Lassen Sie uns mit dem Schlimmsten gleich anfangen, dann haben wir ’s hinter uns: dem absoluten Tiefpunkt, einem Hamburger Waterloo. Es fand im Sommer 1892 statt – die letzte große Cholera-Epidemie Deutschlands, an der innerhalb von zehn Wochen mehr als 8000 Menschen starben. Die ach so moderne, aufgeklärte Weltstadt Hamburg hatte zuvor jahrzehntelang darüber gestritten, ob und wie man das Trinkwasser aufbereiten sollte, und in der Zwischenzeit wie üblich das gesamte Wasser ungefiltert aus der Elbe entnommen. Dass die (insgesamt sieben) kleineren Cholera-Ausbrüche zwischen 1822 und 1873 damit etwas zu tun haben könnten, konnte ja keiner ahnen.
Besser gesagt: wollte keiner ahnen. Schließlich waren die Londoner schon 1854 darauf gekommen, dass Cholera etwas mit verunreinigtem Trinkwasser zu tun haben musste – indem sie schlicht alle Erkrankungen in einem Stadtplan markierten und dadurch einen verseuchten Brunnen in der Broad Street als Auslöser der Epidemie identifizieren konnten. Nach Schließung des Brunnens war die Cholera schnell vorbei.
Nun gut, das war ja im fernen England und der Entdecker hieß mit Namen auch noch Snow und mit Schnee haben es die Hamburger ja nicht so. Aber dann gab es auch noch einen gewissen Robert Koch, seines Zeichens Bakteriologe in der Reichs- und Preußenhauptstadt Berlin – der hatte immerhin schon 1884 veröffentlicht, dass es einen Zusammenhang zwischen verunreinigtem Trinkwasser und der Cholera gebe. 30 Jahre nach den Londonern, aber immerhin acht Jahre vor jenem Horror des Augusts 1892. Da hätte man eigentlich Zeit für eine Verbesserung der Wasserversorgung gehabt – ein Sandfilter ist ja keine Elbphilharmonie. In Altona ging das auch, dort wurde eine Filteranlage installiert und es gab fast keine Cholera-Erkrankungen. Aber Altona gehörte ja zu Preußen, die mussten immer sofort springen, wenn jemand in Berlin sich was Neues ausgedacht hatte. Die Hansestadt Hamburg hingegen war wie immer etwas Besonderes.
Wie eben jener Robert Koch denn auch sofort feststellte, als er zehn Tage nach dem Ausbruch der Epidemie in Hamburg ankam. Übrigens nicht vom Senat engagiert (hatten wir schon erwähnt, dass der damals nicht sehr entscheidungsfreudig war?), sondern von Berlin aus als „Reichs-Commissar für die Gesundheitspflege im Stromgebiet der Elbe“ eingesetzt. Besonders beeindruckt war Koch vom Zustand eines legendären Innenstadt- Quartiers – aber lassen wir ihn selbst berichten: „Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln. Ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde.“
Da die Gängeviertel nicht sofort abgerissen werden konnten, griff Koch zu ein paar anderen Maßnahmen, um die Seuche in den Griff zu bekommen: Stadt abriegeln, Versammlungen verbieten, abgekochtes Wasser verteilen, Desinfektionsstellen einrichten. Im November 1892 war die Epidemie vorbei – und schon sechs Monate später hatte Hamburg seine erste Trinkwasserfilteranlage auf der Elbinsel Kaltehofe.
Huch: Jetzt ist die Kolumne schon fast vorüber, und Sie warten immer noch darauf, dass noch etwas Positives kommt? Aber gerne: Ein noch schlechteres Bild als die Hamburger Behörden gaben bei der Cholera-Epidemie die Journalisten der Zeitung „Lübeckische Blätter“ ab. Sie machten nämlich als Ursache für die Seuche eine damals ganz neue Errungenschaft aus: Toiletten mit Wasserspülung. „Grundsätzlich weg mit den Wasserclosets, je eher, desto besser!“, forderten deshalb die Lübecker.

 

Text: Detlef Gürtler Illustration: Raphaela Schröder