Nein, nicht was Sie denken. Die Prostitution wurde ja in Vor- und Frühgeschichte vorwiegend in sakralen Ritualen und/oder von Sklavinnen praktiziert – erst aus dem antiken Griechenland vor zweieinhalb Jahrtausenden liegen sichere Belege zur käuflichen Liebe vor. Mindestens zehnmal so alt hingegen ist das Sammeln. Es gab und gibt einer gesamten menschlichen Kulturstufe seinen Namen, eben der Stufe der Jäger und Sammler, und es dürfte eine erste Form der Arbeitsteilung darstellen: Die schnelleren, stärkeren Mitglieder eines Stammes gingen auf die Jagd, die anderen sammelten Beeren, Pilze, Gräser, Hölzer, Steine, was man halt zum Überleben außer Fleisch noch so brauchte.
Selbst wenn die Jäger und Sammler in der neolithischen Revolution fast überall von den sesshaften Ackerbauern vertrieben wurden (die biblische Geschichte von Jäger Kain und Bauer Abel handelt davon), ist uns ein Element des Sammel-Gewerbes in Fleisch und Blut und Gene übergegangen: die Vorratshaltung. Beim Jagen lebte man von der Hand in den Mund – auf lange Hungerperioden konnten üppige Festmähler folgen, wenn doch mal ein Mammut, Büffel, Wildschwein erlegt worden war. Und das musste dann lange reichen, die Konservierung von Fleisch und Fisch trat erst sehr spät in das Leben der Menschheit ein. Beim Sammeln hingegen war es weit einfacher möglich, Vorräte anzulegen, ob für Nahrung oder Brennholz, ein Vorsorgeelement, das durch die Landwirtschaft noch weit weit einflussreicher wurde: In sieben fetten Jahren Vorräte anzusammeln für sieben magere Jahre, auf so eine Idee hätte kein Nomade kommen können.
Ob eine gerade Linie vom Sammeln zur Vorratshaltung zum Eigentum zur Besitzgier führt, ist umstritten. Andere Gesellschaftsmodelle, die weniger Wert auf materielle Schätze legen, sind nicht nur denkbar, sondern immer wieder einmal in der Geschichte vorgekommen. Mit dem, was wir heute „Sharing-Economy“ nennen, dürfte ein solches Gesellschaftsmodell auch in der Zukunft eine immer größere Rolle spielen. Die frechen Jungs aus dem Silicon Valley gehen sogar schon so weit, dass sie unsere klassischen Konzerne mit ihren vielfältigen Besitzungen und Erfahrungen „legacy companies“ nennen, Unternehmen, die ihre Vergangenheit als Bürde mit sich herumschleppen. Aus Proudhons „Eigentum ist Diebstahl“ könnte dadurch „Eigentum ist Dummheit“ werden.
Aber bevor wir uns von der Digitalisierung und ihren Protagonisten eine jahrzehntausende alte Tugend wegnehmen lassen, sollten wir lieber noch jener gedenken, die in der Hochblüte des Eigentums-Kapitalismus das Sammeln zu jener Leidenschaft und Lebensaufgabe entwickelten, die auch heutigen Sammlern eigen ist. Menschen also wie Philip Ferrari de La Renotière, dessen Todestag sich am 20. Mai zum hundertsten Mal jährte. Jahrzehnte, bevor auch nur irgendjemand den Namen „Ferrari“ mit Autos in Verbindung bringen konnte, machte er ihn zum Sammler- Markenzeichen: Niemand vor und niemand nach ihm hatte eine derart umfassende Briefmarkensammlung. Alle Raritäten (wie Mauritius, blau und rot) und Unikate (wie den Tre-Skilling-Banco-Fehldruck) nannte er sein Eigen – der Österreicher Ferrari hatte die ganze Welt komplett.
Das Ende seiner Sammlung wurde geradezu sinnbildlich für das Ende einer ersten Epoche der Globalisierung. Nach dem Ersten Weltkrieg verlangte Frankreich die Übereignung der Briefmarken als Teil der österreichischen Reparationszahlungen. In 14 Auktionen gestückelt brachte die Sammlung 30 Millionen französische Franc ein – und zerstreute sich in alle Winde.

 

Text: Detlef Gürtler
Detlef Gürtler ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Er lebt in Berlin und im spanischen Marbella.