie dabei größere Summen ausgeben. Wer die Daten von Facebook Insights rechtzeitig exportiert und gesichert hat, kann Monats- oder Jahresvergleiche ausweisen. Dadurch werden auch Hochrechnungen in die Zukunft möglich: Bringt die doppelte Anzahl von „Fans“ einen doppelten Umsatz? Und schließlich lässt sich gut bestimmen, ob Kunden oder die Öffentlichkeit im Allgemeinen freundlicher über das Unternehmen sprechen als vor dem Engagement in Social Media.

Wer im Netz nicht ehrlich agiert, wird ganz schnell Schiffbruch erleiden und seine Firma schädigen

Zu den wichtigsten Faustregeln im Web 2.0 gehört das Prinzip, authentisch zu bleiben. Wer nicht ehrlich mit seiner Zielgruppe agiert, wird sehr schnell Schiffbruch erleiden und seine Firma nachhaltig schädigen. Deshalb hat es sich als vorteilhaft erwiesen, eine Social Media Policy für sein Unternehmen zu entwerfen. Diese regelt, ob Mitarbeiter während der Arbeitszeit auf Facebook unterwegs sein dürfen, ob und wie sie im Netz über Wettbewerber und Kunden sprechen, was sie über Interna, Vorgänge und Produkte schreiben dürfen oder wie sie mit Kritik umgehen. Web 2.0-Berater Schims: „Mitarbeiter akzeptieren diese Verhaltens-Leitplanken umso besser, je mehr sie daran mitwirken können. Eine Social Media Policy spiegelt somit immer die Kultur eines Unternehmens wider.“

Social Media sind international, aber auch lokal. Das zeigt ein anderes Beispiel: der Maler Werner Deck aus dem kleinen Ort Eggenstein-Leopoldshafen bei Karlsruhe. Er berichtet über seinen Alltag mit Kunden und Mitarbeitern. Zum Beispiel mit dem Blogeintrag: „Hammer! Diese Kundin beschwert sich nach 12 Jahren. Was tun?“ Solche Nachrichten haben ihre stattliche Fangemeinde: Der Maler Deck hat monatlich 70 000 Besuche in seinem Blog. Mit (seltener) öffentlicher Kritik von Kunden geht er offen um. Sein Stil, seine Mitarbeiterführung und seine Arbeit trugen ihm bereits viele Preise ein.

Nicht nur für ihn gilt: Probieren geht über studieren. Wer die Scheu ablegt und sich bei Facebook, Twitter oder in Fachblogs anmeldet und danach beobachtet und liest, hat die erste Hürde schon überwunden. „Am besten ist, man agiert wie auf einer Party: Wenn Sie dort eintreffen, hören Sie beim Plausch zumeist erstmal zu und beteiligen sich dann am Gespräch“, rät Special for Groomer-Inhaberin Reiteritsch. Gäste, die schon in der Haustür in den Saal rufen „Ich will Marktführer werden“, mögen davon selbst überzeugt sein. Eines werden sie nicht: Sympathieführer – und Freund ihrer Kunden.

 

DIE ZEHN WICHTIGSTEN TIPPS ZUM START IN SOCIAL MEDIA

1. Bevor Sie bei Twitter oder Facebook auf den Sendeknopf drücken: Hören Sie eine Zeit lang zu, was über Ihre Themen gesagt wird. Das gibt ein Gespür für den richtigen Ton Ihrer Kommunikation.

2. Finden Sie heraus, wo Ihre Zielgruppen zu finden sind.

3. überlegen Sie: Was möchte ich mit Social Media bewirken? Ziele können sein: Neue Kunden gewinnen, Image aufbauen, das Internet mit dem stationären Geschäft verbinden.

4. Entwickeln Sie eine Strategie.

5. Was Sie veröffentlichen, muss für Ihre Zielgruppe relevant sein.

6. Verlinken Sie von Ihrer Website aus auch Ihre neuen Angebote (Facebook, Twitter, Foursquare, Sevenload).

7. Markieren Sie in Ihren Posts Schlagworte („Hashtags“), die Ihre Themen umreißen. Wenn Sie in Sachen Sü.waren unterwegs sind, zum Beispiel #Marzipan oder #Schokolade. Dadurch werden Ihre Beiträge besser gefunden.

8. Verfolgen Sie, auf welche Themen und Angebote Ihre Zielgruppe am besten reagiert.

9. Nutzen Sie die Chance, um etwas über die Vorlieben Ihrer Zielgruppe zu erfahren.

10. Legen Sie für Mitarbeiter, Kunden und Nutzer Ihrer Kommunikationsangebote klare Regeln für den Umgang in Social Media fest.

Text: Martin Schleinhege      Illustration: Johannes Hermann
Martin Schleinhege ist Fachautor für Social Media-Themen. Als Berater war er verantwortlich für die Implementierung von Social Media beim Otto Konzern.