Hamburg rockt: Open Air-Konzerte, so wie hier das Elbjazz-Festival auf dem Werftgelände von Blohm+Voss, sind in der Music City angesagt.

 Vor 50 Jahren begann Hamburgs Aufstieg zur Music City. Heute ist die Hansestadt uneingeschränkte Metropole für Bands, Labels und Clubs. Ein Blick hinter die Kulissen und sechs Begegnungen mit Stars der Szene.

Alle wollen sie nach Berlin. Die Stadt an der Havel, so sagt ihr Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, sei „arm, aber sexy“. Ersteres stimmt, Zweiteres müsste einer genaueren Überprüfung unterzogen werden. Denn sexy ist ja eigentlich dort, wo die Musik spielt. Und da hat Hamburg bundesweit die besten Karten auf der Hand, hütet sich aber in hanseatischem Understatement davor, das in alle Welt hinauszuposaunen.

Als am 11. September 2008 auf St. Pauli der Beatles-Platz dort eröffnet wurde, wo die Große Freiheit in die Reeperbahn mündet, waren gut 48 Jahre vergangen, seit die Liverpooler Fab Four am 17. August 1960 in der Hansestadt debütiert hatten. An ihnen und ihren Gastspielen im Starclub kommt keiner vorbei, der über die Musikstadt Hamburg nachdenkt. Was durchaus auch ein Problem der Stadt ist, sobald sie sich als Music City zu behaupten sucht. Musikgeschichte wurde hier seither eigentlich beständig geschrieben, nostalgische Erinnerungen muss niemand bemühen.

Von den Bedingungen, unter denen Rockbands und die Kiezclubs Indra, Kaiserkeller, Top Ten oder Starclub in den Sechzigern zu leiden hatten, sind hunderte unglaublicher Berichte erhalten. Von Liveclubs, wie sie Hamburg heute zieren, durfte damals nur geträumt werden, erst mit der Eröffnung der Fabrik in Altona 1971 erhielten Rockbands ein Venue, welches ihren Erfordernissen diente. Da war der Starclub schon Geschichte.

Business Club-Mitglied Peter Bischoff vom Musikverlag Bearsongs denkt beim Stichwort „Hamburg rockt“ noch als Erstes an „Fabrik, Markthalle, Logo. Weil ich dort zehn Jahre lang Programm gemacht habe und Bon Jovi, Guns & Roses, Bryan Adams, Metallica, Herman Brood, Udo Lindenberg und viele mehr veranstaltet habe.“ Mittlerweile aber verfügt der Westen von Hamburgs City über eine unvergleichliche Dichte an Clubs, die kurzen Wege im Bermuda-Dreieck von übel & Gefährlich, Großer Freiheit 36 und Docks ermöglichten seit 2006 den Aufstieg des Reeperbahn Festivals zum mittlerweile größten europäischen Stadtfestival. Zudem bringt es die Hamburger Musikszene dorthin, wo sie in den Medien der Stadt schon immer und momentan leider zunehmend ein Schattendasein fristet: in die Öffentlichkeit.

Spätestens seit 2011 sprechen die aus aller Welt angereisten Besucher offen davon, dass die drei Tage auf dem Kiez mit dem angeschlossenen Campus für Fachpublikum die Popkomm in Berlin definitiv abgelöst haben. Letztlich aber ist die Zusammenkunft von 290 Künstlern und 25 000 Zuschauern an 60 Spielorten nur Ausdruck dafür, dass Hamburg in den letzten anderthalb Jahrzehnten zur ersten Größe im bundesdeutschen Wettbewerb herangewachsen ist. Zum einen stammen wegweisende Bands und Interpreten wie Fink, Tocotronic, Bernd Begemann, Tomte, Kettcar, Blumfeld, Boy oder Johannes Oerding vom Elbstrand, zum anderen ebnen ihnen die Plattenfirmen Hamburgs den Weg in die Charts. Zwar verließen die Major Labels mit löblicher Ausnahme von Warner Music alle ihre hiesigen Standorte, so dass bereits vom Niedergang der Medienstadt Hamburg gesprochen wurde. An ihre Stelle jedoch traten kleine, flexible und oft innovative Firmen, die sich vor allem auf dem nach wie vor wachsenden Livesektor des Musikgeschäfts engagieren.

Unternehmen wie Grand Hotel van Cleef, Hypertension, Tapete, 105, Ferryhouse oder Herzog Records betreiben aktive Nachwuchspflege – und sie finden dafür Unterstützung bei den ortsansässigen Konzertveranstaltern und Clubs. Ob die Karsten Jahnke Konzertdirektion, FKP Scorpio, A.S.S. Concerts, Hamburg Konzerte oder die Funke Media, sie alle scheuen nicht das Risiko, sich um noch nicht etablierte Künstler zu kümmern. Die Karrieren von Hamburger Künstlern wie Annett Louisan, Cäthe, Johannes Oerding, Ina Müller oder Boy nahmen in der Heimatstadt ihren Anfang, nationale Newcomer wie Tim Bendzko oder Gisbert zu Knyphausen und internationale wie Katzenjammer oder Zaz fanden hier die passende Infrastruktur für den Karrierestart. Und seit dem Bau der Color Line Arena, inzwischen O2 World, machen auch die großen Acts wieder Halt in Hamburg.

Dass sich der Erfolg im Rock- und Popbusiness zuweilen auch auf eine gute Ausbildung gründen kann, erweist sich am Beispiel des Popkurses der Hochschule für Musik und Theater. 1982 als Modellversuch gegründet, liest sich die Liste seiner Absolventen drei Jahrzehnte später wie ein Who is Who der deutschen Popgeschichte. Von Tim Fischer bis zu Seeed, von Cäthe über Ute Lemper, die Ohrbooten und Michy Reincke bis zu Wir sind Helden reicht der Bogen. Nicht wenige von ihnen nutzten anschließend die alles andere als übersichtlich zu nennende Studiolandschaft der Hansestadt. „Hamburg als Musikstadt ist ein Highlight an sich“, sagt Jörg Reitmann, Geschäftsführer vom Alsterradio, „neben den großen Locations, in denen die Weltstars regelmäßig zu Gast sind, haben wir die Reeperbahn und rundherum viele kleine Clubs. Diese Locations sind international angesehen, hier werden Stars geboren! Bei uns konnte man R.E.M. vor vielen Jahren als unbekannte Band im Knust entdecken oder Künstler wie die Toten Hosen im Molotow sehen. Außerdem prägen unsere Musiker und Produzenten die Szene. Udo Lindenberg, Fettes Brot oder Nena sind nicht mehr wegzudenken. Der Hamburger Studiobesitzer und Produzent Franz Plasa hat beispielsweise Künstler wie Depeche Mode, Mariah Carey oder Eminem in sein Studio und somit auch in unsere Stadt gelockt.“

Anders als in Berlin findet sich in Hamburg nur selten aufgeregt erzwungene Coolness, anders als in München verzichten die Clubs hier weitgehend auf Gesichtskontrollen, das Hamburger Publikum gilt unter internationalen Künstlern zwar als anspruchsvoll zur Euphorie zu überreden, aber eben auch als sympathisch bunt und neugierig – und es speist sich aus mittlerweile drei Generationen.

Dass kürzlich die Ausstellung „Beatlemania“ ihre Pforten auf der Reeperbahn schließen musste, ist zwar sehr bedauerlich. Vielleicht aber war das auch ein kleines Zeichen für Hamburgs Zukunft als Musikmetropole, in der man sich nicht nur alter Zeiten erinnert, sondern an vielleicht noch besseren neuen arbeitet.

 

Text: Stefan Krulle

Stefan Krulle ist freier Journalist und exzellenter Kenner der Hamburger
Club- und Musikszene. als Autor und Musikkritiker schreibt er für „Die
Welt“, „Welt am Sonntag“ und verschiedene andere Publikationen.

 

louisan„Als ich aus dem Osten nach Hamburg kam, war ich überwältigt von den vielen Möglichkeiten, die es hier gab. Die Musikszene war wie ein Magnet, der mich anzog. Meinen ersten Auftritt hatte ich im Sommer 2004 auf dem Kiez in der Lausch-Lounge. Da waren nur 50 bis 100 Leute, ganz intim. Obwohl ich in Hamburg studiert habe, meine Freunde und mein Label hier sind, war mein Verhältnis zur Stadt lange Zeit gespalten. Ich hatte immer ein wenig Fernweh. Drei Jahre war ich dann weg, in New York und Berlin. Jetzt schätze ich Hamburg sehr, auch für das Geschäftliche. Im Gegensatz zu Berlin ist es hier verbindlicher, man kann sich auf die Leute verlassen. Auch das Netzwerk der Musiker ist stärker. Die Leute kennen und helfen sich und das ist ein gutes Gefühl.“
ferris„Die Hamburger Szene ist legendär. Als ich von Bremen hierher zog, wollte ich beruflich einen Schritt nach vorne machen. Damals war ich wild, jung und habe nichts ausgelassen. Wenn irgendwo etwas los war, war ich dabei. Heute gehe ich kaum noch auf den Kiez, der ist mir zu überfüllt mit Touristen und hat so einen Ballermann-Touch. Auch die Musikszene hat sich verändert. Damals hingen wir alle ständig miteinander rum – das war die Zeit mit der Mongo Clikke. Jetzt ist die alte Garde zerstreut, jeder kocht sein eigenes Süppchen. Von den Locations hier gefällt mir der Baalsaal, denn der hat einfach die fetteste Anlage deutschlandweit. Die Leute in Hamburg finde ich cool, weil sie eher zurückhaltend sind und nicht gleich ausrasten, wenn sie einen auf der Straße sehen.“
pohlmann„Ich finde, Hamburg hat für eine Großstadt ein gewisses dörfliches Flair, in der man trotzdem das Gefühl hat, am Brennpunkt einer Szene zu sein, die sich spannend entwickelt und immer Neues gebärt. Früher, als ich noch in Münster lebte, fuhren wir oft mit meinem Ford Granada nach Hamburg und spielten auf der Reeperbahn an den Treppen zum Panoptikum, bis die Sonne aufging. Als ich dann als Kellner im BP in der Schanze anfing, eröffnete ich die „Rocker vom Hocker“-Veranstaltung. Da ging es von 21 bis etwa 11 Uhr vormittags ausschließlich ums Musikmachen. Das war die beste Musikschule, die ich erleben konnte. Ich habe viele Musiker kennengelernt: Henning Wehland, Jan Plewka oder Sascha zum Beispiel und auch Leute, die noch an ihrer Zukunft schmiedeten. Da war die Sängerin Cäthe, die den Putz mit Schleifpapier bearbeitete oder Philipp Poisel, der mal mit dem letzten Zug aus Stuttgart kam und von Herrn Reimer sang. Zur Zeit ist für mich einer der spannendsten Tom Klose, der vor einem Jahr aus Flensburg nach Hamburg gekommen ist.“
oceana„Ich bin immer schon viel durch die Welt gereist, aber meine Heimat ist Hamburg. Für mich ist es die schönste Stadt Deutschlands. Ich mag die trockene Art der Leute. Wenn man einmal mit ihnen warm wird, dann ist die Freundschaft für immer. Außerdem gibt es eine tolle Musikszene, die sehr international ist. Ende der 90er Jahre habe ich – das war ganz am Anfang meiner Karriere – mit der Band Echt zusammengearbeitet und war auch mit auf Tour. Seit ich den Song für die Fußball-EM dieses Jahr gesungen habe, reise ich noch mehr. Jetzt gerade bin ich als Support Act mit Lionel Ritchie unterwegs. Dadurch kann ich noch seltener in Hamburg sein, aber sooft es geht, komme ich hierher zu meiner Familie nach Wedel und besuche meine Oma, sie ist 95.“
last„Das Motto „Hamburg rockt“ finde ich gut. Im Grunde bin ich auch ein Rocker und habe hier eine spannende Zeit verbracht. Damals war ich beim NDR Orchester und habe im Studio Hamburg in Rahlstedt Platten aufgenommen. Heute wird ja viel zu Hause am Computer gemacht, aber damals gab es noch kein Homerecording. Die Hamburger Musikszene ist immer noch sehr lebhaft, wenn auch nicht mehr so wie früher. Viele Plattenfirmen sind abgewandert nach Berlin. Aber es gibt hier viele talentierte Musiker. Mit einigen habe ich zusammengearbeitet. Die Band Fettes Brot zum Beispiel ist einmal in mein Haus in Florida gekommen – ich habe dort ein kleines Studio – und wir haben einen Song aufgenommen. Auch zu Udo Lindenberg habe ich noch viel Kontakt.“
junge_bandsAndreas Drees von satis&fy und Club-Geschäftsführer Peer-Arne Böttcher hatten die Idee: Bands wie Revolverheld (Bild) sollten eine Möglichkeit zum üben bekommen. „Wir wollten jungen Musikern auf das Pferd helfen“, so Drees.

Es fanden sich einige Sponsoren und das Projekt Wilhelmsrock wurde Wirklichkeit. Die guten Bedingungen haben sich herumgesprochen und „der Zulauf ist extrem“ (Drees).

„Wir wollen es nicht zu hoch hängen, aber wir haben in Zukunft noch einiges mit Wilhelmsrock vor“, verspricht Drees.

gwildis„Ich glaube, wenn man Hamburg begreifen will, muss man zum Hafen gehen. Viele aus meiner Familie waren dort aktiv. Mein Onkel und mein Großvater haben als Getreidekontrolleure gearbeitet, meine Oma hatte eine Kneipe im Portugiesenviertel. Ich dagegen habe sozusagen nach dem Abitur nichts Anständiges mehr gemacht. Durch Zufall bin ich in die verschiedensten Sachen hineingeglitscht. So war es zum Beispiel beim Thalia Theater. Als ich eines Tages dort vorbeikam, bin ich spontan reinmarschiert und habe den Pförtner gefragt, was man tun muss, um hier zu arbeiten. Der guckte mich etwas komisch an, ich hatte damals ja noch lange Haare und Bart. Dann sagte er, ich solle nächste Woche wiederkommen, da wäre ein Casting für „Die drei Musketiere“. Ich bin hingegangen und wurde genommen. Anschließend habe ich dort eine Ausbildung für Stunts und Fechtszenen absolviert. Eine tolle Phase war auch in den 80er Jahren, als ich im Schmidt Theater das Musical gemacht habe und das klasse reinknallte. Als echter Barmbeker wird mich wohl nie jemand ganz aus Hamburg wegbekommen. Angebote in anderen deutschen Städten habe ich schon ausgeschlagen. Immer wenn ich diesen Schnodder-Dialekt höre, dann weiß ich, hier bin ich zu Hause.“