Marco-Polo-Tower, Chilehaus, Elbphilharmonie – die Stadt und ihre ARCHITEKTUR haben einiges zu bieten. Und an Ideen für neue Projekte mangelt es nicht.

Die Turmsilhouette der Hauptkirchen in der Innenstadt ist seit Jahrhunderten das Wahrzeichen Hamburgs. Sie soll auch in Zukunft nicht durch Hochhäuser gestört werden. Dennoch haben die Türme, vor allem seit der Jahrtausendwende, Konkurrenz bekommen: Kräne bestimmen neben den Gotteshäusern das Bild. Hamburg baut, Hamburg verändert sein Profil und den Charakter seines Stadtbildes. Ob zum Vor- oder Nachteil – darüber wird ebenso trefflich gestritten wie über die Frage, was Schönheit ist. Fest steht: Die Kräne über der Stadt sind Symbole der florierenden Wirtschaft.

Hamburg baut vor allem an der Hafencity. Und an der Elbphilharmonie. Sie stehen für den Fortschrittswillen der Hanseaten, die architektonisch endlich einmal etwas wagen wollten – und für die Tatsache, dass der Wille allein keine Steine versetzt: Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet das Bauvorhaben, mit dem die Hansestadt den Ruf der betulichen Pfeffersackmentalität abstreifen wollte, nun besonders großen ärger verursacht. Und das ausgerechnet bei den Kosten.

Aber zunächst einmal muss festgehalten werden: Die Bürgerstadt Hamburg kann mit höfischem Prunk nicht aufwarten. Was hier über die Jahrhunderte gebaut wurde, war zu einem hohen Prozentsatz grundsolide und zweckmäßig. Die Kirchen – schön, aber nicht prächtig, die Palais der reichen Bürger – elegant; immerhin die Kontorhäuser, in denen der Kommerz florierte, die wurden schon zur Kaiserzeit mit Bedacht zukunftsträchtig und wirtschaftlich geplant, mit Dampfpaternoster und Zentralheizung.

Alles in allem: Kein Neuschwanstein an der Elbe, keine Türme in Rekordhöhe, kein Fürstensitz mit Alsterblick. Dafür aber der nachhaltige Ruf der „Freien und Abrissstadt Hamburg“, ein Etikett, das der Kunstwissenschaftler Alfred Lichtwark Hamburg verpasste, weil die Metropole stets bereit war, ihr Stadtbild zu Gunsten des Fortschritts von Grund auf umzukrempeln: Als sie nach dem Großen Brand von 1842 die Innenstadt gro.zügig neu strukturierte, als sie ein barockes Wohnquartier für die Speicherstadt abbrach, als sie die gesamte Altstadt für das Kontorhausviertel niederlegte und als sie selbst nach schwersten Verwüstungen der Bombennächte noch historische Kontorhäuser wie den Dovenhof und städtebauliche Dominanten wie den markanten Kaiserkaispeicher auf der Kehrwiederspitze für neue Nutzungen unter die Bagger fallen ließ.

Dennoch: Was blieb, ist, was Hamburgs großer Oberbaudirektor Fritz Schumacher „das Kunstwerk Hamburg“ nannte, das Ensemble aus Rathaus, Rathausmarkt, kleiner Alster und Binnenalster, aber auch die harmonischen gründerzeitlichen Wohnquartiere westlich der Alster und die Klinkerstadtviertel der 20er und 30er Jahre, die unter Fritz Schumachers ägide wuchsen. Die bedeutendsten Bauleistungen der Hanseaten entstanden eben nicht für Fürsten, sondern für die Allgemeinheit. Vielleicht ist das ja typisch Hamburg. Nur ein einziges exzentrisches Gebäudeprojekt passierte die Schreibtische der Genehmigungsbehörden: Fritz Högers Chilehaus. Die Baubeamten nannten es grauenhaft, die Touristen aus aller Welt finden es göttlich, das einzige Hamburger Gebäude, das es mit seinem Klinkerbug in die internationale Architekturgeschichte schaffte.

In den 90er Jahren tat sich dann etwas in der Hansestadt. Die Planer fanden, dass Hamburg nicht nur eine attraktive Wasserseite mit der Alster hat, sondern dass sich auch aus dem Elbufer etwas machen lassen würde. Wie andere Hafenstädte zwischen San Francisco, London, Barcelona und Helsinki entdeckte auch Hamburg den ruppigen Charme seiner alten Hafengebiete.

Der damalige Oberbaudirektor Egbert Kossak propagierte eine Perlenkette aus anspruchsvoller Architektur zwischen Neumühlen und dem Deichtorplatz. Bauforen fanden statt, internationale Architekten diskutierten plötzlich an der Elbe über die Zukunft der Hamburger Architektur. Und jetzt? Ausgehend vom Touristenziel Fischmarkt sind jenseits der liebevoll revitalisierten Fischauktionshalle (die auch einmal abgebrochen werden sollte) in alten Speichern, in verjüngten Speichern und auf Freiflächen neue Wohnungen und Kontore entstanden und drumherum ein lebendiges Ensemble aus Fischwirtschaft mit der Lizenz zum Schlemmen: In eine einstige Mälzerei zog das Stilwerk ein, der Niederländer Kees Christiaanse baute zwei Backstein-Kontorhäuser, die mit mächtigen Hallen Durchblicke erlauben, der Hamburger Carsten Roth stellte mit den Columbia Twins ein kupferglänzendes Gebäudedoppel auf den Polder über der Elbe, der mit einer zentralen Freitreppe den Blick aufs Wasser öffnet – eine große Geste. Und buchstäblich in vorderster Front ist hier der Wahlhamburger Hadi Teherani vertreten, der in Kooperation mit seinen damaligen Partnern Jens Bothe und Kai Richter (Bothe, Richter Teherani, BRT) am Altonaer Hafenrand gleich dreimal punktete: Bereits in den 90er Jahren mit dem Kontorhaus am Elbberg 1, das einmal mehr mit dem hanseatischen Motiv des gebauten Schiffsbugs spielt, mit dem Elbberg Campus gleich daneben und mit dem heutigen Touristenziel Dockland, dem gläsernen Salmi, den BRT wie eine Yacht ins Wasser setzten, den Bug elbabwärts, klar zum Ablegen.

Der Altonaer Hafenrand (der noch nicht vollendet ist) war gleichermaßen das Abschlusstraining für den großen Coup: die Hafencity. 1997 wurde das Projekt präsentiert und danach mit Akribie entwickelt – nichts sollte dem Zufall überlassen werden, nicht die Vergabe der Grundstücke, nicht die Parzellierungen, natürlich nicht die Preise für die Grundstücke und die Architektur schon gar nicht. Und so begann das größte Stadtentwicklungsprojekt Europas mit einer Fläche von 157 Hektar in kleinen Schritten am Sandtorkai, zögerlich, mit gleichförmigen Gebäudekörpern, einige im Detail durchaus bemerkenswert, aber im Ensemble wie ein ängstliches Rudel, das sich vor der großen Fläche zwischen Innenstadt und Elbbrücken fürchtet.

Und dann kam die Elbphilharmonie. Ursprünglich war am Standort Kaispeicher A ein Bürohochhaus mit Knick geplant gewesen. Doch weil damals die Leerstandrate für Kontore zunahm, zog der Hamburger Alexander Gérard eine Ideenskizze der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron aus der Tasche und ganz Hamburg war hingerissen. Genau dieses hoch aufragende, gläserne Schiff, die Moderne über altem Backstein, den Musentempel neben den Speichern der Pfeffersäcke, den wollten alle haben. Der Senat, die Architekten, die Behördenplaner und viele Bürger auch. So viele, dass große und kleine Mäzene die kapitale Summe von rund 70 Millionen Euro auf den Tisch legten.

Und so wurde dann dieses eine, einzige Mal in der Stadt Merkurs schneller geplant und gebaut als gerechnet, sodass aus dem gläsernen Traum ein Albtraum der sparsamen Hausväter und ein Fall für die Gerichte wurde.

Die Elbphilharmonie – eine Fehlentscheidung? Nur wenn sie wirklich zu einer Bauruine würde. Und das können sich Hansestadt und Architekten kaum leisten. Es wird also noch ein wenig gestritten werden zwischen der Stadt, dem Baukonzern Hochtief und den Architekten, alle drei Parteien werden beleidigt sein – Hochtief, weil man dem Unternehmen Preistreiberei vorwirft, die Stadt, weil sie sich genasführt fühlt und weil man ihr Planungsmanagement als stümperhaft kritisiert und die Architekten, weil sie sich in ihrer Genialität nicht gewürdigt sehen.

Am Ende, hoffen wir es einmal, wird es ausgehen wie die Sache mit der Sydney Oper. Auch dort gab es Krach um die Kosten fürs Dach, und der Architekt Jörn Utzon hat den Bettel hingeschmissen. Dennoch ist der Bau weltweit Symbol der Stadt und für den kreativen Dänen der größte Erfolg. Allerdings hat der Neubau 14 Jahre gedauert. Wann war noch mal der Baubeginn der Elbphilharmonie? 2007?

Dreh- und Angelpunkt im Hamburger Baugeschehen bleibt also bis auf Weiteres die Hafencity, und das bei aller Kritik auch jenseits des Konzerthauses mit ein paar sehr ansprechenden Bauten: Da sind das bis auf die Grundmauern grüne Unilever-Gebäude der Stuttgarter Behnisch Architekten am Strandkai und der Marco-Polo-Tower daneben, ein spannungsreiches Duo. Zum bislang Besten zählt auch das zickige Sumatra-Kontor an der überseeallee, das der Niederländer Erick van Egeraat entwarf, und das in einer Art Neo-Neogotik sein Profil aus Ecken, Kanten und Spitzen gewinnt und gegen jeden rechten Winkel opponiert.

Und hoffentlich wird nach dem Finanzschrecken mit der Elbphilharmonie das Projekt des Niederländers Rem Koolhaas realisiert, der im Süden des überseequartiers ein Science-Center projektierte, ein Museum wie ein Riesenrad. Museum hin oder her – das Riesenrad wäre ein toller Akzent am Magdeburger Hafen. Bewohnt, zum Arbeiten, für Kreative – egal. Nur gebaut soll es werden.

Doch es gibt auch mahnende Stimmen zum Baugeschehen. „Es geht mir nicht nur darum was, sondern vor allem wie gebaut wird“, sagt Stefan Müller, Diplom-Bauingenieur vom Baugeschäft C. Helmut Müller. „Und dabei habe ich örtlich Angst um das Stadtbild und die Identität der Hansestadt. Beispiel Hafencity: Dort muss man an manchen Orten überlegen, ob man gerade in Hamburg, London oder Kopenhagen ist. Da ist mir manches zu beliebig“, sagt der Bauunternehmer. Den Akzent mit dem runden Turm am Kaiserkai und das Zusammenspiel aus der neuen Unilever- Zentrale und dem Marco-Polo-Tower findet er sehr gelungen. „Das sind Projekte mit hohem Wiedererkennungswert.“

Im Fahrwasser der Hafencity formierte sich schließlich das Konzept Sprung über die Elbe, die Verbindung mit dem Süden der Stadt, eine Liebesheirat nach Jahrhunderten der uninteressierten Nachbarschaft am Wasser. Als Katalysator fungiert die Internationale Bauausstellung IBA, die 2013 an den Start gehen und für den Süden der Stadt überregional werben soll – für die Elbinsel Wilhelmsburg, eine Mischung aus Bauernland, Industrie und Multikulti und jetzt Hort des ökologischen Bauens, des Energiesparens und der Integration. Schlussstein der IBA ist pikanterweise das Gebiet am Harburger Binnenhafen, eine Art Harburger Hafencity, in der Investoren seit den 90er Jahren alte Speicher revitalisierten und neue Kontorhäuser bauten. Ein spannungsreiches Idyll, das in früheren Jahren als potenzielle Konkurrenz zur großen Hafencity offiziell in der Politik kaum eine Rolle spielen durfte. Vergessen. Harburg ist jetzt zum Ausstellungsstück geworden.

Und was genau macht denn nun das moderne Hamburg aus? Was ist typisch hamburgische Bauweise? Auch darüber wird diskutiert. „Alle Welt stürzt sich auf Projekte wie die Elbphilharmonie, die Tanzenden Türme an der Reeperbahn oder den Elbkristall am Altonaer Hafenrand. Dies sind aus meiner Sicht Solitärprojekte“, sagt Bernd Pauls, Diplomingenieur und Store-Leiter bei Perfektum in der Hafencity. „Ich persönlich finde es wesentlich interessanter, wenn Viertel oder Stadtteile in ihrem Stil erhalten werden. Dazu gehören für mich das Schanzenviertel, die Elbchaussee und die Erhaltung alter Gebäude bei heutigen Energiestandards. Die Villa im Heine-Park ist für mich wie andere Projekte an der Elbchaussee vorzeigbar. Katastrophal finde ich, wenn man sehr moderne Gebäude in alt eingewachsene Strukturen einbaut wie am Kupferdamm. Eine gut gelungene Kombination zwischen modern und alt ist dagegen das vor einigen Jahren errichtete East Hotel.“

 

Text: Dr. Gisela Schütte      Fotos: Cornelius Kalk

Dr. Gisela Schütte ist Autorin bei der Welt-Gruppe Hamburg.