Politik und Sport – ein erfolgreiches Doppel? Mit diesem Thema ist Wimbledonsieger und Unternehmer Michael Stich am 19. September zu Gast im Business Club Hamburg. Hier sagt er schon einmal, was Unternehmer von Sportlern lernen können, was er vom neuen Senat erwartet und wie Hamburg eine echte Sportstadt werden könnte.

Herr Stich, Sie waren Wimbledonsieger, Weltmeister und Olympiasieger im Tennis. Jetzt sind Sie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Spitzensportlern und Spitzenmanagern?
Michael Stich: Mit Sicherheit. Der Topunternehmer ist genauso ehrgeizig und will Erfolg haben wie der Topsportler. Dieses Sich-messen-lassen am Ergebnis, das haben beide gemeinsam. Aber es gibt auch Unterschiede. Wenn man im Tennis vier Grand Slam-Turniere gewonnen hat und die Nummer eins der Welt ist, fragt man sich: „Was kommt danach?“ In der Wirtschaft gibt es diese Frage nicht, denn da kommt immer noch etwas danach und wenn man hoch motiviert ist, wird man immer eine neue Aufgabe finden. Und noch etwas: Die Leute, die in den Vorständen großer Unternehmen sitzen, müssen noch eine andere Kompetenz haben. Sie haben hunderte oder tausende Mitarbeiter zu führen und sie müssen das Gesamtwohl des Unternehmens im Kopf haben. Der Sportler ist nur für sich verantwortlich.

Was kann der Unternehmer von einem erfolgreichen Sportler lernen?
Stich: Der große Vorteil der Sportler ist das zielgerichtete Arbeiten. Der Spitzensportler überlässt nichts dem Zufall. Er sagt: Ich will die Goldmedaille gewinnen, dafür muss ich trainieren und mich schinden. Wenn es nicht funktioniert, was immer wieder passiert, muss man aufstehen und sagen, jetzt geht es weiter. Darin unterscheiden sich im Sport und in der Wirtschaft die Topleute von denen, die nur sehr gut sind. Letzteren fehlt der letzte Drive, sie lassen sich von Misserfolgen negativ beeinflussen und geben schneller auf. Es gibt übrigens viele Unternehmen, die ehemalige Leistungssportler beschäftigen. Sie wissen, dass diese Sportler den Biss haben und zielorientiert arbeiten. Da hilft einem der Sport sehr.

Wenn Sie Ihren früheren Beruf als Sportler mit Ihrer heutigen Arbeit vergleichen, in welchem Business ist es einfacher, erfolgreich zu sein?
Stich: Gefühlt natürlich im Sport. Da wusste ich, was ich tue. Ich hatte Talent und war auf niemanden angewiesen. Meine Leistung war entscheidend dafür, ob ich gewinne oder verliere. Im Geschäftsleben ist man von vielen Faktoren abhängig. Deswegen ist die Arbeit schwieriger.

Und manchmal auch frustrierender?
Stich: Nein. Das Leben als Tennisprofi hat auch nicht jeden Tag Spaß nur gemacht. Es gibt nichts im Leben, das jeden Tag Spaß macht. Und das wäre auch schlimm, weil man dann die Unterschiede zwischen Frust und Freude gar nicht kennen würde. Für mich gehört es dazu, dass man auch mal Misserfolg hat und Dinge nicht umsetzen kann.

Welche Dinge mussten Sie in Ihrem neuen Berufsleben lernen?
Stich: Dass man nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf andere angewiesen ist. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ich bin so erzogen worden, dass man sich daran hält, wenn man ein Geschäft mit Handschlag besiegelt hat. Das ist leider im Geschäftsleben überhaupt nicht mehr der Fall. Man muss also lernen, dass jeder Fehler, den man macht, Geld kostet. Beim Sport geht es um Sieg oder Niederlage, mehr nicht. Im Geschäftsleben kosten Fehler meistens Geld und ziehen noch weitere Dinge nach sich. Man muss also gewissenhafter arbeiten, weil es nicht nur um einen selbst geht. Als Unternehmer muss man seine Grenzen erkennen und sehen, dass es immer wieder etwas gibt, das man dazulernen kann. Ich habe ja kein Studium absolviert. Bei mir ist alles „Learning by doing“.

Wenn man im Tennis verliert, fährt man zum nächsten Turnier und beginnt von vorn. In der Wirtschaft sind Geschäfte langwierig. War es schwierig, sich an die neuen Bedingungen zu gewöhnen?
Stich: In der Wirtschaft läuft es eben anders. Da hat man manchmal eine Idee und die Umsetzung dauert drei, sechs oder zwölf Monate. Im Tennis geht man auf den Platz und hat drei Stunden später ein Ergebnis. Im Geschäftsleben dagegen gibt es manchmal überhaupt kein Ergebnis. Dann wird eine gute Idee begraben, weil es nicht vorangeht.

Ist das nicht für einen ehemaligen Weltklassesportler, der seine Gegner im Griff hatte, eine frustrierende Situation?
Stich: Die Umstellung von „Ich will wissen, was Sache ist“ zu „Ich muss mich immer noch ein bisschen gedulden“ war schon frustrierend. Durch die Arbeit in meiner Stiftung habe ich eine Menge gelernt, weil es dort sehr ähnlich ist. Man muss selektieren, was erfolgversprechend ist, und was nicht. Dabei liegt man leider nicht immer richtig. Auch, weil es nicht von einem selbst abhängt. Viele Dinge, die in der Wirtschaft von außen auf einen einströmen, kann man nicht beeinflussen, zum Beispiel die Entwicklung
eines Marktes oder eines Aktienkurses. Da können hundert Fachleute sitzen und am Ende weiß niemand, warum irgendetwas passiert.

Für Sportler bedeuten große Titel großen Erfolg. Was bedeutet Erfolg heute für Sie?
Stich: Als Unternehmer spielt der wirtschaftliche Erfolg natürlich eine Rolle. Daran wird seine Leistung gemessen. Der soziale Aspekt zählt, wie bei meinem Engagement mit der Stiftung und auch bei der Arbeit mit dem Rückenzentrum. Und natürlich muss es Spaß machen. Ich mache keine Sachen, nur damit ich am Ende des Tages viel Geld in der Kasse habe. Das ist nicht meine primäre Motivation.

Wie hilfreich ist in Ihrem heutigen Job die Tatsache, dass Sie Wimbledonsieger geworden sind?
Stich: Für mich spielt das heute keine Rolle. Der Sieg hat mir einen Namen eingebracht. Aber ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der geschäftlich mit mir verbunden ist, weil ich vor zwanzig Jahren in Wimbledon gewonnen habe.

Manche Unternehmen schmücken sich aber gern mit einem Wimbledonsieger?
Stich: Nein. Ich habe nach meiner Karriere immer gesagt, wenn ich mich in 30 Jahren immer noch als Wimbledonsieger vorstellen muss, dann habe ich im Leben etwas falsch gemacht. Dafür ist das Geschäft viel zu kurzlebig. Die Menschen achten eher auf Know-how und Qualität, als dass sie sagen, der hat vor zwanzig Jahren in England ein Tennisturnier gewonnen. Es war mir nach dem Ende meiner Karriere auch völlig klar, dass ich davon nicht mein Leben lang werde zehren können. Und mittlerweile verbinden viele Menschen mit meinem Namen mein soziales und unternehmerisches Engagement.

Aber ganz los kommen Sie vom Tennis nicht. Immerhin sind Sie Turnierdirektor am ehrwürdigen Hamburger Rothenbaum. Nicht so leicht der Job, oder?
Stich: Mein Ziel ist es immer gewesen, das Turnier erst einmal auf so gesunde Beine zu stellen, dass es wieder läuft. Danach kann man sich damit beschäftigen, ob man versucht, es wachsen oder bedeutender werden zu lassen. Aber insgesamt habe ich vor,
mich irgendwann aus dem öffentlichen Fokus zurückzuziehen und nicht immer an vorderster Front zu kämpfen.

Sie haben die fehlende Unterstützung der Stadt Hamburg fürs Turnier beklagt. Hat sich die Situation nach den Wahlen mit dem neuen Senat verbessert?
Stich: Wir haben ja in den vergangenen beiden Jahren Unterstützung von der Stadt bekommen. Darüber hinaus hat sich Frau von Welck immer sehr für uns eingesetzt. Von daher wäre es nicht angebracht, sich zu beklagen. Der neue Senat ist ja noch nicht all zu lange im Amt, jedoch gibt es mit Herrn Neumann und Herrn Horch bereits gute Gespräche. Was schlussendlich dabei herauskommt, wird sich zeigen.

Was wären Ihre fünf Hauptforderungen an ein solches Konzept?
Stich: Dazu würde erst einmal gehören, dass man den Begriff Sportstadt definiert. Ich glaube, wenn man die Frage hundert Leuten in der Wirtschaft und Politik stellen würde, könnte sie niemand beantworten. Das Hauptproblem ist, dass keiner weiß, was für eine Vision hinter diesem Begriff stehen soll.

Und welche Visionen haben Sie bei dem Begriff Sportstadt Hamburg?
Stich: Wir müssen die großen Sportveranstaltungen, die wir haben, in Hamburg halten. Außerdem muss sich Hamburg immer wieder für große internationale Sportveranstaltungen bewerben. Dazu zähle ich keine U-17-Basketball-WM, sondern wirklich große Events. Gleichzeitig muss man für Hamburger Sportler ein Förderkonzept bereithalten, denn ich möchte, dass irgendwann wieder ein Hamburger Sportler am Rothenbaum gewinnt, beim Triathlon siegt, beim Marathon Erster wird oder beim Spring- und Dressurderby den Titel holt. Erst dann würde sich für mich der Kreis für ein erfolgreiches Sportkonzept schließen. Und dafür braucht Hamburg kein Gesamtkonzept für zwei Jahre oder eine Legislaturperiode, sondern eine Vision für die nächsten zehn Jahre.

Michael Stich, 42, ist neben Boris Becker der erfolgreichste deutsche Tennisspieler aller Zeiten. Er wurde Weltmeister, Olympiasieger und Davis Cup-Sieger. 1991 besiegte er Boris Becker im Finale von Wimbledon. Er ist auch der bislang letzte deutsche Tennisprofi, der das Turnier am Hamburger Rothenbaum gewinnen konnte (1993). Schon als Spieler gründete er die Michael-Stich-Stiftung für HIV-infizierte Kinder. Für sein soziales Engagement wurde der gebürtige Elmshorner 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Stich ist im dritten Jahr Turnierdirektor am Hamburger Rothenbaum, dem größten deutschen Tennisturnier. Außerdem ist er Mitinhaber des Rücken-Zentrums am Michel, Investor der Internetplattform mein.verein.de und Partner des Clubs Aldiana.

Interview: Achim Schneider, Andreas Eckhoff
Fotos: Antonina Gern