Das mit der „unsichtbaren Hand“ von Adam Smith haben wir ja alle auswendig gelernt im Neoliberalismus-Unterricht: Jeder handle, von purem Eigennutz getrieben, so, dass es ihm persönlich den maximalen Vorteil bringe, und das System der freien Marktwirtschaft verwandelt diese multiplen Egoismen in das maximale Gemeinwohl. Und das praktisch von alleine, eben von der unsichtbaren Hand des Marktes gesteuert.

Aber wenn wir uns im Universum der Stiftungen bewegen, insbesondere der gemeinnützigen, haben wir es mit einer genau umgedrehten Aufgabe zu tun – denn die Stiftung handelt ja vom puren Uneigennutz getrieben. Das müsste doch eigentlich eine viel bessere Ausgangsbasis sein, um zur Steigerung des Gemeinwohls beizutragen; was es sicherlich ja auch tut. Aber eine Dynamik, wie sie Marktwirtschaft und Kapitalismus entfesselt haben, entsteht nicht daraus. Jeder erfüllt mehr oder weniger gut seinen Stiftungszweck, rettet oder verbessert Leben, agiert sozial oder bereichert kulturell – aber keine unsichtbare Hand lässt sich blicken, die alles zum allgemeinen Wohl hin lenken würde. Ein Mangel? Nicht unbedingt – wer eine sichtbare Hand einsetzt, braucht ja keine unsichtbare. Aber wenn es einen Weg hin zu einer solchen das Gemeinwohl fördernden Dynamik gäbe, wäre es doch des Schweißes der Edlen wert, ihn zu suchen, und dann auch zu gehen.

Man könnte hier schnell abwinken: Es gibt nun einmal keine gemeinsame Währung für Uneigennützigkeit. Beim Eigennutz hat sich eine solche entwickelt – das Geld, besser gesagt: der Gewinn, noch besser: die Profitrate. So etwas gibt’s im Stiftungs- Universum nicht: Wie soll der Kunstgenuss einer Theateraufführung mit dem Stipendium für einen Migranten auf einen Nenner gebracht werden, wie der Bau von Toiletten in Afrika mit der Alzheimer-Forschung? Denn ein irgendwie gemeinsamer Nenner ist es wohl, der dazu beiträgt, aus der einen kleinen Einheit des Eigennutzes das große Ganze des Gemeinwohls zu machen.

Aber das Gemeinsame muss keine Währung sein, um den Effekt der unsichtbaren Hand zu erzeugen. Das hat uns Tim Berners-Lee demonstriert. Jeder einzelne Link, so der Erfinder des World Wide Web, der im Internet gesetzt werde, werde zum eigenen Nutzen gesetzt: „Man möchte dadurch die eigene Webseite besser machen.“ Im Ergebnis werde aus den vielen eigennützigen Handlungen etwas größeres Ganzes, das Internet eben. Dass das so funktioniert, haben wir alle in den letzten 25 Jahren selbst erlebt. Und was war der gemeinsame Nenner? Die Sprache – jenes HTML, Hypertext Markup Language, das es jedem ermöglicht, einen Link zu jedem anderen zu setzen, ohne diesen um Erlaubnis fragen zu müssen.

Berners-Lee gibt sich nicht der Illusion hin, dass die unsichtbare Hand einfach so, quasi automatisch, das Internet zum Leuchten bringt. Es brauche schon ein Regelwerk dafür und ein großer Teil seines Engagements in den vergangenen Jahrzehnten drehte sich auch genau darum: das Netz so in Form zu halten, dass aus den vielen kleinen Links das große Internet wird.

Wenn das, was Adam Smith im Materiellen erreichte, von Tim Berners-Lee auch im Digitalen erreicht wurde, sollte es doch möglich sein, das auch im Sozialen zu erreichen. Es muss ja keine Währung sein und auch keine Sprache. Vielleicht klappt es ja schon mit einem Lächeln.

Text: Detlef Gürtler
Detlef Gürtler ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Er lebt in Berlin und im spanischen Marbella.