Bei Feinschmeckern gilt die Hansestadt als Topadresse. Auch der Food-Spezialist VIJAY SAPRE schätzt die Sternegastronomie der Stadt. Aber nicht nur. Für den passionierten Koch gibt es auch eine feine Imbisskultur, die es lohnt auszuprobieren.

Als ich Anfang der 80er Jahre nach Hamburg kam, ich war vorher im fränkischen Erlangen zur Schule gegangen, da prophezeite mir ein guter Freund: „Wart’s ab, du wirst Probleme mit dem Essen bekommen.“ Und in gewisser Weise stimmte das auch: Selbst die einfachsten Sachen, ein Hähnchen vom Grill, die Frikadelle in der Kneipe, waren nicht von der Qualität, die ich gewohnt war. Das schien hier nicht so wichtig. Und während man sich in Süddeutschland – jedenfalls damals – mit der neuen Flamme ohne Weiteres zum Schweinebratenessen verabreden konnte, musste ich mich damit auseinandersetzen, dass so ziemlich jedes Mädchen, das man kennenlernte, einen eigenen radikalen Diätansatz verfolgte. Aber das ist eben der Hanseat, er zeigt nicht so gern, was er hat. Um der Stadt auch kulinarisch näherzukommen, braucht man ein wenig Zeit.

Ich hatte Glück, dass ich relativ schnell den Kontakt zur gehobenen Gastronomie fand. Die Werbeagentur, in der ich als Textpraktikant arbeitete, ernannte mich kurzerhand zum Restauranttester und schickte mich für ein Projekt durch Schleswig-Holstein, und dann hatte ich auch recht bald Blut geleckt. Mein erster Besuch im Sternerestaurant galt dem Landhaus Scherrer – damals mit zwei Sternen unangefochten die Nummer eins in der Stadt – mit kleinstem Budget, von sauer erspartem Geld. Ich werde vor allem nie vergessen, wie korrekt, umsichtig und freundlich man mit uns umging, obwohl schnell klar war, dass wir so gerade eben in der Lage sein würden, zwei Gänge und den billigsten Wein zu bezahlen. Heute, unter anderen Voraussetzungen, bin ich hier Stammgast. Und spätestens seit meinem zweiwöchigen Praktikum 2008 bin ich auch eng mit Heinz Wehmann befreundet.

2008 fingen wir mit Effilee an, einem edlen, sehr anspruchsvollen Food-Magazin. Als Herausgeber muss ich mich bei der Frage nach der wichtigsten kulinarischen Metropole in Deutschland natürlich diplomatisch zurückhalten, aber ich kann jedenfalls sagen, dass Hamburg zu den unterschätzten Perlen in dem Bereich gehört. Zunächst haben wir natürlich die größte Fernsehkochdichte in der Republik, mit Mälzer, Henssler, Poletto, Rach, und jetzt neu Tarik Rose. Deren Restaurants haben sich in den vergangenen Jahren pragmatisch an das Publikum angepasst – der typische Kochshowgucker ist nun mal in der Regel nicht der Gourmet, der bereit ist, 35 Euro für einen Hauptgang auszugeben.

Man speist dort auf hohem Niveau, in fast jedem Fall mit erfreulich viel eigenem Stil, aber nicht mit der Ambition, ganz oben mitzuspielen. Das muss nicht schlimm sein, das Essen ist hier vielleicht nicht der ganz große Kunstgenuss, aber es schmeckt, es gibt anständige Weine und daher in fast jedem Fall die Gefahr für den Gast, abzustürzen. Das gilt erst recht für Lokale wie das Tarantella im Kasino Esplanade oder den – naja – »Ableger« Henriks an der Moorweide. Hier wird zwar einfach gekocht, aber mit allerbesten Zutaten und die Weinkarte ist nicht nur klug zusammengestellt, sondern auch recht fair bepreist. Das ist so urban und zukunftsweisend, wie man nur werden kann.

Kulinarisch spannender ist es dennoch da, wo die Sterne verteilt werden. Mit Thomas Martin im Louis C. Jacob, Karlheinz Hauser im Restaurant am Süllberg und vor allem Christoph Rüffer im Haerlin (Hotel Vier Jahreszeiten) haben wir immerhin drei Köche mit zwei Sternen (was nach offizieller Lesart bedeutet, dass es lohnt, einen kleinen Umweg für sie in Kauf zu nehmen). Allen dreien gelingt es, in alteingesessenen Häusern einem tendenziell konservativ geprägten Publikum den Weg in eine zeitgemäße, modern elegante Küche zu weisen, ohne die klassischen Wurzeln zu vernachlässigen.

Auch bei den Häusern mit einem Stern sind einige dabei, die so ungewöhnlich und eigenständig sind, dass sie die „besondere Beachtung“, die der Michelin ihnen zugesteht, tatsächlich mehr als verdienen. über das Landhaus Scherrer habe ich schon geschrieben, wo – die Kollegen mögen es mir verzeihen – Heinz Wehmann immer noch die beste Ente weit und breit aus dem Ofen zieht. Wahabi Nouri kocht im Piment arabisch, wer nicht weiß, was B’stilla oder Raz-el-hanout ist, läßt es sich erklären. Ali Güngörmüs im Le Canard Niveau kocht einerseits türkisch inspiriert, ohne dabei seine urbayerischen Wurzeln zu verleugnen (oder andersrum, wenn Sie wollen). Last not least Gerald Zogbaums aufregende Küchenwerkstatt, von der man nur hoffen kann, dass sie sich aus der selbst auferlegten Pause möglichst bald, gut erholt und mit Schwung zurückmeldet.

Dann gibt es, anders als mein Freund vor 25 Jahren meinte, durchaus eine Imbisskultur in Hamburg. Zum Beispiel die großartige Nudelsuppe im Din Hau am Klosterwall. Mit Schweinebauch, dazu eingelegte Eier und Tofu. Harry Schulz‘ Lütt‘n Grill in der Max-Brauer-Allee, wo die Hähnchen zur Glaubensangelegenheit werden, das Köz Urfa am Altonaer Bahnhof, wo es selbstverständlich keinen Alkohol gibt, aber allein wegen des großen Durchsatzes alles vorbildlich frisch auf den Teller kommt, und um die Erwartungen der Touristen zu erfüllen, Fisch & Co. an der großen Elbstraße.

Für den Food-Journalisten spielt natürlich auch die Frage eine Rolle, wie schnell er die auswärtigen kulinarischen Hotspots erreicht. Frankreich, Spanien, Benelux und der Schwarzwald sind in der Tat aus dem Köln-Bonner Raum zum Beispiel viel besser zu erreichen. Dafür haben wir drei hochrelevante Vororte, Sylt, Berlin und Travemünde, die kulinarisch auch eine Menge zu bieten haben, und seit es das Noma in Kopenhagen gibt, befindet sich der Norden Deutschlands auf einmal nicht mehr am Rande, sondern in der Mitte der kulinarischen Weltkarte.

Seit Anfang August mache ich übrigens etwas, was nur schiefgehen kann. Ich habe nämlich die Seite gewechselt und betreibe das Restaurant und Café im Literaturhaus. Eine ehrwürdige Hamburger Institution, leider musste der bisherige Betreiber Insolvenz anmelden, aber die Mitarbeiter bleiben bei der Stange und sind hochmotiviert. Im Prinzip geht es hier um das, was die Hanseaten sowieso am besten können: etwas Neues zu schaffen, ohne dabei das Bestehende aufzugeben. So ist das in Metropolen: es bleibt immer spannend!

Text: Vijay Sapre

 

VIJAY SAPRE, 50, ist ein Multitalent. „Eigentlich wollte ich Popstar werden“, sagt er. Doch als die Musikkarriere nicht richtig anlaufen wollte, wurde er Werbetexter. Einer seiner Kunden war AOL. Sapre erkannte die Möglichkeiten der Internetkommunikation und entwickelte das Autoportal mobile.de, das er 2003 an Ebay verkaufte und so zum wohlhabenden Mann wurde. Seitdem widmet sich Sapre seiner zweiten Leidenschaft, dem Kochen. 2008 gründete er die Gourmet-Zeitschrift Effilee. Und seit Neuestem ist er Inhaber des Literaturhaus- Cafés am Schwanenwik. Dort will er in Zukunft auch selbst häufiger am Herd stehen.