Mode, das ist doch dieses sich beständig Ändernde. Dieses früher zweimal im Jahr neu über die Menschheit Hineinbrechende, das inzwischen atem- und pausenlos sich erneuert – denn für die H&M’s dieser Welt ist es Ehrensache geworden, täglich etwas Neues im Laden zu präsentieren. Neue Farbe, neuer Schnitt, neue Länge, neues Material, erst breiter, dann spitzer, dann offener, dann dezenter, und dann wieder das Ganze von vorne. Dabei ist doch eigentlich die Mode dieses beständig Gleiche. Männerbeine und -hintern stecken in Hosen, um den Hals schlingen sich Kragen und/oder Krawatten und der Anzug mag sich im Schnitt mal ändern, aber nicht im Prinzip. Kein Designer traut sich das ganz, ganz Andere, den radikalen Bruch mit unseren Kleidungsgewohnheiten. Die letzte Durchbruchs-Innovation der Damenmode, der BH, liegt bereits exakt ein Jahrhundert zurück, in der Männermode hingegen sind es schon ein paar Jahrzehnte mehr: Etwa ab 1860 wurde die Krawatte in seither kaum veränderter Form zum unverzichtbaren Bestandteil der ordentlichen Bekleidung.

Ja sicher, in jeder Saison gibt es irgendeinen Modeschöpfer, der ein paar Männerbeine in Röcke steckt oder die Anzughose auf Kniehöhe enden lässt – also ungefähr da, wo bei den Cool Kids die Hose erst anfängt. Das bringt alles Fotos und Aufmerksamkeit, so wie die ebenso unvermeidlichen barbusigen Entwürfe in der Damen-Kollektion, aber keine Umsätze. Die Provokation verfliegt, die Innovation bleibt aus.

Dabei wäre die Zeit doch reif für einen modischen Quantensprung. Dem alten Look kommt die Spannkraft abhanden: Auch bei offiziellsten Anlässen bleiben inzwischen Herrenhälse ungeschützt und der oberste Hemdknopf geöffnet – und im Bundestag wurde gerade eben erst die Krawattenpflicht für Schriftführer abgeschafft. Okay, das passierte auf Vorschlag von Claudia Roth, aber ganz ohne den Zeitgeist auf ihrer Seite hätte sich dieser, äh, modische Paradiesvogel wohl nicht durchsetzen können. Den alten Zopf abzuschneiden macht noch nicht automatisch eine neue Frisur. Gegen Konventionen rebellieren, indem man sie bricht, setzt noch keinen revolutionären neuen Standard. Und so etwas wie die „Freiheitsmütze“ der Jakobiner in der französischen Revolution haben wir nun mal noch nicht vorzuweisen. Auch eine bekenntnishafte Hosenmode wie bei den damaligen „Sansculotten“ fehlt uns – die eben keine „Ohnehosen“ waren, wie oft übersetzt, sondern „Ohnekniebundhosen“: Die Ende des 18. Jahrhunderts beim französischen Adel beliebten Kniebundhosen taugten halt nicht für körperliche Arbeit, Hosen bis zum Knöchel zu tragen war ein radikales politisches Statement.

„And now for something completely different“, hieß vor gut 40 Jahren die filmische Aufforderung der Revolutionäre von „Monty Python’s Flying Circus“ (damals übrigens finanziert vom britischen „Playboy“-Verleger Victor Lownes, aber das ist nun wirklich etwas völlig anderes). Die ersten paar Jahrtausende Modegeschichte haben ja auch reihenweise Anregungen für Fashion- Quantensprünge zu bieten. Da gibt es beispielsweise die wallende Toga, wie sie vor 2000 Jahren den edlen Römer schmückte – und heute, als Qamis, den edlen Saudi. Da gibt es den Harnisch, den Kaftan oder die Männer-Burka oder die Gugel, eine hochmittelalterliche Schulter-, Hals- und Kopfbedeckung, so ähnlich wie die obere Hälfte eines Hoodies.

Und wenn Ihnen das alles noch zu konventionell sein sollte – dann schöpfen Sie doch das Revolutionäre, indem Sie das alte Reaktionäre neu entdecken: die gepuderten Langhaarperücken à la Sonnenkönig, gemächtbetonende Unterwäsche im Mittelalterstil, den Kunstbauch des späten 16. Jahrhunderts oder die Schnabelschuhe des 14. Jahrhunderts, deren Spitzen (fast) bis ans Knie reichten. Nur den traditionellen neuguineanischen Horim dürfen Sie nicht wiederentdecken – denn das indonesische Parlament verbot schon 2008 das Tragen dieser Penisfutterale.

Text: Detlef Gürtler
Detlef Gürtler ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Er lebt in Berlin und im spanischen Marbella.