Die Zukunft ist smart

Hamburg ist bei der Digitalisierung ganz vorn dabei. Ob Smart Port, Smart Homes oder Smart Roads – viele Projekte ebnen der Stadt den Weg zur Smart City.

In Zukunft wird es viele Dinge nicht mehr geben. Zumindest nicht so, wie wir sie kennen. Straßen sind keine Straßen mehr, sondern Smart Roads, die per Smart Lightning punktgenau dort beleuchtet werden, wo es nötig ist. Häuser sind keine Häuser mehr, sondern Smart Homes, in denen Gegenstände selbstständig miteinander kommunizieren und den Wohlfühlfaktor ihrer Bewohner selbstständig steigern. Selbst der traditionsreiche Hamburger Hafen ist nicht mehr nur drittgrößter europäischer Seehafen, sondern Smart Port, in dem Digitalisierung und Automatisierung mit schnellen Schritten voranschreiten.
Die Zukunft ist smart. Und in Hamburg passiert vieles, damit die Stadt es möglichst bald auch ist. Die erste intelligente Straßenbeleuchtung wird gerade in der Hohe-Schaar-Straße getestet. Das wohl intelligenteste Haus Deutschlands feierte diesen Sommer im Mittelweg Eröffnung und bietet Dinge, wie eine Wohnungstür, die das Smartphone per Bluetooth erkennt, und einen Fahrstuhl, der nach unten saust, sobald das Auto in die Tiefgarage einfährt. Der Hamburger Hafen ist mit seiner Smart Port-Strategie technologisch nicht nur international ganz weit vorne mit dabei, er bildet auch einen wichtigen Eckpfeiler der Digitalisierungsstrategie der Hansestadt.
Vor zwei Jahren hat Bürgermeister Olaf Scholz die „Strategie Digitale Stadt“ auf den Weg gebracht. Gemeinsam mit dem ITGiganten Cisco unterzeichnete der Senat 2014 ein „Memorandum of Understanding“, welches den Weg der Hansestadt zur Smart City ebnen soll. „Hamburg ist ein Inkubator für Trends“, sagt Wirtschaftssenator Frank Horch. Und Bürgermeister Scholz macht klar: „Ob man die Digitalisierung aller Lebensbereiche persönlich gutheißt oder nicht: Sie findet mit großer Geschwindigkeit statt. Wenn Hamburg diesen Prozess mitgestalten will, ist dafür jetzt die Zeit zum Handeln.“ Und das tun zahlreiche kreative Geister in der Stadt. Mit dabei: Das UKE mit seinem virtuellen Klassenraum, das kranken Jugendlichen per Stream ermöglicht, am Unterricht teilzunehmen. Oder der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) mit seinem Projekt ROADS, das die Koordinierung von Baustellen verbessern soll und dessen Herzstück ein sogenannter Multitouch-Tisch ist, wo alle relevanten Daten zusammenlaufen und sichtbar werden.
Vernetzung ist ein zentrales Thema. Um diese zu gewährleisten, wurde als Koordinierungsstelle vergangenes Jahr die „Leitstelle Digitale Stadt“ in der Senatskanzlei eingerichtet. Sie soll den Überblick über die vielfältigen Projekte und Prozesse behalten, koordinieren und fachübergreifende Themen vorantreiben. „Die Bedeutung des digitalen Wandels wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen“, erklärt Tim Angerer, Leiter der Leitstelle Digitale Stadt. „Und wir sind überzeugt, dass Hamburg sehr gute Voraussetzungen hat, die Chancen dieses Wandels zu nutzen, um Lebensqualität und Wirtschaftskraft am Standort zu erhalten und zu steigern.“
Was die Elbmetropole mit ihrem Smart Port bereits alles zu bieten hat, erstrahlte im Juni letzten Jahres im internationalen Scheinwerferlicht. Zur Welthafenkonferenz kamen hunderte Fachleute aus aller Welt an die Elbe gereist, um über die Zukunft internationaler Häfen zu diskutieren. Sie bestaunten eine Weltneuheit wie die LNG Power Barge, eine Landstromanlage in Altona, bei der ein Roboterarm im Hafen die Kabel an die Kreuzfahrtschiffe übergibt. Auch den Port Monitor, der einen außergewöhnlichen Echtzeit-Überblick über das gibt, was auf dem Wasser geschieht sowie, eine App, die dafür sorgt, LKW- und Containerbewegungen effektiv zu steuern. Ihr Clou: Anhand von Echtzeitdaten, die in einer Private Cloud gespeichert sind, haben die Fahrer der rund 40 000 LKW, die hier täglich be- und entladen werden, einen exakten Überblick über die Verkehrslage. Sie erhalten Infos über die beste Route, den besten Abfahrtszeitpunkt sowie über verspätete Schiffe. Parkplätze können online gebucht werden.
Entwickelt wurde die App von den Firmen SAP, Dakosy und T-Systems, einem der führenden IT-Dienstleister in Europa. Dessen Vice President und Regionalleiter Nord Thies Rixen verweist auf die Rahmenbedingungen, die vorhanden sein müssen, „um Digitalisierung überhaupt erlebbar zu machen“. Grundlage seien vor allem: „globale und schnelle Konnektivität, flexible Cloud- Plattformen, eingespielte Partnerschaften mit den Top-Technologie- Playern, wie zum Beispiel SAP, und ein funktionierendes End-to-End-Sicherheitskonzept“, erklärt er. Letzteres ist bei den Unmengen an Daten, die gespeichert und ausgetauscht werden, unabdingbar. Doch die Datensicherheitsfrage ist besonders hierzulande ein Stolperstein, da sie vielen Menschen Bauchschmerzen bereitet. Im weltweiten Vergleich ist Deutschland beim Thema Digitalisierung „eher zurückhaltend“, sagt Thies Rixen. Dennoch gibt es seiner Meinung nach langfristig nur einen Weg: „Die Digitalisierung ist nach der Globalisierung der aktuelle Megatrend und wird viele Branchen massiv verändern. Nur wer die Digitalisierung aktiv mitgestaltet, wird an diesem Megatrend auch geschäftlich partizipieren können.“
Tatsächlich geht es beim Thema Digitalisierung für viele Firmen um die Existenz. „Die Digitalisierung ist wie eine Membran, durch die man hindurch muss, um die Unternehmenszukunft zu sichern“, sagt Oliver Hammerstein, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Silpion mit Sitz in Rothenburgsort. „Für alle, die auf den Zug nicht aufspringen, besteht hohes und spürbar zunehmendes unternehmerisches Risiko.“ Mit seinem Unternehmen unterstützt Hammerstein Firmen, den umfassenden Prozess der digitalen Transformation erfolgreich zu bewältigen. „Es reicht nicht, mal eben eine mobile App zu gestalten“, sagt der IT-Experte. „Radikales Umdenken“ sei nötig – und umfangreiche Investitionen. Der Vorteil liegt klar aufseiten der jungen Generation. „Die jungen Gründer kennen die analoge Welt nicht mehr.“ Sie können Neues gestalten, ohne in alten Strukturen festzuhängen.
So ermöglicht die Digitalisierung, Nie-Dagewesenes zu schaffen und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Auch wenn Hamburg bei den Gründungen – mehr als die Hälfte aller Neugründungen sind digital – deutschlandweit nur auf Platz zwei hinter Berlin liegt, stammen viele erfolgreiche Geschäftsmodelle aus der Hansestadt. Unternehmen wie myTaxi, Jimdo, Kreditech oder Facelift sind von der Elbe aus in die digitale Welt gestartet. Ein Hamburger Vorzeigemodell ist das Unternehmen Smaato, das mobile Werbeplätze in Echtzeit verkauft. Dank Targeting, bei dem im Netz so viele Daten wie möglich über die Nutzer gesammelt werden, ploppt bei dem einem auf derselben Internetseite eine Werbung für Schuhe, bei dem anderen für die mehrfach gegoogelte neue Waschmaschine auf. Kürzlich wurde Smaato für 148 Millionen Dollar an einen chinesischen Investor verkauft.
„Die IT-Branche gehört in Hamburg zu den bedeutendsten Wirtschaftssektoren der Hansestadt“, heißt es aus dem Amt Medien der Senatskanzlei. Insgesamt sind bei rund 8600 Unternehmen über 49 000 Menschen beschäftigt. Internationale Unternehmen wie SAP, Adobe, Intel, Oracle und IBM betreiben an der Elbe eigene Entwicklungsabteilungen für ihre Produkte. „Global Player“ wie Xing, Google, Facebook, Twitter, Dropbox und Yelp haben den Standort Hamburg für Deutschlandzentralen gewählt. Gefördert wird die Branche durch Initiativen wie Hamburg@ work und nextMedia.Hamburg. Zudem ist die traditionsreiche Kaufmannsstadt Hauptstadt des E-Commerce. In keiner anderen deutschen Metropole sind der Umsatz im Onlinehandel und die Zahl der Unternehmen höher.
Eine von Hamburgs großen Stärken ist bei der Digitalisierung jedoch ein Problem. „Die zurückhaltende traditionelle Kaufmannsart beherrscht immer noch den Hamburger Markt“, sagt Silpion-Chef Hammerstein. Entscheidungen sorgfältig abzuwägen, zurückhaltend zu investieren und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, ist zwar sehr sinnvoll – es mangelt jedoch an Extrovertiertheit bei der Eigenwerbung. „Hanseatisches Understatement passt nicht in disruptive Zeiten“, erklärte Olaf Scholz Anfang des Jahres beim Neujahrsempfang des IT-Executive-Clubs, einer Sparte der Initiative Hamburg@work, die als Plattform für Hamburger IT-Unternehmen dienen soll. Internationale Aufmerksamkeit wie beim Welthafenkongress ist nötig – und vom Senat erwünscht. Dieser tüftelt daher gerade an der Planung eines weiteren Großevents: „Intelligent Transport Systems“ (ITS) ist das Thema des ITS-Weltkongresses, zu dem rund 10 000 Teilnehmer erwartet werden. Hamburg hat sich für das Jahr 2021 als Ausrichter beworben.
Mehr internationales Prestige würde auch der Wissenschaft helfen. In der Forschung passiere mittlerweile zwar einiges, wie zum Beispiel im Digital City Science Lab an der HafenCity Universität, das die Veränderung der Städte durch die Digitalisierung erforschen soll, doch es bestehe Nachholbedarf, erklärt Professor Andreas Timm-Giel, Vizepräsident Forschung an der Technischen Universität Hamburg (TUHH). „Wir brauchen mehr Informatikforschung“, mahnt er. „Denn Informatik ist die Grundlage der Digitalisierung.“ Die Ausgangssituation in Hamburg sei allerdings vielversprechend. „Wir haben gerade eine intensive Vernetzung und Dynamik in den Behörden, den Universitäten und auch darum herum“, sagt der 49-Jährige. „Das birgt sehr viel Potenzial – zumal auch der politische Wille da ist – , und schafft eine einmalige Situation, aus der vieles entstehen kann.“
Beim Kampf um gute Köpfe muss Hamburg sich allerdings anstrengen. München hat im Zuge des Projekts „Bayern Digital“ 200 Millionen Euro für vier Jahre spendiert und 20 Professuren für Digitalisierung ausgeschrieben, Berlin sogar 30 Professuren. „Da müssen wir hinterher“, sagt Timm-Giel. Ein Problem: Es gibt nicht nur zu wenige Plätze, um IT-Nachwuchs auszubilden, es fehlen auch die Interessenten. In Hamburg soll nun die Open Online University den Zugang für die Aus- und Weiterbildung erleichtern – und auch Nicht-Akademiker ansprechen. Doch längst nicht genügend Menschen schauen mit so großer Begeisterung auf die IT-geprägten Berufe wie Silpion-Chef Oliver Hammerstein, der vor allem von den gestalterischen Möglichkeiten schwärmt. „Die Technik ist da“, sagt er. „Jetzt bedarf es der Mutwilligen, die kreative Ideen entwickeln. Die meisten wissen ja gar nicht, was alles noch möglich ist.“ Auch Professor Timm-Giel ist überzeugt, dass die jetzigen Absolventen in spannenden Zeiten ihre IT-Karrieren starten. „Die exponentielle Steigerung der Technologie kommt jetzt überall und kostengünstig an und ist dabei, Prozesse zu verändern“, sagt er. „Was wir schon lange erforschen, geht jetzt in die Umsetzung.“
Eine der wohl verheißungsvollsten Innovationen der neuen Zeit, die auch in Hamburg intensiv erforscht und eingesetzt wird, ist der 3D-Druck. Die TUHH arbeitet eng mit dem Laserzentrum Nord in Bergedorf zusammen, das Metall-3D-Druck betreibt. Einer ihrer wichtigsten Auftraggeber ist Airbus. Der Flugzeughersteller in Finkenwerder verfolgt die Vision, in Zukunft Flugzeuge zu drucken – und tut es schon. Der erste Mini- Flieger „Thor“ besteht aus 50 Einzelstücken, die allesamt aus dem 3D-Drucker stammen. Diese wurden anschließend zusammengefügt und mit Elektromotoren und einer Fernsteuerung ausgestattet. Die Technik soll weiter verbessert werden. In den USA werden bereits elektrische Schaltkreise gedruckt. Und so könnte in Finkenwerder bald schon ein komplettes Verkehrsflugzeug aus dem Drucker kommen. Dann würden in der Smart City der Zukunft nicht mehr Flugzeuge produziert werden, wie wir sie kennen, sondern Smart Planes – frisch gedruckt in Hamburg.

Text: Nina Schwarz