Seit rund 200 Jahren kommen GEWÜRZE über den Seeweg nach Hamburg. Aromen aus exotischen Ländern haben unsere Esskultur maßgeblich beeinflusst und den Ruf der „Pfeffersäcke“ begründet.

Pfeffer aus Vietnam, Muskatnuss aus Indonesien, Zimt aus Sri Lanka – exotische Gewürze vermögen es, im Kopf ein Kaleidoskop an bunten Bildern zu zaubern. Dass sich die Deutschen einen Hauch der weiten Welt in die heimische Küche holen können, haben sie auch der Gewürzmetropole Hamburg zu verdanken: Denn dort, wo schon vor rund 200 Jahren angesehene Kaufleute regen Handel mit wertvollen Spezereien aus fernen Ländern trieben, werden heute fast 90 Prozent aller über den Seeweg in die Bundesrepublik kommenden Gewürze umgeschlagen – und das sind jedes Jahr etwa 80 000 Tonnen. Damit ist der Hamburger Hafen nach Singapur, New York und Rotterdam der viertgrößte Umschlagplatz für Gewürze auf der gesamten Welt.
Die Gewürzbranche in der Hansestadt mag kleiner geworden sein in den vergangenen Jahrzehnten – aber es gibt sie noch, hochkompetente Spezialisten, deren Unternehmen auf eine lange Tradition zurückblicken können. Und jüngere Manufakturen, die um die Lust der Deutschen an kulinarischen Abenteuern wissen und sie mit kreativen Mischungen auf die Reise schicken.

Die letzten Pfeffersäckett_hh_text6
Das Geschäft, das die Hamburger „Pfeffersäcke“ einst reich gemacht hat, hat sich massiv gewandelt. Noch vor 30 Jahren konnte man rund zwei Dutzend klassische Gewürzimporteure an der Elbe zählen, heute existieren nur noch wenige. Einer davon ist Kai Friedrich Jantzen, der das 1859 gegründete Handelshaus Jantzen & Deeke in sechster Generation leitet. Der 45-Jährige ist einer der letzten großen Pfefferhändler und nach 22 Jahren im Familienunternehmen hat er sich längst daran gewöhnt, dass in seinem Geschäft viel spekuliert und wenig Pause gemacht wird. Bei welchem Preis schlage ich zu? Wird Ware zurückgehalten, um Preise künstlich in die Höhe zu treiben? „Man kann das, was wir tun, mit dem Börsenhandel vergleichen. Es geht viel um Informationen“, sagt Jantzen, dessen Arbeitsplatz nicht weit entfernt liegt von der Deichstraße, die als Wiege des hanseatischen Gewürzhandels gilt. In seinem Büro sitzt ihm sein Cousin Sven Stamer gegenüber, ebenfalls Gewürzhändler mit eigener Firma, und zusammen mit einem weiteren Kaufmann namens Ivo Schwab könnte man die drei wohl als die letzten Hamburger Pfeffersäcke bezeichnen.
„Ich kann mich noch daran erinnern, wie unser Onkel früher per Telex geordert hat. Heute läuft der Handel vor allem über Mail, Skype oder WhatsApp“, sagt Jantzen, dessen Mobiltelefon sein ständiger Begleiter ist. „Morgens machen wir mit Asien Geschäfte und abends mit den USA.“ Nur etwa ein Fünftel der von Jantzen gehandelten Gewürze ist für den heimischen Markt bestimmt, Hauptkunde des Unternehmens ist hierzulande die Industrie. „Man kennt uns nicht, aber alle essen das Produkt, das durch unsere Hände geht“, sagt Kai Friedrich Jantzen. „Sehr riskant und kapitalintensiv“ sei das Geschäft. In seiner Unternehmenslaufbahn hat er bereits Pfefferpreise zwischen 900 und 10 000 Dollar pro Tonne erlebt – noch immer gilt Pfeffer als Leitwährung in der Gewürzwelt. Aber es gibt eben auch immer mehr große Unternehmen, die nicht nur das schwarze Gold, sondern auch andere Gewürze direkt im Ursprung beziehen. „Herausforderungen gibt es einige, aber am Ende steht und fällt alles mit dem Hafen.“

Die Bedeutung des Hafens
Eine Ansitt_hh_text4cht, die natürlich auch sein Geschäftspartner Michael Bruhns teilt. Auf rund 15 000 Quadratmetern lagert die Werner Bruhns Lagereigesellschaft in Steinwerder für ihre Kunden Gewürze aus aller Welt. Manchmal für eine Woche, manchmal auch für ein Jahr. „Die Tradition im Gewürzhandel macht sich nicht nur im Geschäftsgebaren, sondern auch in der Abwicklung bemerkbar“, sagt Michael Bruhns, dessen Unternehmen seit 1950 existiert und neben der Lagerung etwa auch die Entkeimung der Gewürze übernimmt. Als Wettbewerbsvorteil sieht es ganz klar die Lebensmittelsicherheit, die durch EU-Recht geregelt und hier etwa durch Speziallabors gewährleistet wird. „Definitiv ein Zukunftsmarkt. Außerdem ist eine schnelle und vernünftige Zollabwicklung unerlässlich.“ Eines der Unternehmen, das seine Gewürze direkt in den Ursprungsländern bezieht, ist Hela. 1905 von Hermann Laue im Schanzenviertel gegründet, wurde der Firmensitz aufgrund des Expansionsbedarfs 1989 nach Ahrensburg verlegt. Auf 86 000 Quadratmetern wird dort heute eben nicht nur der berühmte Gewürzketchup produziert, sondern es werden auch Mischungen für die Fleisch-, Wurst-, Fisch- und Feinkostbranche sowie für Gastronomie und Großverbraucher. Mittlerweile unterhält Hela weltweit elf Niederlassungen. „Für uns hat die Nähe zum Hafen große Vorteile. Für die Kunden wird der Aspekt Frische immer wichtiger“, sagt Stefan Schult, Geschäftsführer Vertrieb, Marketing und Logistik. Bei Hela ist man sich sicher: „Solange der Hafen für die Containerschifffahrt weiter interessant bleibt, werden auch weiter Gewürze in hohem Maße in Hamburg angelandet werden.“
Die Hafenentwicklung stets im Auge hat auch Hermann Schulz – seine Gewürzmühle in Rothenburgsort kümmert sich vor allem um das Veredeln: „Neben dem direkten Import, dem Großhandel und dem Export sind wir Experten für das Mahlen, Reinigen und Mischen von Gewürzen“, sagt Schulz. Auf den Mischanlagen der Gewürzmühle, die bereits 1930 gegründet wurde, werden Mischungen nach eigenen sowie nach geschützten Kundenrezepturen hergestellt. Hauptsächlich für die Lebensmittelindustrie, aber eben auch für kleinere Kunden wie Katharina Wilck, von 1001 Gewürze, die mit dafür sorgt, dass ein wenig weite Welt auch den Hamburger Endverbraucher erreicht.

Schanzen-Chili und Mango No. 5
tt_hh_text2Stolze 120 Mischungen aus der eigenen Barmbeker Manufaktur bietet die 36-jährige Geschäftsführerin an. 1001 Gewürze wurde 2003 von ihrer Mutter gegründet. Bettina Matthaei, preisgekrönte Autorin von 30 Kochbüchern – Schwerpunkt Gewürze – ist immer noch die „Nase“ des Betriebs. Gemeinsam leisteten die beiden Frauen Pionierarbeit, als es darum ging, den Konsumenten natürliche, handgemachte Produkte schmackhaft zu machen – auch mittels eigener Gewürzseminare. Limetten-Curry, Potato-Spice und Schafskäse-Mix – so heißen einige Bestseller. Beliebte Geschenke sind auch das Schanzen-Chili oder der Pauli-Pepper aus der Reihe „Hamburg macht scharf“. Preisgekrönt wurden die hauseigenen Weingewürze. „Mischungen hatten früher keinen guten Ruf, aber die Zeiten, in denen die Menschen nur zu Maggi griffen, sind definitiv vorbei.“ Wilck ist überzeugt: „Das letzte Quäntchen Qualität lässt sich nur durch aufwendiges Handwerk erreichen.“
In das Kräuterhaus in St. Georg, das seit mehr als 100 Jahren existiert, kommen auch Menschen, die sich für die heilende Wirkung von Gewürzen interessieren. „Hildegard von Bingen ist natürlich ein wichtiges Stichwort, aber auch in der chinesischen Medizin oder bei Ayurveda spielen Gewürze ein Rolle“, erzählt Mitarbeiterin Tina Voermann. Kurkuma als Hausmittel bei Halsschmerzen, geräuchertes Paprikapulver als Zutat in der veganen Küche – die Einsatzmöglichkeiten für ausgesuchte Gewürze seien vielfältig. Und wenn wie im vergangenen Jahr der Kubeben- Pfeffer zur Heilpflanze des Jahres ernannt werde, dann mache sich das selbstverständlich auch im Kräuterhaus bemerkbar.
tt_hh_text3Auf ein eigenes Ladengeschäft verzichtet das Hamburger Start-up Ankerkraut, das seit 2013 den Markt für sich erobert. Seine Leidenschaft für Gewürze will Geschäftsführer Stefan Lemcke, der in Afrika aufgewachsen ist, mit möglichst vielen Menschen teilen. Und das gelingt dem 40-Jährigen ziemlich gut, nicht zuletzt dank des gelungenen Produkt-Designs. Spätestens seit Stefan Lemcke in der TV-Serie „Die Höhle der Löwen“ aufgetreten ist, steigt der Umsatz erheblich. „Wir sind zum heutigen Zeitpunkt in mehr als 2000 Geschäften deutschlandweit und zum Teil auch im europäischen Markt zu finden.“ Supermärkte, Weindepots oder Gartencenter – viele Wege führen zu Ankerkraut: Der Umsatz wird 2017 bei rund 10 Millionen Euro liegen. Erzielt wird dieser mit beliebten Mischungen wie Patatas Bravas oder Pfeffer Symphonie, aber auch mit Trend-Produkten wie Porridge-Gewürzen, pinkfarbenem Einhorn-Zucker oder dem süß-fruchtigen BBQ-Rub Mango No. 5, einer Trockenmarinade fürs Grillen. Stefan Lemcke ist überzeugt davon: „Der Geschmack der Hamburger entwickelt sich stetig weiter. Auf dem Markt einzukaufen und ein schönes Gericht aus frischen Produkten zu kochen, gehört bei vielen zum normalen Alltag. Die Resonanz zeigt uns: Hamburg würzt.“

Das besondere Etwas: Kochen mit Gewürzen tt_hh_text1
Viola Fuchs, Geschäftsführerin des Hamburger Gewürz- und Delikatessen-Handels Violas’ mit insgesamt bald 23 Filialen, drei davon in der Heimatstadt, denkt, dass der Einfluss von Kochsendungen und Food-Blogs groß ist. „Als ich vor 20 Jahren mein Violas’-Geschäft eröffnet habe, gab es zwei verschiedene Currys. Jetzt verkaufen wir 30 unterschiedliche Sorten.“ Ihre Kunden seien durchaus bereit, auch einmal etwas mehr zu bezahlen, wenn es sein müsse: „Preiserhöhungen sind leider im Moment kaum vermeidbar, da das Wetter auf der ganzen Welt verrückt spielt. Der tasmanische Pfeffer war zum Beispiel lange Zeit nicht lieferbar“, sagt Viola Fuchs. „Durch unseren ständigen Kontakt mit den Kunden können und müssen wir diese Preissteigerungen erklären.“ Viola Fuchs ist stolz darauf, dass sogar Sterneköche Gewürze für die private Küche bei ihr erstehen.
Das Wirken eines Hamburger Sternekochs wäre ohne Gewürze undenkbar, allerdings sind seine Quellen fast so geheim wie seine persönlichen Mischungen: Bei Wahabi Nouri, der vor 17 Jahren das marokkanische Restaurant Piment in Eppendorf eröffnete, kommen Raritäten wie Walnussrinde zum Einsatz. „Gäste können diese besonderen Geschmackserlebnisse oft nicht einordnen. Dann bringen wir ihnen auch schon einmal eine kleine Schale mit dem Gewürz an den Tisch, damit sie anfassen und riechen können.“ Sogar den Hamburger Klassiker Labskaus hat der 47-Jährige schon auf seine Weise orientalisiert, indem etwa Kreuzkümmel zum Einsatz kam.
Und auch die jungen Wilden mögen nicht auf Gewürze verzichten. Hannes Arendholz ist gelernter Koch und einer der beiden Geschäftsführer der Hamburger Online- Plattform Foodboom.de, zu der das gleichnamige Print-Magazin gehört. Er nennt weitere Trends wie Gewürze, die verkapselt sind. „Zum Beispiel eine knackige Hülle um Salz, die sich erst im Mund auflöst. Es gibt überdies viele Anbieter, die ihre Gewürze in Liquids anbieten und diese in einer Sprühflasche vermarkten.“ Sein eigenes Team ist ständig am Tüfteln: „Warum die ausgekratzte Vanilleschote in Zucker geben, weil es Oma schon gemacht hat? Legt man sie in Salz und würzt damit ein Fischgericht, hat man eine Note, die man nicht erwartet.“

tt_hh_text7Wo Historie lebendig wird
Spätestens jetzt würde Viola Vierk noch einmal betonen, dass das Salz ja gar kein Gewürz sei. „Man unterscheidet die Klassiker wie Pfeffer, Nelke und Muskatblüten von Küchenkräutern wie Majoran und Thymian und den Gewürzsaaten wie Senf oder Anis. Rund 50 Rohgewürze gibt es.“ Viola Vierk arbeitete 14 Jahre bei Worlée, noch ein traditionsreicher Gewürzhändler in der Hansestadt. Seit 1993 leitet sie das Gewürzmuseum Spicy’s in der Speicherstadt – lange das einzige Museum weltweit, das sich ausschließlich mit diesem Thema befasste. Wer den 125 Jahre alten Speicherboden besucht, ein Pfeffertütchen als Eintrittskarte in der Hand, betritt einen duftenden Mikrokosmos, dessen 1000 Exponate unzählige Geschichten erzählen. Da gibt es ein Schiffsmodell aus Nelken, das Seeleute im 19. Jahrhundert bei der langen Überfahrt aus Indonesien in mühevoller Kleinarbeit gefertigt haben. Man bekommt erklärt, warum Safran das teuerste Gewürz der Welt ist, um dessentwillen früher erbittert gekämpft wurde. Und warum hatte die Mumie von Ramses eigentlich Pfefferkörner aus Indien in der Nase? Etwa 100 000 Menschen empfangen die Expertin und ihr Team pro Jahr. Vor allem im Rahmen des vielfältigen Seminar-Programms ist Riechen und Anfassen ausdrücklich erwünscht. Viele Vorträge hält Viola Vierk selbst – eine Herzensangelegenheit. „Ich denke, dass die Deutschen immer noch zu den würzfaulsten Menschen der Welt gehören. In anderen Ländern sind Gewürze ganz anders ins Leben integriert. Sie sind kein Lifestyle-Produkt, sondern ein Nahrungsmittel.“
Besonders beliebt ist übrigens die vom Museum angebotene Pfeffersacktour, bei der ein ausgebildeter Schauspieler in der Rolle eines Gewürzhändlers die Teilnehmer in der Deichstraße empfängt. Wenn Kai Friedrich Jantzen sich heute mitunter scherzhaft als „Pfeffersack“ vorstellt, dann kommt er sich manchmal vor „wie ein Dinosaurier“. Und doch bleibt der 45-jährige Kaufmann Optimist, einfach auch deshalb, weil die facettenreiche Gewürzwelt ihn fasziniert: „Handel findet immer einen Weg.“

GEWÜRZE AUS DER GANZEN WELT
Zu den in die Bundesrepublik importierten Gewürzen gehören vor allem Pfeffer, Ingwer, Paprika, Kümmel, Koriander und Zimt. Während der Pfeffer meist aus Vietnam, Brasilien, Indonesien und Indien kommt, ist China Hauptlieferant für gemahlenen Paprika, aber auch für Kümmel oder Anis. Laut Fachverband der Gewürzindustrie, von dessen rund 80 Mitgliedern 14 aus Hamburg und Umgebung stammen, konsumiert jeder Bundesbürger pro Jahr etwa 0,8 Kilogramm an Gewürzen. „Der Geschmack hat sich parallel mit der Reiselust entwickelt und, wie wir wissen, sind die Deutschen Reiseweltmeister“, sagt Hauptgeschäftsführer Dirk Radermacher. Im Küchenregal lande allerdings nur ein vergleichsweise kleiner Teil – etwa zwei Drittel der Gewürze würden vom Fleischerhandwerk und der Lebensmittelindustrie verarbeitet. Laut Marktentwicklungsstudie der Gewürzindustrie von 2015 wurden von etwa 106 000 Tonnen Gewürzen, die nach Deutschland importiert wurden, fast 40 000 Tonnen wieder exportiert – durch Veredelung der Rohmaterialien war dies mit einer Wertsteigerung verbunden.

Gewürze in Hamburg
Gewürzmuseum Spicys: Am Sandtorkai 34, tgl. 10-17 Uhr.
Veranstaltungen: www.spicys.de.
Manufaktur 1001 Gewürze: Geierstraße 1, Mo–Do, 9.15–16.30 Uhr, Fr 9.15–13 Uhr, jeden ersten Sonnabend im Monat: 9.30–13 Uhr.
Seminarprogramm: 1001gewuerze.eu.
Geschäftsführerin Katharina Wilck gehört überdies zu den rund 80 Ausstellern von „Besonders lecker“: Der Craft Food Markt findet am 5. November im Museum der Arbeit statt.
Infos: besonders-hamburg.de