Sie ist eine der besten Köchinnen der Stadt. Cornelia Poletto spricht über die Bedeutung von Tischreservierungen, anspruchsvolle Gäste und die unerwartete Entwicklung ihres neuen Restaurants.

club!: Wir behaupten: Hamburg kocht! Frage an die Köchin: Kocht Hamburg? Brodelt es hier? Oder köchelt es nur?
Cornelia Poletto: Es kocht! Und es ist ein großes Glück, hier mitkochen zu dürfen! Es gibt alle Stile und Richtungen. Sie finden hervorragende thailändische, japanische, italienische Restaurants, um nur einige zu nennen. Die Küche ist wirklich international – und das in allen Preisklassen.

club!: Da Sie gerade die Preise erwähnen…
Poletto: Auf diesem Gebiet ist es nicht einfach für Gastronomen. Wir hatten wohl alle bisher ein schwieriges Jahr. Das Geld wird weniger, die Ansprüche der Gäste dagegen höher. Selbst gute Restaurants haben zu kämpfen – verlieren auch. Dass N Siebzehn in den wunderbar an der Elbe gelegenen Räumen des früheren Tafelhaus von Christian Rach hat kurz nach der Neueröffnung aufgegeben. Man denke auch nur an die Beach Clubs, die unter dem Wetter leiden. Aber die Gäste wollen kein Gejammer hören.

club!: Was wollen Gäste denn?
Poletto: Sie wollen eine ganze Menge. Selbstverständlich wollen sie gutes Essen, aber auch der Service muss stimmen. Er darf nicht zu steif, aber auch nicht zu locker sein. Die Location, das Ambiente muss passen, das Licht, die Farben, die Möbel, die ganze Stimmung im Restaurant. Der Erfolg setzt sich aus vielen Kleinigkeiten zusammen. Aber wenn die Rechnung kommt – dann gehen die Augenbrauen hoch.

club!: Warum? Wenn doch alles gestimmt hat?
Poletto: Hamburger gehen gern auswärts essen – aber in Paris oder London und New York. Dort wird jeder Preis gezahlt, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber hier ist es schwierig.

club!: Was machen Sie dagegen?
Poletto: Ein Beispiel. Ich habe einen neuen Produzenten in Schleswig-Holstein gefunden, der wunderbar abgehangenes Fleisch liefert. Dry aged heißt das im Fachjargon. Das ist natürlich teuer, denn wenn der Mann das Fleisch 30 Tage im Kühlraum hängen lässt, verdient er 30 Tage nichts. Und am Ende wiegt das Fleisch weniger als zuvor, weil ja Flüssigkeit verdunstet ist. Noch einmal ein Verlust. Dafür ist das Fleisch einfach ein Genuss an Geschmack, Zartheit und Aroma. Wenn ein Gast das bestellt, lasse ich ihm vorher das ganze Stück zeigen und vom Service erklären, warum es so etwas besonders Leckeres ist – und warum es am Ende 40 bis 50 Euro kosten muss.

club!: Sie haben Ihr Restaurant, für das Sie zehn Jahre lang einen Stern im Michelin erkocht haben, aufgegeben, weil das Haus abgerissen wurde. Sie wollten danach lieber ein unkompliziertes Restaurant für jedermann, ohne Reservierung, ohne Schnick-Schnack, mit dem besten Grillhähnchen der Stadt. Hat das geklappt?
Poletto (lacht): Da musste ich dazulernen. Geplant war eine Öffnungszeit von 9 bis 9. Heute ist von 11 Uhr bis etwa 23 Uhr geöffnet – und Bestellannahme für die Küche bis um 21 Uhr. Wir sind zu den Reservierungen zurückgekehrt und haben abends – das habe ich wirklich nicht so geplant – zwei Belegungen. Wir wurden hier an der Eppendorfer Landstraße einfach überrannt, abends stand draußen eine Schlange. Der Erste Restaurantleiter, der es gewohnt war, Gäste mit Buchung zur bestimmten Zeit an ihren Tisch zu führen, wurde mit dem Ansturm nicht fertig. Und als mir wirklich liebe Stammgäste sagten, sie könnten nicht mit Gästen einen Besuch bei mir planen ohne Sicherheit, auch einen Platz zu bekommen, bin ich doch wieder zur Reservierung zurückgekehrt.

club!: Haben Sie viele Stammgäste?
Poletto: Ja, Gott sei Dank. Ein Gast kommt seit 13 Jahren, also seit ich mein erstes Restaurant aufgemacht habe, jeden Dienstag mit seiner Frau zum Essen. So etwas rührt mich sehr und macht mich richtig stolz. Denn ein Restaurant so lange und dann noch mit der Neuorientierung zu führen, ist gar nicht so einfach.

club!: Wieviel Plätze gibt es denn in Ihrem neuen Restaurant?
Poletto: Es gibt nur 30 Plätze. Viele Gäste scheinen sich nicht vorstellen zu können, was es für einen Ausfall bedeutet, wenn dann ein Vierer-Tisch leer bleibt, weil sie ihre Reservierung nicht absagen. Das sind etwa 15 Prozent meines Umsatzes.

club!: Und die Kochschule?
Poletto: Die in diesem Jahr neu eröffnete „Cucina Poletto“ für Gruppen ab 10 Personen, ein paar Schritte vom Restaurant entfernt in der Goernestraße, hat noch einmal 120 Quadratmeter. Für beide zusammen beschäftige ich mittlerweile schon wieder 17 Mitarbeiter. Die wollen jeden Monat bezahlt werden und die Sozialabgaben für sie auch, von den Lieferanten für Fisch und Fleisch, Schinken, Wein, Kaffee, Käse und Brot ganz zu schweigen.

club!: Kochen Hamburger gern?
Poletto (wiegt den Kopf): Wenn sie in der Kochschule auftauchen, sind sie sehr interessiert und oft auch sehr kundig. Aber meine „Schüler“ kommen mittlerweile aus der ganzen Republik, nur etwa 40 Prozent aus Hamburg. Sonst ist es wie überall: Junge Mütter kaufen lieber Pfannkuchen-Mix in der Flasche, als den Teig selbst aus Mehl, Ei und Milch zusammenzurühren. Aber fragen Sie mal auf der Straße Leute, wie sie Kartoffelpüree machen – da werden Sie erstaunliche Antworten bekommen.

club!: Aber Hamburger haben schön ausgestattete Küchen…
Poletto (lächelt): Oh ja! Ich habe mal für eine Familie, die ich lange kenne, privat gekocht für eine Feier. Weil mitten in den Vorbereitungen der alte Herd in der großen Küche im Souterrain des Hauses ausfiel, habe ich in der bestens ausgestatteten Familienküche fertig gekocht. Die Hausfrau war entsetzt. Das sei keine Küche zum Kochen! Am Ende hat aber alles wunderbar geklappt und die Feier ist perfekt abgelaufen.

club!: Sie machen Werbung für eine Wurstwarenfabrik. Das hat man Ihnen angekreidet, weil Sie sich sonst so fürs Natürliche einsetzen.
Poletto: Ich habe lange überlegt, ob ich das machen soll. Aber es handelt sich dabei um ein ordentliches Produkt, von dessen Qualität ich mich durch intensives Probieren überzeugt habe. Es kann sich eben nicht jeder den feinsten Parma-Schinken leisten.

club!: Sie kochen immer noch Ihren Stil: mediterran bis italienisch, wenige Komponenten auf dem Teller, aber beste Produkte. Geschickt und fein kombiniert ergeben sie großartige Genüsse wie Panzanella, den Salat aus Brotstücken mit Kirschtomaten und Garnelen, der durch den leckeren San Daniele-Schinken den Pfiff erhält. Oder die wunderbaren spanischen Sardinchen aus der Dose zu Speckbrot von Bäcker Gaues. Schäume, Gele oder Crunches sind eher nicht so Ihr Ding?
Poletto: Das sind wunderbare Sachen. Auch die ganzen neuen Kochtechniken wie Vakuum- oder Niedrigtemperatur- Garen. Toll! Aber das ist etwas für die Sterne-Küche. Die Köche können das hervorragend und sorgen für besondere Geschmackserlebnisse, wenn zum Beispiel ein Gelkügelchen im Mund platzt und ganz herrlich intensiv nach Basilikum oder Tomate schmeckt. Aber das Thema „Stern im Michelin“ ist für mich abgehakt.

club!: Offenbar nicht nur für Sie. Hamburg hat nach Ihnen und Christian Rach in diesem Jahr noch den Stern von Jochen Kempf verloren, weil das „Abtei“ geschlossen wurde. Und Anna Sgroi ist von St. Georg in die Milchstraße umgezogen und hat den Stern aufgegeben.
Poletto: Sterne-Küche ist ein mühsames Geschäft. Sehr aufwendig und sehr anstrengend. Sie arbeiten zwölf bis 16 Stunden am Tag, oftmals sechs Tage in der Woche, und das meistens im Stehen. Die Gesundheit fördert das nicht und es bleibt kaum Zeit fürs Privatleben. Viele Ehen scheitern daran. Man braucht einen Sponsor. Es funktioniert, wenn man eine Firma oder ein Hotel im Hintergrund hat. Was allerdings Anna betrifft, die kocht auch jetzt so, wie sie immer kocht: auf ganz hohem Niveau. Ich denke, bald hat sie wieder einen Stern.

Cornelia Poletto wurde am 9. August 1971 in Hamburg geboren. Ihre Ausbildung absolvierte sie bei Heinz Winkler am Chiemsee. Nach der Aufgabe ihres Sternerestaurants eröffnete sie 2011 einen Feinkostladen mit angeschlossenem Restaurant in Eppendorf, das „Cornelia Poletto“.

Text: Gisela Reiners
Fotos: Martina van Kann