Interviewtermin mit Corny Littmann. Auf dem Weg zu seinem „Tagesbüro“ in der Lounge-Bar des Schmidt Theaters äußert er einen Wunsch: „Wir wollen ja über mein Unternehmen sprechen, aber wir müssen auch unbedingt über Fußball reden.“ Ein Gespräch mit dem Unternehmer Littmann, das ganz anders beginnt als geplant.

club!: Was regt Sie beim Fußball gerade so auf, dass Sie gleich darüber sprechen möchten? Vielleicht die 220 Millionen Euro, die der Besitzer des Clubs Paris St. Germain im Sommer für den Brasilianer Neymar an Barcelona überwiesen hat?
Corny Littmann: Der Transfer von Neymar ist nur die Spitze des Eisberges. Es ist das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung, von der man noch gar nicht weiß, wo sie endet. Ich finde es erschreckender, dass 16- oder 17-jährige Spieler für Millionensummen transferiert werden. Also Spieler, in die die großen europäischen Vereine Hoffnungen und Erwartungen stecken, von denen sie nicht wissen, ob sie jemals erfüllt werden. Noch erschreckender ist, dass der internationale Fußball, insbesondere der englische und französische, immer mehr unter der Knute ausländischer Investoren steht. Das hat mit eigenständigem Wirtschaften eines Vereins nichts mehr zu tun. Und damit sind wir auch schon beim HSV.

Es liegt Ihnen am Herzen, über den HSV zu sprechen?
Ein Verein, der sich so abhängig von einem einzigen Unternehmer macht, egal, ob der Mensch Kühne, Müller oder Meier heißt, der begeht schrittweise Selbstmord. Das kann keine vernünftige Strategie im ökonomischen Sinne für einen Club sein. Und es gibt ein erstaunliches Phänomen in Hamburg: Viele Unternehmen sponsorn einen Verein, der nachweislich in den letzten zehn Jahren katastrophal gewirtschaftet hat. Um es platt zu sagen: Beim HSV investieren sie offensichtlich in ein Fass ohne Boden. Vor zehn Jahren hätte doch keiner gedacht, dass der FC. St. Pauli mittlerweile der wirtschaftlich solide Verein der Stadt ist. Der ständig Gewinne ausweist, nicht auf die Idee kommt, riskant in Spieler zu investieren, solide sportlich und wirtschaftlich arbeitet und Kontinuität bewahrt. Dieser solide wirtschaftende Verein wird von Hamburger Wirtschaftsunternehmen nur am Rande zur Kenntnis genommen.

Woran liegt das?
Der FC St. Pauli hat bis zur Jahrtausendwende wirtschaftlich betrachtet eine unselige Vergangenheit. Aber das ist längst Geschichte und Vertrauen muss erworben werden. Das hat der FC St. Pauli eindrucksvoll bewiesen. Aber das Fußballgeschäft ist ein hochemotionales, unternehmerische Rationalität steht da häufig an zweiter Stelle. Exemplarisch wie gesagt beim HSV zu konstatieren.

Ist in Ihrer Präsidentschaft unternehmerisches Denken in den Club eingezogen?
Ein Club wie der FC St. Pauli ist ein mittleres Wirtschaftsunternehmen und natürlich muss man ihn nicht nur, aber auch unter diesem Aspekt leiten. Das muss im Einklang mit den Werten des Vereins stehen, wahrlich nicht einfach, aber durchaus machbar.

interview_text1Heute sind Sie „nur“ noch Fußballfan und kümmern sich sehr erfolgreich um Ihr wachsendes Unternehmen. Mittlerweile betreiben Sie drei Theater auf dem Kiez. Welches ist Ihr Lieblingsbaby?
Das Schmidt Theater. Wobei jedes Theater für sich einen eigenen Charme, eine eigene Atmosphäre hat. Der Zufall will es, dass ich wesentlich häufiger auf der Bühne des Schmidt Theaters stehe als im Tivoli und im Schmidtchen. Hier hat alles begonnen und deshalb fühle ich mich im Mutterhaus am wohlsten.

Was treibt Sie als Unternehmer an?
Die Liebe zum Theater. Aber das reicht für ein unsubventioniertes Privattheater nicht, es gehört ein bisschen mehr dazu. Natürlich steht im Vordergrund die Leidenschaft für das Theater. Und der ständige Versuch, Menschen zu unterhalten, zu begeistern. Ich sage deshalb der ständige Versuch, weil es jeden Tag eine neue Herausforderung ist, Menschen zu begeistern und Leidenschaft zu transportieren. Das ist im Übrigen auch unternehmerisch konstituierend für den Erfolg der Theater: Unser Publikum spielt die Hauptrolle. Wir leben von der Zustimmung der Gäste und sind ökonomisch abhängig von der Zustimmung der Besucher, weil wir keine Subventionen bekommen und auch nicht wollen.

Haben Sie jemals bei der Kulturbehörde nach Geld gefragt?
Als wir das Schmidt Theater eröffnet haben, war von Anfang an klar: Wir wollen keine staatlichen Subventionen. Das hat zwei Gründe. Zum einen: Wer jemals eine Taxiquittung mit der Kulturbehörde abgerechnet hat, weiß, warum wir keine Subventionen haben wollen. Der andere Grund ist: Wir sind gerne von unserem Publikum abhängig und nicht von der Gunst der Regierenden.

Was Sie anpacken, funktioniert. Warum haben die subventionierten Häuser so große Probleme?
Wir bedienen eine bestimmte Sparte des Theaters, nämlich das unterhaltende Musiktheater. Andere Theater, insbesondere die Stadt- und Staatstheater, haben einen Kulturauftrag, den sie in unterschiedlichem Maße erfüllen. Von daher unterscheiden wir uns grundsätzlich. Aber ich glaube, es kommen wichtige andere Aspekte dazu. Wir haben ein Marketing- und Vertriebssystem und ein Ticketing entwickelt, das einzigartig in Deutschland ist. Ein Stichwort ist „Dynamic Pricing“. Das kennt jeder von Fluggesellschaften und Hotels. Dabei richtet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage. Das bedeutet, Vorstellungen, die sehr gut nachgefragt sind, sind teurer als die nicht so nachgefragten. Das hat im Ergebnis beachtliche ökonomische Folgen. Wir erlösen weit mehr mit dem Verkauf von Eintrittskarten, als wir das vorher getan haben. Außerdem ist die Schmidts Tivoli GmbH kein Hamburger Theater, sondern ein norddeutsches. Unsere Besucher kommen im Wesentlichen aus der erweiterten Metropolregion und dort holen wir sie auch ab. Die meisten Hamburger Bühnen beschränken ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten aufs Stadtgebiet. Sie haben auch Besucher aus dem Umland, aber da diese keine Hamburger Steuerzahler sind und somit nicht dazu beitragen, dass diese Theater lebensfähig sind, partizipieren sie quasi unberechtigt an Hamburger Steuergeldern. Das führt zu einem Vertriebs- und Marketingsystem bei den Theatern, das im Vergleich zu unserem lächerlich ist.

Das hört sich ziemlich selbstbewusst an.
Es lässt sich auch an Zahlen festmachen. Die „Heiße Ecke“ ist mit weit über zwei Millionen Besuchern das erfolgreichste deutschsprachige Musical überhaupt. Die Menschen von außerhalb anzusprechen ist die Philosophie unseres Vertriebs und Marketings. Wir verkaufen mittlerweile über 50 Prozent der Tickets online und es gibt eine App, über die Karten gebucht werden. Das sind aber keine Geheimnisse für ein Wirtschaftsunternehmen, das ist Normalität. Nur im Kulturbetrieb ist das überhaupt nicht normal. Die einzigen, die sich ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigen, ist das große Musicalunternehmen Stage Entertainment.

Ist Stage ein Konkurrent für Sie?
Es sind gute Kollegen. Aber das Unternehmen trifft viele Entscheidungen, die ich nicht nachvollziehen kann. Ein Beispiel: Das Wunder von Bern gehört meines Erachtens in den Ruhrpott. Es ist ein hervorragendes Stück, das in Hamburg aber nicht funktionieren kann. Wenn man sich Pricing und Ticketing von Stage Entertainment ansieht, dann sind sie bei Weitem nicht so flexibel wie wir. Dort zahlt man für die besten Tickets am Wochenende schon 160 Euro pro Person. Da sind wir mit einem Spitzenpreis von 90 Euro bei der Heißen Ecke deutlich günstiger.

interview_text2Ist die Preisspirale für Veranstaltungen nicht total überdreht?
Sie ist oft für mich nicht mehr nachvollziehbar. Aber es gibt das erstaunliche Phänomen des Live-Erlebens. Sie können heutzutage ein Konzert oder ein Fußballspiel im Fernsehen wesentlich besser verfolgen – mit Zeitlupen, Wiederholungen usw. Und trotzdem: Die Rolling Stones kündigen an, nach Hamburg zu kommen, und innerhalb weniger Stunden ist das Konzert ausverkauft. Die Menschen wollen die Stones einfach leibhaftig erleben, auch weit entfernt von der Bühne. Ein ganz ähnliches Phänomen gibt es beim Fußball. Jedes Spiel ist im Fernsehen wesentlich besser zu verfolgen als von irgendeinem Platz im Stadion. Trotzdem werden die Stadien immer voller. Dieser Zuspruch für Live-Events zeugt von einer großen Sehnsucht der Menschen, im Moment und gemeinsam etwas zu erleben. Das merken wir auch sehr stark im Theater.

Ihr Vater war Professor für Finanzwissenschaften. Da können Sie sicher von Haus aus gut mit Geld umgehen, oder?
Ich habe in späteren Jahren überraschenderweise festgestellt, dass ich von meinem Vater eine ganze Menge mitgekriegt habe. Aber das betrifft eher das strukturierte Denken, das Analysieren und nicht so sehr die unternehmerische Praxis. Ich glaube, mein Vater wäre mit jedem Kiosk Pleite gegangen.

Warum?
Weil er Finanzwissenschaftler war. In der Praxis hätte er total versagt, glaube ich. Trotzdem habe ich ihn sehr gern gemocht.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie Ihr erstes Geld verdient haben?
Ja, als Schüler habe ich in einer Getränkefabrik gearbeitet. Seitdem habe ich keinen Orangensaft mehr getrunken.

Sie mussten häufig mit den Eltern umziehen – in die USA, nach Berlin. Warum sind Sie in Hamburg hängengeblieben?
Ich habe hier Abitur gemacht und zum Entsetzen meines Vaters angefangen, Psychologie zu studieren. Die Psychologie war in seinen Augen Kaffeesatzleserei.

Und für Sie?
Ein für mich notwendiger Schritt, sich über die eigene Identität klarer zu werden. Als das der Fall war, habe ich das Studium abgebrochen.

Um Künstler zu werden?
Theater war schon immer mein Hobby. Mitte der 70er Jahre haben wir mit einer kleinen Schwulen-Theatergruppe ein – heute würde man sagen – Agitprop- Stück gemacht. In dieser Zeit sind viele Gruppen entstanden, meistens aus studentischen Kreisen, Kabarettgruppen, Musiktheatergruppen, die als Laien angefangen haben und sich immer weiter professionalisiert haben. Das ist heute nicht mehr denkbar.

Wie groß war der Schritt vom Schauspieler zum Unternehmer?
Wir waren als Tourneetheatergruppe „Familie Schmidt“ lange in Deutschland unterwegs und des Reisens müde. Wenn man nach Jahren jede Raststätte auf der Autobahn kennt, dann will man irgendwann sesshaft werden. Als sich die Gelegenheit bot, haben wir uns am Spielbudenplatz niedergelassen. Und Mitarbeiter angestellt. Da wirst du zwangsläufig zum Unternehmer.

Sie haben im letzten Jahr 25-jähriges Jubiläum mit dem Schmidts Tivoli gefeiert. 2018 ist das Schmidt Theater 30 Jahre in Betrieb. Hätten Sie gedacht, dass die Theater so lange erfolgreich sind?
Geträumt ja, gedacht nicht. Erschreckend ist, wie schnell die Zeit vergangen ist. Natürlich, gerade anlässlich dieser Jubiläen lässt man die Zeit noch einmal Revue passieren und dabei stellt man fest, was hier alles geschehen ist. Und das ist ungeheuer viel. Ich habe noch die Bilder von 1988 vor Augen. Der Spielbudenplatz war die tote Ecke der Reeperbahn, heute ist er der lebendigste und attraktivste Platz in Hamburg. Mit einem sehr gemischten, sehr friedlichen Publikum. Hier ist eine einmalige Szene entstanden. Sowohl in der Mischung des Publikums als auch im Theaterangebot, das ohnehin deutschlandweit einmalig ist. Ich nenne es scherzhafterweise den kleinen Broadway.

Der Kiez hat sich insgesamt verändert …
Der Kiez, den ich in den 70er Jahren kennengelernt habe, war ein grundsätzlich anderer. Er war garniert mit Peepshows. Davon gibt es heute keine einzige mehr. Mit vielen zweifelhaften Lokalitäten, von denen es nur noch sehr wenige gibt. Mit kaum einem Kiosk, von denen es heute viel zu viele auf der Reeperbahn gibt. St. Pauli hat, historisch betrachtet, immer vom ständigen Wandel gelebt. Vieles, wie etwa die Kinokultur, ist bedauerlicherweise verschwunden. Stattdessen haben sich Discounter angesiedelt, die eigentlich nicht hierher gehören. Es ist nicht alles gut, aber vieles ist gut und vor allem ist vieles besser.

interview_text3Der Hype treibt an Wochenenden junge Leute aus Pinneberg und Ahrensburg auf den Kiez, um Party zu machen und sich mit Alkohol zuzuschütten. Ist das der neue Kiez-Schick?
Es gibt 400 000 Menschen, die jedes Jahr in unsere Theater kommen. Und 20 Millionen Besucher kommen im Jahr auf den Kiez. Da muss man differenzieren. Man kann nicht das gesamte Klientel, das am Wochenende hierherkommt, über einen Kamm scheren. Was wir, damit meine ich die hier im kulturellen Bereich arbeitenden Unternehmer beklagen, ist der Ausschank von billigen Alkoholika an den Kiosken, der inflationsartig zugenommen hat.

Mit der Esso-Tanke ist doch der größte Billig-Laden verschwunden …
Von wegen, schön wär’s. Der Senat ist hier gefragt, das entsprechend zu regulieren. Es gibt auf St. Pauli, und nur hier, ein Glasflaschenverbot am Wochenende und natürlich ist es möglich, den Alkoholausschank an Kiosken zeitlich zu begrenzen. Dann ist dieses Drucktanken von jungen Menschen zu sehr günstigen Getränkepreisen an den Kiosken vorbei und das Geschehen verlagert sich wieder mehr in die Clubs.

Beim Musical „Heiße Ecke“ geht es auch um die gute alte Zeit. Ist das Stück deshalb so beliebt bei den Besuchern?
Zuerst einmal ist es beliebt, weil es gute Geschichten erzählt. Es ist ein sehr gutes deutsches Musiktheaterstück.

Was war so besonders an dem Imbiss. Wurde da die würzigste Currywurst serviert?
Nein. Es war das Personal. Ich habe lange in der Nähe gewohnt und bin allabendlich in die „Heiße Ecke“ gegangen, aber nicht um Würstchen zu essen, die waren ungenießbar. Ich habe immer den gerade noch akzeptablen Kaffee getrunken. Ella war die Herrscherin des Imbisses. Sie hat mit ihren Sprüchen ständig Theatervorstellungen veranstaltet – und das vollkommen kostenlos.

Gibt es ein neues Projekt, an dem der Unternehmer Littmann derzeit arbeitet?
Wir sind gerade dabei, gemeinsam mit Udo Lindenberg die PANIK CITY im Klubhaus St. Pauli zu bauen. Das wird keine Ausstellung und kein Museum, sondern eine multimediale Udo-Lindenberg – Erlebniswelt, mit der modernsten Technik, die es so bisher noch nicht zu sehen gab. Auf Neudeutsch: „Panik City – die Udo Lindenberg Experience“. Und im September eröffnen wir den „Gassenhauer“ in der Kastanienallee, dort wird Schnitzel serviert. Nicht irgendeines, sondern „das beste Schnitzel außerhalb Österreichs“. Unser Gastronom ist Österreicher, der hat hohe Ansprüche. An sich und an das Schnitzel!

Gespräch: Achim Schneider Fotos: Ivo von Renner